Reinbek. Freie demokratische Lehranstalt soll in Reinbek oder Wentorf im Sommer eröffnet werden. Ein Gebäude hat Freiwärts noch nicht gefunden.

Vier Grundschulen gibt es derzeit in Reinbek, dazu eine Förder-, eine Gemeinschaftsschule sowie ein Gymnasium – und demnächst womöglich eine Bildungseinrichtung, in der alles anders ist, in der es zum Beispiel keinen klassischen Lehrplan gibt. Dieses Ziel verfolgt Jessica Dzubilla vom Verein Freiwärts. Die Vorsitzende und ihre Mitstreiter planen die Gründung einer freien demokratischen Schule, die den Jungen und Mädchen selbstbestimmtes Lernen ermöglicht – ohne Druck und Noten. Wenn nicht in Stormarns zweitgrößter Stadt, dann soll es beim Nachbarn in Wentorf klappen. Nach Immobilien und Grundstücken wird in beiden Kommunen gesucht.

„Das Schulsystem verstärkt die Schere zwischen guten und schlechten Schülern, fördert Lernfrust statt Lernlust“, sagt Dzubilla über ihren Antrieb, etwas Neues zu verwirklichen. Die 41-Jährige ist selbst Lehrerin und hatte zuletzt an einer Grundschule in Hamburg-Allermöhe unterrichtet, bevor sie in Elternzeit ging. Eine Rückkehr schließt die Mutter eines sechsjährigen Sohnes sowie einer drei Jahre alten Tochter aus, will stattdessen das Projekt schnell umsetzen und im kommenden Sommer starten. Dzubilla: „Wir haben schon 100 Anmeldungen bis 2021. Die Nachfrage ist sehr groß.“

Eine Schule ohne Klassenverbände

Das Konzept ist detailliert ausgearbeitet und wird den Reinbeker Kommunalpolitikern im Sozial- und Schulausschuss am kommenden Dienstag vorgestellt. Die Freiwärts-Einrichtung versteht sich als Grund- und Gemeinschaftsschule, bereitet auf den mittleren Abschluss vor. Denn nach der zehnten Klasse ist dort Schluss. Die Prüfungen müssen an einer staatlichen Schule abgelegt werden.

In der neuen Schule gibt es keine Klassenverbände, Kinder und Jugendliche jeglichen Alters lesen, schreiben und rechnen zusammen. „Weil sowohl das demokratische Modell als auch die individuellen Lernprozesse eine gemischte Gruppe erfordern“, so Dzubilla. Die Lehrer heißen Lernbegleiter. Es sind Pädagogen mit dem zweiten Staatsexamen und auch solche ohne. Sie kommen aus verschiedenen Berufen und sollen unterschiedliche Kompetenzen mitbringen. Neben den Festangestellten ist der Einsatz von Experten geplant, die auf Wunsch der Schüler spezielle Kurse anbieten. Auch soll es am Nachmittag den offenen Ganztag geben.

Verein wurde 2016 gegründet

Der Betreuungsschlüssel sieht einen Lehrer für acht, maximal zwölf Schüler vor. Ihre Aufgabe ist es nicht, die Jugendlichen zu bewerten, sondern deren Lernlust zu fördern. Der Verein vertritt die These, dass Kinder von Natur aus die Welt des Wissens erobern wollen. „Dabei soll jeder seinen eigenen Impulsen folgen“, so Dzubilla, die als Lernbegleiterin eingeplant ist. Weitere stünden in der Warteschleife. „Potenzielle Bewerber gibt es genug, allerdings suchen wir noch Männer.“

Der Verein Freiwärts wurde 2016 gegründet und zählt acht Elternpaare als Mitglieder. Dzubilla lebt mit ihrer Familie in Wentorf, andere in Schwarzenbek oder Hamburg. Sie haben unterschiedliche Berufe, vom Sachbearbeiter bis zur Augenoptikerin. Jana Zeitzmann ist Ingenieurin für Schiffs- und Meerestechnik. Sie sagt: „Freiwärts soll ein Bildungsort sein, wo junge Menschen ihr volles Potenzial entfalten können und ihren Interessen nachgehen.“

200 Euro Schulgebühr pro Monat

Der Träger will mit rund 30 Schülern im Alter von sechs bis zwölf Jahren starten und bis 2027 auf rund 100 wachsen. Umsonst ist das für Eltern nicht. Sie müssen pro Monat rund 200 Euro zahlen. Für Geschwisterkinder kann es günstiger werden. Neben der Suche nach einem Grundstück, das zu einem späteren Zeitpunkt bebaut werden soll, schaut sich Dzubilla vordringlich nach Bestandsimmobilien zur Miete um. Sie habe schon einige Besichtigungen gehabt, jedoch nichts Passendes gefunden. Ein Gebäude ist Voraussetzung, damit das Bildungsministerium die Schulgründung genehmigt. Das pädagogische Konzept liegt in Kiel vor.

Von Steiner bis Nena: Alternative Konzepte

Bekannte Schulen mit alternativen Konzepten sind die Montessori- sowie Rudolf-Steiner-Schulen, auch Waldorfschulen genannt. Jene gibt es weltweit, die meisten sind jedoch in Europa beheimatet.

Eine Waldorfschule steht in der Alten Landstraße in Bargteheide. Die Pädagogik beruht auf der anthroposophischen Menschenkunde Rudolf Steiners.

Die Einrichtungen wollen gleichermaßen intellektuelle, kreative, künstlerische, praktische und soziale Fähigkeiten bei Kindern entwickeln. Vom ersten Schuljahr an lernen sie zwei Fremdsprachen. Die Fächer Gartenbau und Eurythmie sind feste Bestandteile des Lehrplans.

In Bargteheide hatte 2013 die demokratische Schule Infinita den Betrieb als erste dieser Art in Schleswig-Holstein aufgenommen. Sie hat ihren Sitz jetzt in Steinhorst im Kreis Herzogtum Lauenburg.

2007 hatte die bekannte Sängerin Nena eine solche Schule in Hamburg-Rahlstedt gegründet. Genauso wie diese arbeitet auch der Verein Freiwärts nach dem Sudbury-Modell. Ein zentraler Bestandteil ist, dass jeder Schüler selbst entscheiden kann, was, wann, wie und mit wem er lernt.

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„In Wilhelmsburg hat eine demokratische Schule drei Tage vor Ende der Ferien die Genehmigung erhalten. Es war für sie kein Problem, sofort zu starten“, sagt Dzubilla. Dem Verein schweben zu Beginn Räume mit insgesamt 400 Quadratmetern sowie ein Außengelände mit Platz für Bewegung vor. Er wird den Betrieb zwei Jahre vornehmlich über Kredite finanzieren, die Elternbeiträge machen nur einen kleinen Teil aus. Dzubilla: „Erst nach 24 Monaten gibt es Zuschüsse vom Land.“

Inzwischen hat Freiwärts ein Lager gemietet. Dort sind gespendete Utensilien für die Schule untergebracht – Tische, Stühle, Schränke und Whiteboards. Auch an Reinbeks Bürgermeister

Reinbeks Bürgermeister Björn Warmer
Reinbeks Bürgermeister Björn Warmer © HA | René Soukup

Björn Warmer ist der Verein herangetreten, hat vor einiger Zeit mit ihm über das Anmieten von Containern gesprochen, in denen Flüchtlinge wohnten. Diese wurden inzwischen aber abgebaut. „Das ist ein interessantes Konzept und wird sein Klientel gewiss finden“, so der Verwaltungschef. „Es ist mutig, die Sache umzusetzen.“

Bevölkerungsentwicklung ist Kriterium bei Standortsuche

Als Standort für die Schule hat sich Freiwärts den Speckgürtel im Hamburger Osten ausgesucht – mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung. Der Verein stützt sich auf Experten, die weitere Ausweisungen von Baugebieten und den Zuzug von jungen Familien prognostizieren, was mit einer erhöhten Nachfrage nach Schulplätzen einhergeht. Im Reinbeker Stadtteil Neuschönningstedt wird derzeit bis Ende 2019 ein neues Quartier gebaut. Dort werden bis zu 700 Menschen wohnen. Auch die gute Erreichbarkeit mit Auto und öffentlichen Personennahverkehr ist für den Verein ein Kriterium.