Reinbek. 260 Jugend und Mädchen lernen, wie Kommunalpolitik und Verwaltung funktionieren. Das Abendblatt begleitete einen Gymnasiasten.
Seinen braunen Rucksack hat Marian Thewes auch heute dabei, nur ist er wesentlich leichter als sonst. Die Unterlagen für die Fächer Spanisch und Chemie sind zu Hause geblieben. Und statt wie üblich morgens an der Sachsenwaldschule Gymnasium Reinbek aufzuschlagen, ist er nun im Rathaus gelandet. Dort wird der 16-Jährige auch lernen, allerdings ohne Noten zu bekommen – nämlich wie Kommunalpolitik sowie Verwaltung funktionieren und zusammenarbeiten. Jugend im Rathaus heißt das Projekt, das die Stadt vor 16 Jahren entwickelt hat. 260 Jungen und Mädchen der zehnten und elften Klasse aus Gemeinschaftsschule und Gymnasium sind diesmal von Dienstag bis Freitag dabei, jeder für einen Tag. Viele von ihnen werden am 6. Mai bei der Kommunalwahl zum ersten Mal Stimmzettel abgeben.
Das müssen Sie zur Kommunalwahl wissen
Zuhören allein reicht hier nicht aus. In fünf Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Themen entwickeln die Schüler Lösungen für Probleme. Rathausmitarbeiter und Vertreter von Parteien stehen beratend zur Seite. Marian hat sich für die AG Planung/Bauordnung entschieden. Er und seine Mitstreiter sollen den Standort für den Bau einer Sportanlage in Reinbek ermitteln und unter anderem die Kosten beziffern. Es ist ein aktuelles Thema in der Stadt, den Bedarf hat ein Sportstättenentwicklungsplan nachgewiesen.
Politische Bildung ist Ziel der Veranstaltung
Marian besucht die zehnte Klasse, hat das Sportprofil gewählt und ist ein Musterschüler mit einem Notendurchschnitt von 1,1. Die Fußball-Abteilung der TSV Reinbek hat er in Richtung Aumühle verlassen: „Auch, weil der Grandplatz kaputt und oft gesperrt ist. Und wegen meiner Freunde.“ Dass am Mühlenredder demnächst ein Kunstrasen entstehen soll, wird ihn nicht zur Rückkehr bewegen können. Der Tennissparte ist er treu geblieben, bessert in den Ferien als Trainer sein Taschengeld auf.
Die Schüler politisch zu bilden ist ein Ziel dieser Veranstaltung. Und sie soll Interesse wecken, sich in einer Partei oder Wählergemeinschaft zu engagieren. Denn diese haben es schwer, junge Menschen zu rekrutieren. Natürlich nutzt auch die Verwaltung die Möglichkeit und wirbt um Auszubildende.
Die Veranstaltung hat eine lockere Atmosphäre
Diesen Part übernimmt nach der Begrüßung im großen Sitzungssaal Melissa Pfensig. Die 23-Jährige hat bei der Stadt ein duales Studium inklusive Lohn von Beginn an gemacht, ist seit August Inspektorin. Dafür lernte sie eine Zeit lang an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Altenholz. „Die Partys dort waren immer gut“, sagt Pfensig zu den Jugendlichen und lächelt dabei. Wohlwissend, den einen oder anderen so womöglich begeistern zu können. Es ist eine lockere Atmosphäre.
Und daran ändert sich auch nichts in den Arbeitsgruppen. Jene mit Marian, bestehend aus neun Mädchen und sechs Jungen, versammelt sich in der Rathauskantine mit ihrem rustikalen Ambiente. Die Wände sind mit dunklem Holz vertäfelt, der Bodenbelag besteht aus widerstandsfähigen Kunststoff in mehreren Grautönen, und die Decke ist orange gestrichen. Michael Vogt vom Amt für Stadtentwicklung und Umwelt moderiert und skizziert die Aufgabenstellung, bietet den Schülern sofort das Du an. An einer Stellwand ist die Karte von Reinbek angebracht.
Schüler können alle Mitarbeiter um Infos fragen
Die Schüler haben zwei Stunden Zeit, ein Ergebnis zu liefern und dieses später im Plenum zu präsentieren. „Geht das auch mit Powerpoint?“, will Marian wissen, der sich sofort einbringt bei der Frage nach den Voraussetzungen für das Schaffen einer Sportanlage. Letztlich arbeiten die Gymnasiasten mit Karteikarten, die sie beschriften. Alte Schule also. Der 16-Jährige sagt zu Vogt, ein Kunstrasen koste rund 300.000 Euro. Dessen Antwort: „Bei dem Preis nehmen wir ihn sofort.“ Tatsächlich ist für einen solchen Untergrund mehr als das Doppelte fällig.
Um ans Ziel zu gelangen, können die Schüler alle Mitarbeiter des Rathauses behelligen und sich Informationen einholen. Marian, Lars (16), Hanna und Asena (beide 15) eilen ins Büro von Christiane Daub, lassen sich die Belegungspläne für die Sporthallen zeigen. Andere machen sich im Bauamt über Kosten für den Neubau von Sportplatz mit Laufbahn, Halle und Parkplatz kundig und die Genehmigung für einen Bebauungsplan. Beim Standort ist die Gruppe schnell einig, wählt das Holzvogtland im Stadtteil Schönningstedt. Das Areal ist die geografische Mitte von Stormarns zweitgrößter Stadt.
Jugendliche bekunden Interesse als Wahlhelfer
Ein zentraler Punkt für alle Sportvereine ergebe Sinn, argumentieren die Gymnasiasten. Ihr ausgesuchtes Grundstück ist 16.000 Quadratmeter groß. Dass die Politik gerade über einen Umzug des FC Voran Ohe in den Stadtteil Neuschönningstedt diskutiert und dort eine große Sportanlage entstehen könnte, weiß Marian ebenso wie die anderen Gruppenmitglieder nicht. Genauso wenig, wie sich das Zusammenspiel zwischen Verwaltung und Politik bei so einem Prozess vom Vorschlag über die Entscheidung bis hin zur Planung gestaltet. „Ich hatte noch keine Berührungspunkte mit der Kommunalpolitik, in der Schule wurde das Thema nicht behandelt“, sagt der Hobbyfußballer.
Nach der Stippvisite des Grünen-Politikers Malte Harlapp in der Gruppe hat inzwischen SPD-Fraktionschef Volker Müller Platz genommen. Ihn kennen die Schüler nicht. Auch Heidrun Tacke von der Wählergemeinschaft Forum 21 und Gabriele Ix (FDP) sind heute im Rathaus. Der Sozialdemokrat berichtet von Sitzungen und Treffen der Fraktionschefs im kleinen Kreis, zeigt den Weg zu Beschlüssen auf. Er redet so, dass es für jeden verständlich ist. Über die Arbeit der Projektgruppe sagt Müller: „Die Idee mit einer neuen Sportstätte für alle finde ich gut.“ Er bedaure es, dass Jugendliche mit wenigen Ausnahmen fernab von der Kommunalpolitik seien.
„Kommunalpolitik ist interessanter als gedacht“
Marian informiert sich über politisches Geschehen zum Beispiel via TV und nennt die Tagesschau. Er präferiere CDU und Grüne. Wen er vor Ort in nicht einmal vier Monaten wählen wird, weiß der Einser-Schüler noch nicht: „Über die Programme der Ortsverbände werde ich mich noch erkundigen, vornehmlich im Internet.“ Einige seiner Oberstufenkameraden sind in der Projektgruppe mit dem Namen „Ihr habt die Wahl“, die von Ulrich Gerwe geleitet wird. Der 56 Jahre alte Verwaltungsmitarbeiter ist bei Jugend im Rathaus federführend und von Beginn an dabei. Er sagt: „Früher war es mehr Frontalunterricht, dann haben wir das Format geändert.“ Man wolle Interaktion bei verschiedenen Themen mit Tagesaktualität. „Was wir hier machen, ist politische Jugendbildung.“ In der Vergangenheit habe er mehr als 4000 Schüler durch das Rathaus gelotst.
Bei der Präsentation ist Marian genauso sicher und wortgewandt wie bei Vorträgen in der Schule. Über den Tag im Rathaus sagt er: „Ich habe gute Einblicke bekommen, Kommunalpolitik ist interessanter als ich gedacht hatte.“ Er finde es allerdings mühselig, so viel Überzeugungsarbeit leisten zu müssen und plane kein Engagement in einer Partei. Im Herbst macht der Jugendliche ein Praktikum in einer Anwaltskanzlei und macht keinen Hehl daraus, dass ein Jurastudium ihn reizt.
Dann streift sich Marian Jacke und den Rucksack über. Er muss noch zur Schule, hat Unterricht am späten Nachmittag. In die Liste für Interessenten als Wahlhelfer trägt er sich nicht ein. Andere machen davon Gebrauch. Wer mitmacht, wird für den Einsatz auch belohnt. Es gibt ein sogenanntes Erfrischungsgeld zwischen 30 und 50 Euro.