Trittau/Reinbek/Glinde/Oststeinbek. Projektgruppe des Kirchenkreises denkt über Veränderungen in Gemeinden nach. Reaktionen auf einen Abendblatt-Bericht.

Der Abendblatt-Bericht über den Vorstoß elf junger Pastoren aus Hamburg und dem Umland, kirchliche Dienste aufgrund eines enger werdenden Personalkorsetts auf den Prüfstand zu stellen, sorgt für eine lebhafte Kontroverse in Kirchenkreisen. Die Projektgruppe „U 45“ des Kirchenkreises Hamburg-Ost stellt Angebote wie Krabbelgruppen und Seniorenkreise infrage, weil aufgrund einer Pensionierungswelle in den nächsten zwölf Jahren etwa die Hälfte aller jetzt vorhandenen 264 Pfarrstellen entfallen wird. Auch Gottesdienste in der aktuellen Form müssten aufgrund geringer Besucherzahlen hinterfragt werden.

Die Kirchenleitung zeigte sich angetan von den Vorschlägen der Geistlichen. Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs sagte in einer ersten Stellungnahme: „Mich haben etliche Ideen überzeugt. Sie sind aus einer Haltung heraus entstanden, die sich konstruktiv mit den veränderten Bedingungen auseinandersetzt.“ Zentrale Frage sei, wie sich kirchliche Arbeit neu strukturieren lasse, „damit Pastoren auch wirklich geistlich und seelsorgerlich für die Menschen da sein können? Wie können wir eine ausstrahlungskräftige Kirche sein und bleiben? Vielleicht an der einen oder anderen Stelle mit anderen Schwerpunkten.“ Zukunftsfähig finde sie, „dass sich hieraus der Blick öffnet – auch auf andere Berufe wie Diakone. Bis dahin, dass sich neue Berufsbilder ergeben könnten, wie die eines Gemeindemanagers, der Verwaltungsaufgaben zentral bearbeitet.“

Pastoren leiden unter viel Verwaltungsaufwand

Damit spricht die Bischöfin einen der Knackpunkte für viele Geistliche an. So kritisiert die Trittauer Pastorin Anja Botta von der Arbeitsgruppe „U 45“, dass ein Großteil ihrer Arbeit „für Verwaltung draufgeht“. Zeit, die für wesentliche Aufgaben wie Trauungen, Vorbereitung von Trauerreden, Gespräche mit Konfirmanden oder die Begleitung von Kranken oder Sterbenden fehle – für die Seelsorge eben. Dazu sagt der Kirchenkreisratsvorsitzende, Propst Hans-Jürgen Buhl: „Manche Pastoren träumen von einem Management, das sich professionell um das gute Funktionieren des organisatorischen Betriebes einer Gemeinde kümmert. Da die Gemeinden in ihren finanziellen und personellen Entscheidungen autonom sind, liegt es an ihnen und dem Kirchengemeinderat, zu entscheiden, wofür und für welche Kompetenz Geld ausgegeben werden soll.“

„Man muss mutig sein, um Kirche komplett anders zu denken“, sagt Thorsten Kelm
„Man muss mutig sein, um Kirche komplett anders zu denken“, sagt Thorsten Kelm © Barbara Moszczynski | Barbara Moszczynski

Doch wie sind die Reaktionen in den Stormarner Kirchengemeinden auf die Erneuerungsbewegung? Thorsten Kelm, Pastor der evangelischen Auferstehungskirche in Oststeinbek, sagt: „Das U 45-Projekt ist ein guter Impuls. Man muss mutig sein und Kirche komplett anders denken.“ Er würde in seiner Gemeinde gern einen Geschäftsführer einstellen. „Ich komme wenig zu dem, was ich eigentlich machen will: Hausbesuche, Kontakte pflegen oder nach vorn denken.“ Kelm weiter: „Wir müssen weg von dieser Pastoren-Zentriertheit.“ Für alles sei der Pastor zuständig. Kürzlich sei er sogar kritisiert worden, weil bei einer Sitzung keine Gläser auf dem Tisch standen. Die Residenzpflicht, also der Wohnsitzzwang für den Pastor in seiner Gemeinde, habe durch die Nähe zu den Menschen zwar viele Vorteile. Aber auch Laien könnten dafür sorgen, dass Kirche verlässlich vor Ort sei.

Die Gemeinden müssten zudem an der eigenen Geisteshaltung etwas ändern und sich fragen, ob sie offen und einladend genug seien. Neue Mitglieder, „die machen wollen“, müsse man machen lassen. Und Konfirmanden, die quer denken und anstrengende Fragen stellen, als Bereicherung begreifen. Derzeit herrsche „eine gewisse Verzagtheit“, die Gemeinden seien „wenig veränderungsbereit und sehr harmoniebedürftig“.

Kelms Kollegin, Pastorin Sabine Spirgatis, sagt: „ Das U 45-Projekt ist richtig.“ Ihr fehle in der Gesellschaft das Bewusstsein, „dass das Sorgen für andere und das Füreinander-Da-Sein gute Werte sind, die jeder beherzigen sollte.“ Insofern mangele es an Nachwuchs für Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Vereine: „Wir brauchen eine Aufwertung von Gemeinschaft.“

Weg von der Pastoren-Zentriertheit

Sören Neumann-Holbeck, Pastor der evangelischen St. Johannes-Gemeinde in Glinde, hat 2017 eine Kooperation angestoßen. Er sagt: „Ich merke, dass die Gemeinden in Stormarn zusammenarbeiten wollen. Ich bekomme jetzt Anfragen, wie es weitergeht.“ Zeit, sich darum zu kümmern, habe der 47-Jährige indes nicht. Nach dem altersbedingten Ausscheiden von Pastor Jürgen Deter und dem Wechsel von Kirsten-Schmidt-Soltau in die Aufgabe als Gefängnispastorin steht er noch bis Anfang Februar allein da. Dann fängt seine neue Kollegin in Glinde an. Zur Diskussion um die Zukunft der Kirche sagt er trotzdem: „Ich mag diese Sprache der Angst und die Frage nicht: Was muss ich als Kirche machen, damit mehr Menschen kommen?“ Jesus und der Glaube seien keine Produkte, die man so attraktiv wie möglich machen müsse, um sie zu verkaufen. „Kirche sollte sexy sein, weil sie sich schön fühlt.“

Bekam auch Kritik für ihre Arbeit in der Projektgruppe: Trittaus Pastorin Anja Botta
Bekam auch Kritik für ihre Arbeit in der Projektgruppe: Trittaus Pastorin Anja Botta © Birgit Schücking | Birgit Schücking,Birgit Schücking

Anja Botta will wie Thorsten Kelm weg von der Pastoren-Zentriertheit. Trittaus Pastorin sagt, sie sei immer und überall dabei. Dabei sei das gar nicht nötig, vieles könnten die Gemeindeglieder in Eigenregie erledigen. „Eine Kollegin sagt, sie verbringe 95 Prozent ihrer Zeit mit fünf Prozent der Gemeindemitglieder. Dabei sagte schon Luther: ,Jeder Christ wird durch die Taufe zum Priester geweiht.’“ Ihr Anrufbeantworter sei nach dem Erscheinen des Abendblatt-Artikels voll gewesen, erzählt die Pastorin aus Trittau, die Mitglied der U 45-Projektgruppe ist.

Positive Rückmeldungen kamen von Kollegen. Kritik überwiegend von älteren Männern, die zum Beispiel um den Erhalt kirchlicher Angebote für Senioren fürchteten. Sie nehme auch Angst wahr. Von Menschen, die sich sorgten, dass ihnen etwas weggenommen werde. „Das große Ganze ist wenig im Blick“, sagt Botta. Schön sei aber, „dass wir jetzt endlich in eine Diskussion darüber kommen: Was haben wir eigentlich für ein Bild von Gemeinde? Wofür stehen wir und wo wollen wir hin?“

Auch die katholische Kirche arbeitet an neuen Konzepten

„Die jungen Postoren legen den Finger genau in die richtige Wunde“, sagtt Rudolf Zahn, der sich in der katholischen Kirchengmeinden im Stormarner Süden  engagiert
„Die jungen Postoren legen den Finger genau in die richtige Wunde“, sagtt Rudolf Zahn, der sich in der katholischen Kirchengmeinden im Stormarner Süden engagiert © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Rudolf Zahn sagt: „Die jungen Pastoren legen den Finger genau in die richtige Wunde.“ Sie hätten einen realistischen Gedankenansatz. Zahn ist Vorsitzender des Vereins zur Förderung katholischer Gemeinden im Süden Stormarns, engagiert sich ehrenamtlich. Er sagt: „Aufbruch ist nötig, von den Nachteilen darf man sich nicht verrückt machen lassen.“ Die Kirchengründung habe mit Märtyrern und Tod angefangen, dagegen seien die heutigen Probleme bewältigbar. „Wenn nicht genügend Leute da sind, die man bezahlen kann, dann bleibt nur das Engagement der Laien übrig.“

Das sei organisatorisch nicht zu vermeiden. Auch, wenn gerade ältere Menschen sich wünschten, dass der Pfarrer immer vor Ort erreichbar sei. Die florierende Seniorenarbeit in den Gemeinden werde schon jetzt überwiegend von Ehrenamtlichen geleistet. Das Engagement in kirchlichen Kindergärten hält der 77-Jährige dagegen für unverzichtbar: „Kirchen sollten sich dort nach Möglichkeit weiter engagieren, denn in den Kindergärten werden ethische und moralische Werte vermittelt.“

Konzept für Großpfarrei mit zehn Gemeinden

Die katholischen Kirchengemeinden in Glinde und Reinbek arbeiten seit drei Jahren an einem Konzept für eine Großpfarrei mit zehn Gemeinden. Am 27. Januar ist die Auftaktveranstaltung für das letzte Jahr der Konzeptentwicklung. Ab 2019 soll der neue „Pastorale Raum Bille-Elbe-Sachsenwald“, in dem 26.764 Katholiken wohnen, die Stormarner Kirchengemeinden Glinde, Reinbek und Wentorf mit Geesthacht, Lauenburg und Schwarzenbek sowie den Hamburger Gemeinden Bergedorf, Lohbrügge und Neu-Allermöhe zusammenführen.

Erarbeitet haben das Konzept rund 50 haupt- und ehrenamtliche Kirchenmitarbeiter. Sie haben die Region untersucht, die kirchlichen Angebote zusammengetragen und die Vision einer „offenen, einladenden, herzlichen und vertrauenerweckenden Kirche“ entwickelt, die lebensnah sein und neugierig machen soll.

Für die pastoralen Aufgaben sind sechs Vollzeitstellen vorgesehen. Vier zusätzliche Konzeptstellen sollen helfen, die geplanten sechs Schwerpunkte zu füllen: Vielfaltige, lebendige Gottesdienste, Familie, Glaubensvertiefung, Jugend, Senioren und soziale Notsituation. Zehn Hauptamtliche bilden so das Pastoralteam und sollen in den zehn Gemeinden der Pfarrei verteilt präsent sein. Daneben könnten auch Ehrenamtliche als Seelsorger dazu beitragen, dass Menschen vor Ort in ihren Bedürfnissen und Nöten gesehen und unterstützt werden. „Wir haben für alle Aufgaben Hauptamtliche und Ehrenamtliche, die das übernehmen können“, sagt Eike-Manfred Buba. Der Ehrenamtler kümmert sich um Öffentlichkeitsarbeit und hat die Internet-Seite der neuen Großpfarrei konzipiert (www.bille-elbe-sachsenwald.de).

Gottesdienste sollen mehr Menschen ansprechen

Wie sollen künftig Andachten aussehen? Die jungen Pastoren der U 45-Projektgruppe planen für den 18. August einen Pop-Gottesdienst. Ihre Kirche soll zeitgemäß, mit guter Musik, nah bei den Menschen und mit ganz viel Lebensfreude agieren. Oststeinbeks Pastor Thorsten Kelm setzt zur Begleitung seiner Gottesdienste bereits auf eine Band, gesungen werden nicht nur Choräle, sondern auch Jazz und Pop. Er sagt: „Mit Musik aus dem 17. Jahrhundert und sehr intellektuellen Predigten sprechen wir nur eine kleine Zielgruppe an.“ Sein Wunsch: Andachten sollten von der Musik und Predigt her so gestaltet sein, dass sie Menschen aller Generationen und Schichten intellektuell und emotional ansprechen.

Sabine Spirgatis hat von ihren Konfirmanden die Bibel in Emojis übersetzen lassen. Die kleinen Smiley-Bilder dienen bei Handy-Nachrichten oder E-Mails zum Ausdrücken von Gefühlen und Stimmungen. „Der Gottesdienst, der daraus entstanden ist, hat allen Spaß gemacht. Solche Begegnungen und Events brauchen wir.“ Kirche stehe für viele gute Themen. „Wir versuchen, Gottesdienste mit einem Thema zu gestalten, und geben den Menschen Gelegenheit zum Kennenlernen.“

Glindes Pastor Sören Neumann-Holbeck hält Andachten in Schulen, feiert Mittelalterfeste mit Kindergärten. Demnächst tauft er einen Vierjährigen in seiner Kita. Beim Glinder Marktfest predigt er am Tresen, mit Bier in der Hand. Er sagt: „Ich tue alles mit Entspanntheit und Freude, das bekomme ich wieder zurück.“ In Glinde sind die Gospel-Gottesdienste gut besucht. Auch Taizé-Andachten mit Gebeten, Gesängen und längerer Stille fänden Anklang. Seine Konfirmanden hätten die meditativen Gottesdienste für sich entdeckt: „Die genießen das richtig, auch mal zu entspannen.“ Der Pastor möchte nun eine App entwickeln, um jüngere Menschen besser zu erreichen.