Ahrensburg/Hamburg. „Das Verhalten des Pastors war mit seinem Amt unvereinbar.“ Kirchengericht stellt Verfahren trotz belastender Zeugenaussagen ein.

Die juristische Aufarbeitung des bisher größten Missbrauchsskandals der evangelisch-lutherischen Kirche hat sieben Jahre nach dessen Bekanntwerden ein Ende gefunden. Das Disziplinargericht der Nordkirche hat das Verfahren gegen den Ahrensburger Ruhestandsgeistlichen Friedrich H. am Freitag eingestellt. Ihm wurden schwerwiegende Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen seinen Kollegen Dieter K. zur Last gelegt, der in den 80er-Jahren mehrere minderjährige Jugendliche sexuell missbraucht und nach Bekanntwerden der Vorwürfe 2010 selbst seine Entlassung beantragt hatte.

Friedrich H. hatte eingeräumt, Anfang der 1980er-Jahre Beziehungen zu zwei volljährigen Jugendlichen unterhalten zu haben. Im Raum stand auch der Vorwurf der Vertuschung des von seinem Kollegen verübten sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener. Dem Ruhestandsgeistlichen drohte die einzig mögliche und zugleich höchste disziplinarrechtliche Sanktion der Kirche: der Verlust der Ordinationsrechte und der Pensionsbezüge. Mit anderen Worten: der Rausschmiss.

Richter: Pastor H. ist nicht rehabilitiert

Das Gericht wies nun die Klage auf Entfernung aus dem Dienst unter anderem mit der Begründung ab, angesichts der langen Dauer des Verfahrens sei diese Strafe „unverhältnismäßig“. Die ihm vorgeworfenen Verfehlungen liegen rund 30 Jahre zurück. Gleichwohl stellten die Richter ausdrücklich fest, dass der 76-Jährige damit nicht rehabilitiert sei. Diese Feststellung beruhe darauf, so die Nordkirche auf Nachfrage, dass das Gericht die erhobenen Vorwürfe im Wesentlichen für erwiesen hält.

Das Landeskirchenamt, das nach eigenen Ermittlungen im November 2011 eine Anschuldigungsschrift gegen Pastor H. beim Disziplinargericht eingereicht hatte, sah sich als Kläger angesichts der umfangreichen Beweise in seiner Ansicht bestätigt, dass es richtig war, auf Entfernung aus dem Dienst zu klagen. „Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass die deutlich gewordenen Amtspflichtverletzungen des Pastors seine Entfernung aus dem Dienst rechtlich begründen“, so Landeskirchenamtspräsident Peter Unruh.

Der Anwalt von Friedrich H., Heinz Wagner, hat mit dem Urteil hingegen sein Ziel erreicht. „Ich habe immer die endgültige Einstellung des Verfahrens gewollt“, sagt Wagner auf Abendblatt-Anfrage, „der Vorwurf ist vom Tisch. Egal, warum es eingestellt wurde.“ Das Urteil wird sofort rechtskräftig, Rechtsmittel dagegen sind nicht mehr zulässig.

Verfahrensfehler und Befangenheit?

Knapp ein Jahr lang beschäftigte sich ein fünfköpfiges Gremium ehrenamtlicher unabhängiger Richter und Theologen mit dem Fall, nachdem das Verfahren Ende 2012 vorübergehend eingestellt worden war. Ein Novum in der Geschichte des Kirchengerichts. Während das richterliche Gremium unter Vorsitz des Reinbeker Richters Bernd Wrobel das Verfahren wegen der strafrechtlichen Verjährung der Vorwürfe sowie der einwandfreien Führung des Pastors und den Auswirkungen des Skandals auf dessen Leben einstellte, sah das Landeskirchenamt weiter Handlungsbedarf. Es warf dem Gericht „schwerwiegende Verfahrensfehler“ vor und lehnte die Richter wegen „Besorgnis der Befangenheit“ ab.

Das Gericht hatte auf die Anhörung von Zeugen verzichtet. Ihm genügten die Akteneinsicht sowie die Aussage von Friedrich H. Eine Entfernung aus dem Dienst käme, so die Richter 2012, selbst dann nicht in Frage, „wenn die Beweisaufnahme die gegen den Angeschuldigten erhobenen Vorwürfe vollen Umfangs bestätigen würde“. Das Landeskirchenamt legte dagegen als Kläger Rechtsmittel ein.

Auch bei den Opfern des Missbrauchsskandals stieß die Verfahrenseinstellung 2012 auf Unverständnis. „Die Begründung des Gerichts, Pastor H. habe auch Gutes getan, ist null nachvollziehbar“, sagte Anselm Kohn, Stiefsohn von Dieter K. und Mitbegründer des Vereins Missbrauch in Ahrensburg. Die Kirche müsse gegen diese Entscheidung vorgehen. Mehr als vier Jahre dauerte es, bis das Verfahren mit anderen Richtern tatsächlich neu eröffnet wurde.

Nordkirche sieht Vorwürfe gegen Pastor H. bestätigt

Das neue Gremium hat seit Januar 2017 nach Abendblatt-Informationen mehr als 20 Zeugen gehört, unter ihnen auch Betroffene. In zwei Fällen sieht es das Gericht als erwiesen an, dass Friedrich H. sexuelle Übergriffe gegenüber volljährigen Jugendlichen begangen hat. Ebenso sei erwiesen, dass H. vom sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch seinen früheren Kollegen Dieter K. wusste und nichts tat, um diesen den zuständigen Stellen zu melden, sagt Stefan Döbler, Pressesprecher der Nordkirche, auf Anfrage. „Beide Vorwürfe richteten sich gegen ein Verhalten des Pastors, das mit seinem Amt und der damit verbundenen Verantwortung für die Menschen, die ihm anvertraut waren, unvereinbar ist.“

Durch die Beweisaufnahme im nun beendeten Verfahren seien beide Vorwürfe bestätigt, sagt Stefan Döbler. Das Landeskirchenamt sei den jetzt gehörten Zeugen sehr dankbar für ihre Aussagen, „im Wissen darum, was Zeugen und Betroffene damit auf sich genommen haben.“

Vor dem Kirchengericht hatte H. 2012 die Beziehungen zu zwei jungen Frauen Anfang der 80er-Jahre bestätigt, gleichzeitig aber versichert, er habe von den Missbräuchen seines Kollegen erst Mitte der 90er-Jahre erfahren.