Ahrensburg/Reinbek. Nach Attacke in Altena: Wie gehen Entscheider damit um, bepöbelt und beleidigt zu werden? Das Hamburger Abendblatt hat nachgefragt.
Die brutale Messer-Attacke gegen den Bürgermeister von Altena – sie schreckt auch politische Entscheidungsträger in Stormarn auf. Auch sie erfahren wieder und wieder Anfeindungen, Schmähkritik und üble Nachrede. Mal öffentlich, mal anonym im Internet. Was erleben die haupt- und ehrenamtlichen Bürgermeister im Job oder bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit? Wie oft werden sie Opfer von Anfeindungen, wie gehen sie damit um? Das Abendblatt hat nachgefragt.
Eine zunehmende Verrohung der Sprache beobachtet Großhansdorfs Bürgermeister Janhinnerk Voß besonders beim Thema Flüchtlinge. Er sagt: „Die Pöbelfälle sind mehr geworden.“ Körperlich sei er noch nicht bedroht worden, doch verbale Entgleisungen hat er erlebt. „Im Rathaus fordere ich solche Bürger auf, zu gehen. Auf der Straße gehe ich einfach weiter.“ Ein Dialog ergebe dann keinen Sinn mehr. Was empfindet er in solchen Situationen? „Niemand lässt sich gern beschimpfen“, sagt Voß. Er habe sich aber daran gewöhnt, als „erreichbare Verkörperung des Staates“ wahrgenommen zu werden. Er versuche, das nicht so nah an sich heran zu lassen. Es gebe jedoch einen kleinen Kreis von Pöblern, das seien meist ältere Männer.
Ehrverletzende Attacken und Gepöbel im Internet
Mit ehrverletzenden Attacken sieht sich der Ahrensburger Verwaltungschef im Internet konfrontiert. Es gebe einen Blogger, „für den bin ich offenbar ein Feindbild. Aber das, was dort über mich und andere verbreitet wird, ist unter aller Qualität und völlig indiskutabel. Das berührt mich nicht.“ Auf offener Straße oder bei Versammlungen sei ihm so etwas noch nicht widerfahren. „Zum Glück“, sagt Sarach, „geht es in der Schlossstadt gemäßigt zu“. Nur kämen hin und wieder aufgebrachte Parksünder in sein Rathaus-Büro, forderten ihn auf, Tickets wegen Falschparkens zurückzunehmen. „Das geht natürlich nicht.“
Von leidvollen Erfahrungen berichtet auch der ehemalige Reinbeker Bürgermeister, Axel Bärendorf: „Gegen mich wurde eine haltlose Strafanzeige erstattet. Wegen einer Ampel, die wegen Stromausfalls versagte.“ Das Gästebuch auf seiner Internetseite nutzten anonyme Absender, um ihn zu bepöbeln. „Schlimm war, dass im Internet mit unwahren Behauptungen gegen mich Stimmung gemacht wurde. Besonders sogenannte soziale Medien wie Facebook und Twitter wurden dazu genutzt.“ Er ruft alle Bürger dazu auf, „Politikern und Bürgermeistern mit offenem Visier zu begegnen. Nur dann können sie sich mit Kritik ernsthaft auseinandersetzen.“
Auch Heiko Gerstmann, Bürgermeister von Reinfeld, erreichten Mails, „dass einem die Ohren schlackerten“, wie er sagt. Anlass war die Verhaftung eines Reinfelder Flüchtlings im September 2016, der der Unterstützung der Terrororganisation IS verdächtigt wird. „Die trieften nur so vor Fremdenhass“, sagt Gerstmann. Es seien drei oder vier Mails gewesen, anonym. „Ich habe geantwortet und ein Gespräch angeboten, Reaktionen gab es nicht.“ Sein Eindruck: „Der Ton wird immer rauer.“
Landrat beklagt mangelnden Respekt bei vielen Bürgern
Auch Kommunalpolitiker, die im Zusammenwirken mit den Verwaltungen Verantwortung tragen, vermissen oft den nötigen Respekt. Ebenso wie Mitarbeiter der Behörden. Landrat Henning Görtz: „Die Ämter haben sich sehr gewandelt. Heute wird der Bürger als Kunde betrachtet, nicht als Störfaktor. Doch der Respekt, den wir den Kunden zollen, den lassen manche Bürger vermissen.“ Viele seien eigennütziger geworden, verlören den Gemeinsinn aus den Augen. Görtz, der von 2008 bis April 2016 die Geschicke der Stadt Bargteheide leitete, ist besonders besorgt über die wachsende Respektlosigkeit gegenüber Polizeibeamten, Sanitätern und Feuerwehrleuten.
Glindes Bürgermeister Rainhard Zug kann sich noch genau an jenen Tag erinnern, an dem er mit dem damaligen Innenminister Andreas Breitner die Mahnwache einer Initiative vor dem inzwischen geschlossenen Thor-Steinar-Laden besuchte. Dort wurde bei Rechtsradikalen beliebte Kleidung verkauft. „Ein Bürger hat uns lautstark beschimpft, kam auf uns zu.“ Das Sicherheitspersonal des Ministers schritt ein. Zug hat mehrmals an Demos gegen das Geschäft teilgenommen. Danach wurde er in anonymen E-Mails als „Volksverräter“ beschimpft. „Ich habe das an Polizei und Verfassungsschutz weitergeleitet.“
Zwischentüren, um schnelle Hilfe zu gewährleisten
Angst habe er in seinem Job nicht. Körperliche Übergriffe auf ihn oder Mitarbeiter habe es im Rathaus während seiner Amtszeit nicht gegeben. Zug: „Bei Diskussionen über Straßenausbaugebühren gibt es aber Menschen, die sehr persönlich werden.“ Im Sozialamt gebe es Bürger, die lautstark seien. Dort sind die Büros mit Zwischentüren ausgestattet, damit bei Bedarf schnell Hilfe vor Ort ist. Rainhard Zug: „Und im Rathaus gibt es Telefone mit einem Notknopf.“
Einen Notknopf gibt es auch im Oldesloer Rathaus, sagt Bürgermeister Jörg Lembke. Zu verbalen Auseinandersetzungen komme es in der Kreisstadt immer wieder, Übergriffe seien jedoch selten. „Passieren kann das aber überall“, sagt er am Beispiel von Rendsburg, wo ein Steuerberater vor drei Jahren einen Finanzbeamten erschoss. Lembke, seit 2016 hauptamtlicher Bürgermeister, ging dieser Tätigkeit zuvor bereits acht Jahre ehrenamtlich in der Nachbargemeinde Feldhorst nach. Physische Gewalt habe der ausgebildete Polizeibeamte zwar nicht erlebt, aber von Beleidigungen im Netz weiß er. „Ich bin dort aber nicht selbst aktiv.“ Im persönlichen Umgang erlebe er die Bürger wesentlich moderater, gehe deswegen nicht mit Angst zum Dienst. „Der Respekt von früher ist jedoch passé“, so das bittere Fazit von Jörg Lembke.
Wissenschaftlerin sagt: Pöbler sind im Internet enthemmt
Eine regelrechte „Online-Enthemmung“ beobachtet Katharina Kleinen-von Königslöw. Die Wissenschaftlerin forscht an der Universität Hamburg zur Wirkung von Kommunikation im Internet. „Anonymität verbunden mit der Unsichtbarkeit des Gegenübers führt dazu, dass soziale Umgangsformen abgelegt werden“, sagt die Professorin. Einen nennenswerten Unterschied, ob die Person persönlich bekannt ist, gebe es nicht. Die Zahl der Internetnutzer werde größer, damit auch die Zahl derer, die dieses Forum zum Pöbeln nutzt. „Viele kommentieren dort mit ihrem echten Profil und machen sich keine Gedanken über die sozialen und rechtlichen Konsequenzen ihres Handelns“, sagt Kleinen-von Königslöw. Eine entsprechende Atmosphäre wirke dann auf weitere Kommentatoren ansteckend, gemäßigte Teilnehmer verließen die Diskussion.
Ein gesamtgesellschaftliches Problem macht Bargteheides Bürgermeisterin Birte Kruse-Gobrecht aus. „Der Umgang miteinander erreicht häufig eine neue Heftigkeit. Wenn Menschen ihrer Unzufriedenheit Luft machen, werden Grenzen schneller überschritten.“ Sie selbst werde in E-Mails oder Internetkommentaren immer wieder in harschem Tonfall angegriffen, habe darüber hinaus aber „keine nennenswerten“ Erlebnisse gemacht. „Manchmal fragt man sich schon, ob gewisse Formulierungen so wirklich nötig sind“, sagt sie. Für die Zukunft sei es wichtig, dass Verwaltungsmitarbeiter entsprechend ausgebildet werden, um in kritischen Situationen deeskalierend wirken zu können. Vor allem im Ordnungsbereich gehe es „nicht immer friedlich“ zu.
Ammersbeks Bürgermeister erlebte Schmutzkampagne
In Ammersbek ist Bürgermeister Horst Ansén bisher relativ ruhig durchs Rathausleben gekommen. „Kritik muss man aushalten können“, sagt er, „das gehört zum Job dazu.“ Vor seiner Wiederwahl 2014 war der Bogen aber überspannt worden bei einer Schmutzkampagne mit anonymen Aufklebern. „The incredible Horst – gefährlich und unberechenbar“ oder auch „Horst muss weg“ stand auf Stickern. Er könne nachvollziehen, dass es Menschen gebe, die ihn kritisierten, sagte der Verwaltungschef damals. Aber das sollte offen geschehen. Mit mehr als drei Jahren Abstand sieht er den Vorfall gelassen: „Das war eine Sondersituation im Wahlkampf.“
Eine Sondersituation musste auch Hoisdorfs ehrenamtlicher Bürgermeister Dieter Schippmann (Wählergemeinschaft DGH) durchstehen. „Die Schweinerei war der Gipfel“, sagt er. Mit „Schweinerei“ meint der Kommunalpolitiker, der im 24. Jahr Bürgermeister ist, den Streit um eine neue Schweinemastanlage, die das Dorf vor drei Jahren in zwei verfeindete Lager spaltete. „Damals ging sehr viel unter die Gürtellinie, es wurden Gerüchte gestreut, der Landwirt bekam sogar Morddrohungen.“ Er sei froh, dass sich die Wogen wieder geglättet haben. Grundsätzlich sei zu beobachten, dass viele Gruppen und Vereine schneller nach „der Gemeinde“ riefen, die alles zu erledigen habe. „Anspruchsdenken auf der einen Seite und Eigeninitiative auf der anderen klaffen auseinander“, sagt Schippmann. Auch er ist für direkte Gespräche. „Ich sag’ den Leuten: Ruft mich an, wenn ihr etwas habt. Man kann über alles reden.“ Allerdings sollte man auf der sachlichen Ebene bleiben – was nicht immer der Fall sei: „Der Egoismus nimmt zu, etliche Menschen sehen einzig ihre Seite.“
Streit um Steuer wurde für Vize-Bürgermeister bedrohlich
Auch Ulrike Stentzler (CDU), Bürgermeisterin in Lütjensee, kennt Anfeindungen. „Ich erinnere mich an ein Telefongespräch. Ich bin massiv verbal angegriffen worden.“ Sie habe sich persönlich sehr verletzt gefühlt. Der Anrufer hatte sich über eine Entscheidung geärgert und befürchtet, dass der Verkehr und Lärm vor seiner Haustür zunehmen werde. Es seien insbesondere Nachbarschaftsstreitigkeiten oder Verkehrsangelegenheiten, die zu Anfeindungen führten. „Das passiert in E-Mails oder per Telefon.“ Auch Bürger, die sich über Falschparker oder Raser ärgern, ließen ihren Frust bei der Bürgermeisterin ab. „Dabei sind wir bei vielen Verkehrsfragen gar nicht zuständig.“ Pöbler erkenne sie manchmal schon an der Telefonnummer. „Werde ich beschimpft, beende ich das Gespräch.“ Auch Stentzler möchte, dass sich die Menschen direkt ansprechen. „Denn Missstände kann man anders vermitteln“, sagt die Bürgermeisterin. „Heftige Kritik kam auch auf, als wir Flüchtlinge untergebracht haben.“ Einwohnerversammlungen hätten geholfen, Konflikte zu lösen.
Für Lothar Metz (Wählergemeinschaft BGT), stellvertretender Bürgermeister von Tangstedt, war es die Diskussion um die Pferdesteuer, die die Bürger gegen ihn aufbrachte. „Es gab eine Mahnwache, die wirkte durchaus bedrohlich auf mich“, sagt der Stormarner. Passiert sei – von verbalen Beleidgungen unter der Gürtellinie abgesehen – glücklicherweise nichts. „An den Ton musste ich mich trotzdem gewöhnen“, so der Kommunalpolitiker.
Oststeinbeks Bürgermeister Jürgen Hettwer kann sich in seiner vierjährigen Amtszeit an einen Fall erinnern, in dem ein Mitarbeiter im Ordnungsamt von einem Bürger verbal so laut angegangen worden sei, dass Kollegen sofort ins Büro stürmten und deeskalierten. Er selbst habe keine Sorge, dass jemand auf ihn losgehe. „Wenn der Gegenüber eine andere Sicht der Dinge hat und aggressiv wird, schildere ich meinen Standpunkt und bitte um Verständnis“, sagt der Verwaltungschef. Trotzdem hat das Rathaus vorgesorgt und die EDV-Anlage aufgerüstet. Wird ein Mitarbeiter bedroht oder attackiert, löst er über einen Knopfdruck ein Notsignal aus, das Kollegen in den drei benachbarten Büros alarmiert.