Ahrensburg/Elmenhorst. Ein Drittel aller Mediziner geht in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Die Vermutung: Unterversorgung in ländlichen Regionen.

Die gute Nachricht: Die Menschen in Stormarn sind zurzeit medizinisch bestens versorgt. Die schlechte: Der Blick in die Zukunft bereitet Sorgen. Zwar gibt es laut Kassenärztlicher Vereinigung (KV) derzeit im Kreis 151 Hausärzte, was einem Versorgungsgrad von 117 Prozent entspricht. Und auch bei den Fachärzten ist eine ausreichende Versorgung gewährleistet.

Doch beim Blick auf die Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte wird deutlich, dass sich die Situation in den nächsten Jahren verschlechtern wird. „Ein Drittel der Hausärzte geht in den Ruhestand“, sagt Marco Dethlefsen Sprecher der KV in Schleswig-Holstein. „Es ist fraglich, ob wir die frei werdenden Arzt-Sitze neu besetzen können. Gerade in strukturschwachen Gebieten ist es schwierig, Nachfolger zu finden.“

Junge Ärzte scheuen die Selbstständigkeit

Diese Probleme kennt der Elmenhorster Allgemeinmediziner Dr. Hans-Jochen Petersen. Der 73-Jährige ist noch voll berufstätig. „Ich habe Spaß an der Arbeit, doch mit 75 ist endgültig Schluss“, sagt der rüstige Landarzt. Darüber, wer seine Praxis in Zukunft weiterführen wird, macht sich Petersen Gedanken. „Immer weniger junge Ärzte sind bereit, sich auf dem Land niederzulassen, oder scheuen die Selbstständigkeit.“

Diesen Trend bestätigt die KV. Marco Dethlefsen: „Junge Mediziner haben heute andere Vorstellungen. Häufig ist eine Festanstellung in einem Ärztezentrum attraktiver als eine Einzelpraxis auf dem Land. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat deutlich an Gewichtung zugenommen.“

Auch Gemeinden könnten einen Arzt-Sitz erwerben

Um die medizinische Versorgung seiner Patienten zu sichern, hat Petersen sich etwas überlegt. „Eine Gemeinde kann sich um einen Arzt-Sitz bewerben und ein Versorgungszentrum betreiben. Ich könnte meine Zulassung an die Gemeinde verkaufen, und diese stellt einen Arzt ein.“ Gespräche in diese Richtung habe er allerdings noch nicht geführt.

Wer in den Städten Stormarns wohnt, muss einen Ärztemangel nicht befürchten. In Ahrensburg zum Beispiel praktizieren aktuell 88 Ärzte, darunter 25 Hausärzte. In Bad Oldesloe sind es 57 (25 Hausärzte), in Glinde 29 (14 Hausärzte) und in Reinbek 46 (13 Hausärzte). Schlechter sieht es in den ländlichen Regionen aus. Häufig ist nur ein Mediziner vor Ort, etwa in Zarpen, Elmenhorst, Stapelfeld und Großensee.

Arzt vom Land betreut alle Altersgruppen

Matthias Ogilvie hat seine Praxis in Steinburg. Außer ihm gibt es im weiteren Umkreis nur noch einen Psychotherapeuten. Für den Allgemeinmediziner auf dem Land sind Hausbesuche gerade bei älteren Menschen oder schwer kranken Patienten, die nicht mehr in seine Praxis kommen können, selbstverständlich. Dafür fährt er mehrfach die Woche etliche Kilometer über das Land. Die Mehrkosten dafür bekommt er nicht erstattet. „Denn ein Hausbesuch zählt auch auf dem Land nicht mehr zum Standard“, sagt der 61-Jährige zum Abendblatt. Er sieht darin allerdings einen großen Vorteil, sagt: „Man nimmt den Patienten in seinem direkten Umfeld wahr.“

Dass ein Hausbesuch eines Arztes bald Luxus werden könnte, bereitet Dagmar Wagner, Patientin von Dr. Ogilvie, Sorgen. „Gerade auf dem Land ist die Bereitschaft der Ärzte dazu wichtig“, sagt die 64-Jährige, die seit mehr als 30 Jahren in Mollhagen lebt. Bei der Pflege ihrer Schwiegereltern habe sie den persönlichen Einsatz von Matthias Ogilvie sehr zu schätzen gewusst. Ein Arzt auf dem Land betreut vom Kleinkind bis zum Senior alle Altersgruppen.

Veraltet: Numerus Clausur für Medizinstudium

Ob Ogilvie in ein paar Jahren, wenn er selbst in den Ruhestand gehen möchte, einen Nachfolger für seine Praxis findet, ist nicht absehbar. „Früher hat ein Arzt mehr als 50 Stunden in der Woche gearbeitet. Das will heute keiner mehr. Dazu noch das unternehmerische Risiko einer Selbstständigkeit“, sagt der Mediziner. „Die Honorierung unserer Leistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen ist zu gering. Der Arztberuf ist mit zu viel Bürokratie überlastet.“ Mehr als 1000 Patienten behandelt Matthias Ogilvie pro Quartal. Ein weiteres Problem sei der kontinuierlich steigende Anspruch, den die Patienten an die medizinische Versorgung stellen. Ein Landarzt müsse ein viel breiteres Spektrum bedienen und könne nicht so einfach an einen Facharzt weitervermitteln.

Eine geplante Landarztquote lehnt Ogilvie trotzdem ab. Auch hält er den Numerus Clausus (NC) für ein Medizinstudium sowie lange Wartelisten für veraltet. „Medizin ist ein anspruchsvolles Studium, das nur gelingt, wenn man fleißig ist und weiß, wofür man lernt.“ Eine medizinische Vorausbildung beispielsweise als Krankenpfleger oder Rettungssanitäter hingegen sei sinnvoll und müsse mehr anerkannt werden.

Petersen übt seit 1972 seinen Beruf aus

Dr. Hans-Jochen Petersen macht sich Gedanken über einen Nachfolger für seine Praxis
Dr. Hans-Jochen Petersen macht sich Gedanken über einen Nachfolger für seine Praxis © HA | Christina Schlie

Diese Meinung unterstützt sein Kollege aus Elmenhorst. Hans-Jochen Petersen sagt: „Lebenserfahrung, soziales Engagement und viel Geduld zeichnen einen guten Mediziner aus.“ Für einen Landarzt komme noch eine besondere Identifizierung mit seinen Patienten hinzu. „Ich kann noch Platt mit meinen Patienten sprechen“, so Petersen, der seit 1972 seinen Beruf ausübt.

„Das Zulassungsverfahren zum Medizinstudium muss dringend reformiert werden“, sagte Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer bereits im Oktober dem Abendblatt. Eine Entscheidung über die Numerus-clausus-Regel bei Studienplätzen für Mediziner liegt aktuell beim Bundesverfassungsgericht.