Bargteheide. Statt auf Maximierung des individuellen Nutzens setzt die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie auf Solidarität und Nachhaltigkeit.

Zunächst ist es nur eine Idee. Doch wenn es nach den Befürwortern der Gemeinwohl-Ökonomie geht, könnte sich Stormarn als erster Kreis in Deutschland im Sinne des nachhaltigen Modells zertifizieren lassen. Das Konzept des Österreichers Christian Felbers setzt auf Kooperation statt Konkurrenz. Und auf das Wohl der Gemeinschaft statt auf Maximierung des individuellen Nutzens. Am kommenden Mittwoch, 11. Oktober, kommt Felber ins Kleine Theater in Bargteheide, stellt sein Modell vor und diskutiert.

Mehr als 80 Regionalgruppen und 350 Unternehmen haben sich in Deutschland bereits Felbers Bewegung angeschlossen – darunter auch vier städtische Unternehmen in Stuttgart und die Sparda Bank München. Doch benötigt Stormarn überhaupt eine neue Wirtschaftsordnung und wie könnte diese umgesetzt werden? „Wir wagen in Bargteheide einen Blick in die Zukunft und schauen, wie sich die Wirtschaft entwickeln könnte“, sagt Birte Kruse-Gobrecht, Bürgermeisterin von Bargteheide. „Der Kreis Stormarn könnte von der Gemeinwohl-Ökonomie profitieren. Nun geht es darum, sich genauer mit dieser Idee auseinanderzusetzen.“

Landrat Görtz befürwortet die soziale Marktwirtschaft

Als Gegenentwurf zum Kapitalismus soll sich solidarisches Handeln in der Gemeinwohl-Ökonomie auszahlen und das Handeln von Unternehmen sichtbar werden. Je sozialer, ökologischer, solidarischer und demokratischer ein Unternehmen agiert, desto positiver fällt nach diesem Modell seine Nachhaltigkeitsbilanz aus. Eine „Belohnung“ für das am Gemeinwohl orientierte Handeln sieht Christian Felber unter anderem in einer möglichen Senkung der Mehrwertsteuer, niedrigeren Zöllen, günstigeren Krediten staatlicher Banken und einer Bevorzugung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Eine erste Auftaktveranstaltung in Stormarn gab es bereits im November 2016. Dabei kamen Verantwortliche des Kreises zusammen, um einen ersten Überblick zu bekommen. Mit dabei auch Landrat Henning Görtz, der als gelernter Betriebswirt ein Befürworter der sozialen Marktwirtschaft ist. Er sagt: „Die bestehende Wirtschaftsform ist der beste Kompromiss zwischen einer totalen Reglementierung durch den Staat und dem absoluten Egoismus der Menschen. Allerdings finde ich es mit Blick auf die Probleme der Welt interessant, auch einmal quer zu denken, um die Situation für Mensch, Natur und das Gemeinwesen zu verbessern.“

Birte Kruse-Gobrecht, Bürgermeisterin von Bargteheide
Birte Kruse-Gobrecht, Bürgermeisterin von Bargteheide © Melissa Jahn | Melissa Jahn

Es sei nicht das Ziel, alles komplett umzukrempeln, sagt Bargteheides Bürgermeisterin. Vielmehr müsse man sich den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft stellen und schauen, welche Ursachen es die Unzufriedenheit in manchen gesellschaftlichen Bereichen gebe. „Viele Menschen wünschen sich eine stärkere Beteiligung“, sagt Kruse-Gobrecht. „Es lohnt sich, Experten aus der Bevölkerung zu hören – ohne jedoch politische Entscheidungsträger auszuhebeln. Hier benötigen wir Struktur und Spielregeln, die die GWÖ bieten könnte.“ Es gehöre Mut dazu, einmal in eine andere Richtung zu denken, sagt die Impulsgeberin, die die Idee erstmals in ihrer Zeit als Gleichstellungsbeauftragte nach Stormarn holte. Sie sagt: „Es handelt sich bei der GWÖ um einen fundierten Ansatz, der nach der Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses sogar in den europäischen und auch einzelstaatlichen Rechtsrahmen integriert werden soll. Wir stehen jedoch am Anfang und müssen uns in Ruhe über Möglichkeiten und Ziele informieren.“

Hamburger Unternehmer berichtet von Erfahrungen

Im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie zertifiziert ist bereits das Hamburger Unternehmen Zimmerwerkstatt. Der erste Schritt war die Erstellung einer Bilanz, die Werte wie Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Transparenz erfasst und mit dem Arbeitsprozess in Bezug bringt. Kooperationen mit fragwürdigen Unternehmen, Dumpingpreise oder die Nutzung von Atomstrom könnten hier als negativ Kriterien einfließen. „Wir haben uns schon vorher bemüht, ausschließlich zertifizierte Materialien zu verwenden“, sagt Tischler Michael Weber.

Während die erste Evaluierung noch in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen erstellt werden konnte, muss die zweite Bilanz separat erfolgen und kostet die Zimmerwerkstatt rund 1000 Euro. Eine Ausgabe, die sich lohnt, findet Weber: „Wir haben lange nach einem Rahmen gesucht, um unseren Nachhaltigkeitsgedanken für unsere Kunden sichtbar zu machen. Der umfassende Blick auf das Unternehmen zeigt die Schwachstellen genau.“ Er wolle neben seiner Arbeit in der Werkstatt politisch und gesellschaftlich etwas bewirken. „Mehr Kunden haben wir durch unser Zertifikat nicht bekommen“, so Weber. „Langfristig sind monetäre Vorteile im Bezug auf die Mehrwertsteuer jedoch geplant.“

„Der Prozess kann nicht von oben befohlen werden“

Detlev Hinselmann, Chef der Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft
Detlev Hinselmann, Chef der Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft © Birgit Schücking | Birgit Schücking

Detlev Hinselmann, Geschäftsführer der Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft Stormarn, gestaltet die Rahmenbedingungen des Kreises aktiv mit. Im Fokus: die wirtschaftliche Entwicklung Stormarns. „Wettbewerb, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und soziale Kompetenz sind der entscheidende Motor für unsere Region“, so Hinselmann. „Stormarn gehört seit Jahren zu den Top-Ten der Wirtschaftsstandorte der Bundesrepublik.“ Kritisch betrachtet Hinselmann vor allem die Gemeinwohl-Bilanz, die mit einem enormen Aufwand verbunden wäre und möglicherweise mit einer Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen einhergehe. „Darüber hinaus sind viele Faktoren nicht unmittelbar messbar oder vergleichbar“, sagt der Wirtschaftsexperte. „Wohlbefinden, Sicherheit, ökologische Stabilität oder sozialer Zusammenhalt sind subjektive Empfindungen.“

Dennoch sieht Hinselmann eine Entwicklung, die sich in die gleiche Richtung bewege. Statt Gehalt gelten Faktoren wie Arbeitsweg, -umfeld und ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit als entscheidende Faktoren, um Mitarbeiter zu halten. Dies sei ein politischer sowie gesellschaftlicher Diskurs, dem sich die Wirtschaft – insbesondere in Bezug auf den Fachkräftemangel – stellen müsse, so Hinselmann: „Wir sollten uns mit den menschlichen aber auch ökologischen Belangen auseinandersetzen. Dieser Prozess kann jedoch nicht von oben befohlen werden. Er sollte von den Betrieben und Menschen ausgehen.“

Nächste Veranstaltungen: Vortrag von Christian Felber, 11. Oktober, 19.30 Uhr,
Kleines Theater Bargteheide.
Workshop für Verwaltungsleitungen und politische Entscheidungsträger: Gemeinwohl-Ökonomie: Ein Wirtschaftsmodell für Stormarn? 12. Oktober, 9 bis 12.30 Uhr Stadthaus
Workshop der Volkshochschule: Gemeinwohl-Ökonomie: Ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft?
6. November, 19 bis 21 Uhr, Stadthaus