Elmenhorst. Ulf Zemann zeigt in Seminaren die richtigen Handgriffe bei einer Bergungsaktion – an einem 200 Kilogramm schweren Pferde-Dummy.
Es ist das Horrorszenario eines jeden Pferdeliebhabers: Das Tier gerät während eines Ausritts in Panik. Orientierungslos steuert es auf einen tiefen, morastigen Graben zu und stürzt ab. Das 600 Kilogramm schwere Lebewesen begräbt den Reiter in der schlammigen Masse unter sich.
„Ein derartiger Vorfall, wie er sich vor geraumer Zeit in einem Waldgebiet in der Nähe von Tangstedt ereignet hat, ist zum Glück selten, kann in einem Reiterparadies wie dem Kreis Stormarn aber jederzeit vorkommen“, sagt Ulf Zemann. Der Elmenhorster ist Mitarbeiter im Rettungsdienst des Arbeiter-Samariter-Bunds, Regionalverband Stormarn/Segeberg. Er sagt: „Bei einer Rettungsaktion müssen die einzelnen Abläufe und jeder Handgriff bis in das kleinste Detail sitzen.“
Rettter sollten sich außerhalb der Kicking-Zone aufhalten
Die Rettungskräfte verstanden seinerzeit ihr Handwerk. Der herbeigeeilte Tierarzt verabreichte dem Pferd zunächst eine leichte Betäubung. Anschließend fixierten die am Unfallort ebenfalls eingetroffenen Hilfskräfte der Feuerwehr das Tier mit Seilen und Gurten und zogen es behutsam aus der schlammigen Aushebung. Die Frau kam mit erheblichen Beckenverletzungen in ein naheliegendes Krankenhaus. Das Pferd blieb unverletzt.
„Die Sicherheit des Rettungspersonals steht in einem Notfall immer an erster Stelle“, betont Zemann. „In der ganzen Hektik vernachlässigen die Rettungskräfte häufig die eigene Sicherheit. Oberstes Gebot bei der Bergung eines Pferdes oder eines anderen Großtieres besagt, sich stets außerhalb der Reichweite der Pferdebeine – der sogenannten Kicking-Zone – aufzuhalten.“
Seminar-Teilnehmer üben an einem Pferde-Dummy
Der 52 Jahre alte Elmenhorster ist auf die Rettung von großen Tieren spezialisiert. Seit gut einem Jahr bietet er in der Region Seminare an. Eigens dafür hat er einen mehr als 200 Kilogramm schweren, lebensgroßen Pferde-Dummy angeschafft. Kopf, Hals, Schulter und alle weiteren Gelenke können einzeln bewegt werden.
„An einem mehrere hundert Kilogramm schweren lebenden Objekt die jeweiligen Handgriffe einzustudieren, ist keine so gute Idee“, sagt Zemann und lacht. „Ein Dummy bewahrt auch ohne eine Sedierung die Ruhe. An ihm können die Seminar-Teilnehmer die einzelnen Techniken so oft wiederholen, bis sie ihnen in Fleisch und Blut übergegangen sind.“
Reiter unterschätzen oft die Gefahren in der Stallgasse
Zemann zeigt, wie Rettungskräfte ein verletztes Pferd allein durch ihre gebündelte Muskelkraft aus der Gefahrenzone bewegen können. „Dafür müssen sie aber bestimmte Roll- und Schleiftechniken beherrschen“, sagt der 52 Jahre alte Vorsitzende des RFV Mittelstormarn. „Die Gurte sollten sie zudem immer so anlegen, dass diese von allein abfallen, wenn das Pferd sich plötzlich aus eigener Kraft befreit.“
Eine Rettungsaktion mit Einsatz eines Frontladers oder Krans zählt ebenfalls zu den gängigen Notfallmaßnahmen. „Wenn ein Pferd den Boden unter den Hufen verliert, hört es sofort auf, mit den Hufen zu strampeln“, erzählt der Ausbilder. „Demzufolge ist besondere Vorsicht geboten, wenn die Helfer das Tier später wieder auf sicherem Terrain absetzen.“
Gegen einen Tritt mit dem Hinterhuf hat ein Mensch keine Chance
Zemann warnt vor Risiken in Alltagssituationen. „Der Fluchtinstinkt eines Pferdes überwiegt das antrainierte Verhalten“, sagt er. „Es gibt Reiter, die halten ihr Pferd für einen harmlosen Partner, dem sie blindlings vertrauen können. Der Aufenthalt in der Pferdebox oder der Stallgasse birgt aber aufgrund der Enge Gefahren, die meist nicht erkannt werden.“
Zemann warnt, die Kraft eines Pferdes zu unterschätzen. „Wenn ein 600 Kilogramm schweres Tier einen Menschen versehentlich gegen die Wand drückt, hat dieser keine Chance“, sagt Zemann. „Ein Tritt mit dem Hinterhuf entwickelt Kräfte von bis zu 260 Kilogramm. Dem hat ein menschlicher Knochen nichts entgegen zu setzen.“
Mit Erste-Hilfe-Kursen für Hundebesitzer fing alles an
Beim sogenannten Festliegen eines Pferdes in der Box ist Vorsicht ebenfalls oberstes Gebot. „Pferde können sich in der Nacht während des Hinlegens so nah an die Wand ihrer Box quetschen, dass sie später von selbst keine Chance mehr haben, wieder aufzustehen. Die Situation in einer derart engen Umgebung allein zu lösen, birgt für einen unerfahrenen Menschen erhebliche Risiken.“ Die Reaktionszeit eines Pferdes sei kürzer als die des Menschen, sagt Zemann. „Wenn ein Pferd einen Treffer landen will, gelingt es ihm mit hoher Sicherheit auch.“
13 Seminare über Bergetechniken von Großtieren hat Zemann in der zurückliegenden zwölf Monaten geleitet. Anfang der 1990er-Jahre begann er mit Erste-Hilfe-Kursen für Hundebesitzer. Zemann war der erste Seminarleiter in Deutschland, der seine Schützlinge an einem Hunde-Dummy üben ließ. „Sein Name war Jerry, ihn hatte ich mir aus den USA besorgt“, sagt Zemann.
Doch nicht nur die Bergung von Pferden ist ein Spezialgebiet des 52-Jährigen, auch Rinder können in Bredouille geraten. „Bei ihnen ist der Grund häufig auf eine unsachgemäße Haltung zurückzuführen“, sagt Zemann. „So mancher Spaltenboden in den Stallungen ist derart alt und morsch, dass er das Gewicht des Rindviehs nicht mehr trägt.“