Ahrensburg. Details über Islamisten in Stormarn gibt Verfassungsschutz nicht heraus. Salafisten werben bei Flüchtlingen. Neues Präventionsprogramm.
Nach der Messerattacke eines Islamisten Ende Juli im Hamburger Stadtteil Barmbek mit einem Toten überprüft die Innenbehörde der Hansestadt noch einmal alle 400 Hinweise der vergangenen eineinhalb Jahre auf eine mögliche Radikalisierungen von Menschen. In Schleswig-Holstein gehe die Polizei entsprechenden Hinweisen bereits intensiv nach, so ein Sprecher des Staatsschutzes.
Auch änderten Terroranschläge nichts am Umgang mit ausreisepflichtigen Islamisten. „Entsprechende Fälle werden unverändert mit oberster Priorität behandelt“, so der Sprecher. Wie viele Islamisten ausreisepflichtig sind, sagt das Innenministerium in Kiel nicht. „Die Beantwortung ließe Rückschlüsse auf Betroffene zu“, so Ministeriumssprecherin Dörte Mattschull. Tatsächlich wurden weder dieses Jahr noch 2016 Islamisten abgeschoben.
Der Verfassungsschutz geht derzeit von 460 Islamisten aus, die sich in Schleswig-Holstein aufhalten. Die Zahl steigt weiter. Im Vorjahr erfasste die Behörde 440 Islamisten, 2015 waren es 370. Als Islamisten bezeichnet der Verfassungsschutz Menschen, deren Ideologie nicht mit einem demokratischen Staatssystem vereinbar ist.
Besondere Form des Islamismus: Salafismus
Die stetige Zunahme lässt sich seit 2015 auf eine besondere Form des Islamismus zurückführen – den Salafismus. Verfassungsschützer zählen derzeit 390 Anhänger, 2016 waren es 370, 2015 erst 300. Salafisten akzeptierten weder Andersgläubige noch Muslime, die einem moderneren Islam angehören.
Wie viele Salafisten in Stormarn beobachtet werden, will der Verfassungsschutz aus operativen Gründen nicht sagen. „Zu den salafistischen Zentren Schleswig-Holsteins zählen die Städte Lübeck, Neumünster und Kiel sowie die Region Hamburger Rand“, sagt Mattschull. Der Großteil der in Schleswig-Holstein lebenden Islamisten habe sich erst in Deutschland radikalisiert.
Missionierungstätigkeit von Salafisten bei Flüchtlingen
Verfassungsschützer beobachten eine intensive Missionierungstätigkeit von Salafisten bei Flüchtlingen. Sie bieten beispielsweise ihre Hilfe als Übersetzer an und versuchen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Vor allem junge und wenig gefestigte Flüchtlinge geraten ins Visier der Salafisten. Die Extremisten nutzen die Sprache der Jugend und die Jugendkultur. Propagandavideos sind wie westliche Spielfilme aufgenommen oder erinnern an beliebte Videospiele.
Insbesondere dschihadistische Salafisten, die zum bewaffneten Kampf und Terrorakten aufrufen, rekrutieren laut Verfassungsschutz zunehmend Jugendliche. So waren unter den 33 Dschihadisten, die aus Schleswig-Holstein nach Syrien oder in den Irak gereist sind, um sich dort offensichtlich einer Terrororganisation wie dem IS anzuschließen, auch Jugendliche.
Präventionsprogramm bildet Lehrer und Streetworker aus
Um einer Radikalisierung entgegenzuwirken, gibt es in Schleswig-Holstein unter anderem das Präventionsprogramm „Provention“. Es setzt zunächst darauf, Lehrer und Streetworker zu schulen, aber auch auf die Beratung der Angehörigen von Betroffenen. So können vorinformierte Lehrer besser und eher eine Radikalisierung feststellen. Der Verfassungsschutz hat aber keine Erkenntnisse darüber, dass Salafisten an Schulen Jugendliche anwerben. Das Programm gegen religiös begründeten Extremismus ist 2015 ins Leben gerufen worden.
Doch woran können Pädagogen und Eltern den Einfluss von Islamisten erkennen? „Das ist schwierig. Häufig wird etwa die Abkehr vom Alkohol zunächst einmal als positives Signal aufgefasst“, sagt Tobias Meilicke, Leiter von Provention. „Ein Alarmsignal ist es, wenn junge Menschen aufhören, Musik zu hören und das als verboten bezeichnen.“ Doch so eindeutige Anzeichen gibt es nicht immer.
„Der Islamismus in Deutschland hat unterschiedliche Erscheinungsformen“, sagt Innenministeriumssprecherin Dörte Mattschull. „Somit ist das Weltbild auch nicht immer frei von Widersprüchen.“ In nahezu allen Phänomenbereichen verwendeten Extremisten lediglich wenige Versatzstücke einer komplexen politischen Weltsicht oder einer Religion, um damit ihre extremistischen Handlungen zu rechtfertigen und zu legitimieren. Mattschull: „Widersprüche werden entweder – für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar – ideologisch weggedeutet oder schlichtweg ignoriert.“
Verfassungsschutz um 20 auf 120 Mitarbeiter aufgestockt
Eine besondere Gefahr geht laut Ministerium von drei Gruppen aus. Zum einen sind es Dschihadisten, die zum Beispiel getarnt als Flüchtlinge nach Deutschland einreisen. Vor mehr als einem Jahr wurden drei solcher Terrorverdächtiger in Stormarn festgenommen und müssen sich derzeit vor dem Oberlandesgericht in Hamburg verantworten. Die zweite Gruppe sind sogenannte Rückkehrer, die in Syrien oder im Irak gekämpft haben und inzwischen wieder in Schleswig-Holstein sind. Neun solcher Rückkehrer werden derzeit vom Verfassungsschutz beobachtet.
Die dritte Gruppe sind sogenannte „Homegrown Terrorists“, also Menschen, die sich hierzulande radikalisiert haben. Auch weil die islamistische Szene immer mehr Anhänger hat, wurde der Verfassungsschutz vergangenes Jahr um 20 Mitarbeiter auf 120 aufgestockt. Mattschull: „Die Anschläge in Hamburg und in Berlin unterstreichen erneut die Einschätzung der Sicherheitsbehörden zur Gefahr des islamistischen Terrorismus in Deutschland und fügen sich in das aktuelle Gefährdungslagebild ein.“ Demnach sieht der Verfassungsschutz weiterhin „eine anhaltend hohe abstrakte Gefährdung für islamistisch motivierte Gewalttaten bis hin zu terroristischen Anschlägen“.