Ahrensburg/Bad Oldesloe. Neuer Arbeitskreis in Ahrensburg will Personalnot bei Heimen und Pflegediensten dokumentieren und Forderungen an die Politik formulieren.
„Der Mangel an Fachkräften ist ein akutes Problem“, sagt Susanne Freese, die das Netzwerk trotzALTER vom Peter-Rantzau-Haus aus koordiniert. Die 36 Mitglieder aus Ahrensburg und Umgebung haben sich deswegen entschlossen, einen Arbeitskreis Pflegenotstand einzurichten. „Wir haben eine Umfrage unter unseren Mitgliedern aus der Branche gestartet, um herauszufinden, wie viele offene Stellen es gibt“, sagt Reinhard Onas, einer der drei Sprecher und Vertreter des Stormarner Betreuungsvereins in dem Gremium. Mit den Ergebnissen wolle sich das Netzwerk an Öffentlichkeit und Politik wenden.
Vorangegangen war ein Bericht dieser Zeitung, wonach die Zahl der Beschwerden in Pflegeheimen in fünf Jahren um 70 Prozent gestiegen ist. Das belegen Erhebungen der Stormarner Heimaufsicht. Nach Ansicht der Aufsichtsbehörde ist die angespannte Personalsituation und der dadurch nötige Rückgriff auf häufig wechselnde Mitarbeiter aus Zeitarbeitsfirmen Hauptgrund für die Missstände.
Keine Konkurrenz unter den Betreibern
Heimleitungen entgegnen, Personalengpässe führten nicht automatisch zu schlechterer Pflege: „Wir kontrollieren uns selbst und akzeptieren keine schlechte Leistung“, sagt Katrin Dähn-Erler, Leiterin des Travedomizils in Bad Oldesloe. Mängel könne es auch bei guter Personalausstattung geben. Durch Delegieren könnten Fachkräfte Aufgaben abgeben, blieben aber in pflegerischer Verantwortung. So gelinge es im Moment noch, den Fachkräftemangel durch Einsatz von Hilfskräften aufzufangen. Das Travedomizil bemühe sich mit Ausbildungsangeboten um Nachwuchs innerhalb von Betrieben, die zur Unternehmensgruppe gehören.
Werben sich Firmen gegenseitig gute Pflegekräfte ab? Nein, heißt es beim Ahrensburger Netzwerk, wie Susanne Freese sagt. „Von Konkurrenz unter den Betreibern ist nichts zu spüren.“ Da es unterschiedliche Pflegeleistungen gibt, gebe es unter den Anbietern auch gegenseitige Empfehlungen, sagt Claudia Sonntag von der Behinderteneinrichtung Stormarner Wege. Netzwerk-Sprecher Onas ergänzt: „Nur muss es die Alternativen auch geben. Viele sind jetzt schon ausgelastet.“ Mit den Beratungsangeboten im Peter-Rantzau-Haus wolle das Netzwerk gerade Interessenten unterstützen, die keinen Platz in ihrer Wunscheinrichtung gefunden haben. „Dazu gibt es zum Beispiel immer am ersten Dienstag im Monat unsere Sprechstunde mit wechselnden Schwerpunkten“, so Onas. Senioren und deren Angehörige seien oft verstimmt, wenn sie von einem Heim abgelehnt wurden. „Wir müssen klar machen, das Anbieter nichts dafür können. Platzmangel ist ein strukturelles Problem“, sagt Reinhard Onas. Selbst Zeitarbeitskräfte seien immer schwerer zu bekommen, ergänzt Sonntag.
Verschärfung der Problematik: Externe Kräfte anfragen
„Zeitarbeit gehört in der Pflegebranche verboten“, sagt Katrin Dähn-Erler vom Travedomizil. Solche Pflegekräfte verdienten wesentlich besser, hätten zudem weniger Verantwortung für Bewohner und Betrieb, sagt Christine Berg, Chefin des Tobias-Hauses in Ahrensburg. „Wir müssen immer mal wieder auf Zeitarbeitskräfte zurückgreifen, dabei kosten sie uns das Doppelte und bringen weniger.“ Das erklärt Berg so: Zeitarbeiter müssten nicht an Fortbildungen oder internen Konferenzen teilnehmen, hätten weniger Pflichten in der Dokumentation. Außerdem sei Zeitarbeit mit Blick auf die Bewohner eine ungeeignete Beschäftigungsform: „Wenn Sie einen Menschen pflegen, wozu oft auch das Waschen gehört, geht das tief in die Intimsphäre. Das sollte nicht jeden Tag ein Anderer machen“, sagt sie. Entsprechend bemühe sich das Tobias-Haus bei Zeitarbeitskräften, immer wieder die selben Mitarbeiter zu buchen. „Es gelingt uns leider nur selten, jemanden zum Bleiben zu überreden.“ Zu verführerisch seien die Bedingungen in der Zeitarbeit. Zum Vergleich: Eine Pflegefachkraft bekommt nach Tarifvertrag des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes nach fünf Berufsjahren 16,25 Euro pro Stunde. Hinzu komme der Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung von ungefähr 20 Prozent, so Berg. Eine Zeitarbeitskraft mit vergleichbarer Qualifikation bekomme hingegen schon 27 Euro, dazu werde noch eine Vermittlungsgebühr von knapp sechs Euro pro Stunde fällig. Das macht zusammen 33 Euro. Bei ungelernten Kräften am unteren Ende der Gehaltsskala stehen 10,83 Euro mindestens 21 Euro inklusive Vermittlungsgebühr gegenüber.
„Das können wir uns gar nicht leisten“, sagt Dähn-Erler vom Travedomizil. Das Haus in Bad Oldesloe komme noch ohne externe Kräfte aus. Sie fürchtet jedoch eine Verschärfung der Personalproblematik durch die jüngst vom Bundestag beschlossene Zusammenlegung der Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege bis 2020. „Gerade für junge Leute ist Arbeit im Krankenhaus attraktiver als mit alten Menschen“, sagt die Einrichtungsleiterin. Hätten entsprechend ausgebildete Menschen die Wahl, werde die Nachwuchsgewinnung für die Altenpflege noch schwieriger. Vor allem, weil Krankenhäuser 200 bis 300 Euro mehr pro Monat bezahlten, wie Christine Berg sagt.
Ebenso problematisch könnte die geplante Einführung einer Pflegekammer sein: „Die Mitgliedschaft wird wahrscheinlich kostenpflichtig, was bei dem niedrigen Gehalt abschreckend wirken könnte“, sagt Claudia Sonntag von den Stormarner Wegen. Außerdem könnte Pflegepersonal zur Kammer wechseln wollen. „Die Arbeit mit den Bewohnern hält nicht jeder bis zur Rente durch“, so Claudia Sonntag. Angesichts des steigenden Bedarfs müsse der Job schnell attraktiver werden. Katrin Dähn-Erler sagt: „Den Rahmen dazu muss die Politik schaffen, für die Wertschätzung die Gesellschaft sorgen.“