Ahrensburg. Für die Serie Bank-Geheimnisse treffen wir Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: Boogie-Woogie-Pianist Axel Zwingenberger.
„Beim Improvisieren lernt man, sich innerhalb kürzester Zeit für den nächsten Weg zu entscheiden“, sagt Axel Zwingenberger. Musikalisch glückt das dem weltweit bekannten Boogie-Woogie-Pianisten seit bald einem halben Jahrhundert. Und auch im Leben hat er offensichtlich oft den für ihn richtigen Weg eingeschlagen. Entsprechend entspannt sitzt er auf einer einfachen Holzbank im Ahrensburger Schlosspark.
Es sei eine gute Entscheidung gewesen, Ende der 1970er-Jahre aus der Hamburger Innenstadt nach Ahrensburg zu ziehen. „Die Schlossstadt ist mein Rückzugsort, hier fühle ich mich wohl“, sagt der 62-Jährige. Beim Plaudern über seinen Heimatort ist ihm das anzumerken.
Der Flügel steht mittlwerweile bei ihm zu Hause
„Dort im Gartensaal stand lange mein Flügel“, sagt Zwingenberger beim Blick auf den weiß getünchten Renaissancebau. Den imposanten Bösendorfer Imperial, der zuvor die Berliner Philharmonie mit seinem Klang gefüllt hatte, überließ er dem Schloss für sieben Jahre als kostenlose Leihgabe. Als die Schloss-Stiftung 2015 einen kleineren Flügel geschenkt bekam, stand der Musiker vor der Frage, wohin mit dem Instrument.
„Da hab’ ich mir überlegt, dass ich selbst viel seltener auf diesem tollen Instrument gespielt habe als andere Musiker“, sagt er. Im Alltag habe er früher bewusst kein besonderes Klavier haben wollen, damit die Freude auf einzigartige Flügel in den Konzertsälen größer sei. „Aber eigentlich ist das Quatsch“, sagt Zwingenberger lächelnd. Jetzt steht der Bösendorfer bei ihm zu Hause.
Mit zwei Kindern zog er vor vier Jahrzehnten ins Grüne
Dass dieses Zuhause Ahrensburg ist, lag vor allem am Nachwuchs. „Wir haben früh zwei Kinder bekommen“, sagt der ehemalige Jurastudent, „das war in den Siebzigern im Univiertel eine absolute Ausnahme.“ Also suchte die junge Familie etwas im Grünen. Da Zwingenberger als Sohn eines Arztes in Hamburg-Volksdorf aufgewachsen war, kannte er die Gegend. „Ahrensburg hat einen eigenen Charakter“, sagt er, „und ist im Unterschied zu Volksdorf eben nicht nur Teil einer Großstadt.“
Auch wenn sich der Ort verändert hat – die Einwohnerzahl ist in vier Jahrzehnten von rund 26.000 auf jetzt mehr als 34.000 gestiegen – kommt Axel Zwingenberger nach Auftritten in Europa und Amerika, Afrika und Asien immer wieder gern zurück. „Wir haben eine tolle Nachbarschaft, das ist wichtig“, sagt er.
Durch Reisen blickt er gelassener auf die Heimat
Und dann sind da noch die Kochkünste seiner Frau („Sie stammt aus Wien und fühlt sich hier auch wohl: Das will schon etwas heißen“). Ihre vegetarischen Rezepte seien besonders lecker: „Sie kocht richtig vegetarisch und nicht wie in vielen Restaurants, wo einfach das Fleisch im Gericht weggelassen wird.“ Entsprechend selten können die Gastronomen der Stadt den Musiker begrüßen. „Es ist reizvoll, bei Tourneen die Küchen der Welt kennenzulernen“, sagt er, „wenn man aber ständig in Restaurants sitzt, ist es schön, zum Essen zu Hause bleiben zu können.“
Die vielen Reisen – vergangenes Jahr war er unter anderem in Uganda – lassen den Musiker auch gelassen auf die großen Themen in seiner Heimat blicken. „Wenn sich die Bürger nur über den Muschelläufer auf dem Rondeel aufregen oder darüber, dass sie nicht direkt vor den Geschäften parken können, muss die Welt bei uns doch noch ganz in Ordnung sein.“
„Heute bin ich für die jungen Pianisten der Alte“
Er selbst sei dankbar, dass ihm ein so großes Talent geschenkt worden sei. „Das ist ein Privileg“, sagt Axel Zwingenberger, „kann aber auch für manche Menschen zur Last werden.“ Mit sechs bekam er Klavierunterricht, doch erst mit 17 entdeckte er den Boogie Woogie bei einem Freund in der Plattensammlung des Vaters. Nach dem Abitur unterzeichnete er 1975 seinen ersten Plattenvertrag – der Beginn einer einzigartigen Karriere, für die er das Jurastudium schnell aufgab.
Der Ahrensburger spielte mit US-Stars wie Champion Jack Dupree, Big Joe Turner und Lionel Hampton zusammen. „Die Begegnungen haben auch meinen Stil verändert“, sagt er. Dann muss er lachen: „Damals hab ich von so großartigen Musikern lernen dürfen, heute bin ich für die jungen Pianisten der Alte.“
Mitte des Monats ist er auf Tournee in Japan
In der Gruppe „The ABC&D of Boogie Woogie“ stand Axel Zwingenberger mit Pianist Ben Waters, Rolling-Stones-Schlagzeuger Charlie Watts und Kontrabassist Dave Green (die Vornamen ergeben den Bandnamen) bei mehr als 80 Konzerten in Europa und New York auf der Bühne. Mitte dieses Monats ist er mit dem befreundeten Pianisten Keito Saito (38) auf Tournee in dessen Heimat Japan. Aus musikalischen Freundschaften entwickeln sich häufig auch private: „Keito gehört schon fast zur Familie“, sagt Axel Zwingenberger. Richtige Familienkonzerte gibt es auch: Im September spielt er mal wieder an drei Abenden mit seinem dreieinhalb Jahre jüngeren Bruder Torsten, einem renommierten Jazz-Schlagzeuger. „Das ist jedesmal etwas Besonderes für mich“, sagt der Ahrensburger, der immer mit bunten Schuhen am Klavier sitzt.
Auch die sind aus einer spontanen Entscheidung heraus zu einer Art Markenzeichen geworden. „Meine ersten roten Lackschuhe hab’ ich mir mal in einem Laden in Hamburg-Rahlstedt gekauft“, sagt er, „Ich fand das ganz praktisch, weil man sie nicht ständig putzen musste.“ Zudem habe er sich die Krawatte sparen können, ergänzt er lächelnd, denn der Farbtupfer an den Füßen zog die Blicke der Zuschauer automatisch nach unten.
Schuhe in leuchtenden Farben wurden zum Markenzeichen
Als er nach einiger Zeit beim Konzert mal wieder schwarze Schuhe trug, hätten Fans die Farbe vermisst. Andere fragten besorgt, ob etwas Schlimmes passiert sei. „Von da an war klar: bunt statt schwarz“, sagt Zwingenberger. Über Andenken an seine Reisen muss er seitdem auch nicht nachdenken: Sein Weg führt ihn stets in die Schuhläden.
Deutlich größer sind die Objekte einer weiteren Sammelleidenschaft: Zwingenberger hat den Regierungszug der Ex-DDR mit 25 Salonwagen und passender Lok gekauft. „Sonst wären sie verschrottet worden, und ein Stück Geschichte wäre unwiederbringlich verloren“, sagt er. Jetzt warten die mittlerweile denkmalgeschützten Fahrzeuge in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) auf ihre Restaurierung. „Das ist eine Menge Arbeit, aber es lohnt sich.“ Um das Projekt voranzubringen, hat er die Stiftung Kultur auf Schienen in der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gegründet.
Liebe zu Eisenbahnen führt zum eigenene Bildband
Eisenbahnen haben ihn schon immer fasziniert – und ganz besonders Dampflokomotiven. „Als Kind war ich in Hamburg und Umgebung unterwegs, um Fotos zu machen.“ Diese Liebe flammte nach der Wende auf, weil im Osten Deutschlands in den 90er-Jahren noch viele Dampfloks unterwegs waren. „Da standen sich dann an den Gleisen Dutzende Fotografen gegenseitig auf den Füßen, um Bilder zu machen“, sagt Zwingenberger.
Er entschied sich mal wieder für seinen eigenen Weg: für Nachtaufnahmen. 2000 war der Bildband „Vom Zauber der Züge“ mit Großbildkamera-Aufnahmen im LP-Format fertig. Es ist inzwischen das erfolgreichste Fotobuch zum Thema. Für sein Werk bekam der Mann aus Ahrensburg jetzt vom Verein Österreichischer Amateurfotografen-Vereine (VÖAV) mit der Sartorius-Medaille die höchste Auszeichnung und wurde zum Ehrensenator ernannt.
Axel Zwingenberger weiß eben, dass Improvisieren sehr hilfreich dabei ist, sich im Leben für den richtigen Weg zu entscheiden.