Ahrensburg. Zehn Mitarbeiter kümmern sich in Stormarn ehrenamtlich um Menschen, die beraubt, geschlagen oder betrogen wurden.

Ein Raubüberfall, Prügel vom Partner, Einbrüche oder Betrug – Opfer von Verbrechen leiden oft ein Leben lang. Körperliche Verletzungen mögen mit der Zeit verheilen, aber die seelischen Wunden bleiben. Vertrauensverlust, Ängste, Schuldgefühle und Scham treiben Menschen nicht selten in die Isolation. Das beobachten die Mitglieder vom Opferhilfeverein Weißer Ring immer wieder. Rita Funke, Leiterin der Außenstelle Stormarn, und neun ehrenamtliche Mitarbeiter unterstützen Menschen im Alltag.

Sofortige Unterstützung ohne viel Bürokratie

„Wir sind aber keine Therapeuten oder Juristen“, sagt Rita Funke. Ihr Team greift Opfern in akuten Notsituationen finanziell unter die Arme oder vermittelt professionelle Hilfe. Beispielsweise bei der Rentnerin, der die Handtasche mit Portemonnaie entrissen wird und die bis Monatsende kein Geld zum Leben mehr hat. Oder bei Gewaltopfern, für die der Verein Beratungsschecks über 150 Euro für psychotraumatologische Erstberatung oder einen ersten Termin beim Rechtsanwalt ausstellt.

Wichtig für den Weißen Ring ist die schnelle unbürokratische Hilfe ohne langwierige Anträge bei Behörden. Denn Raubopfer brauchen oft Geld für den Lebensunterhalt. Und Menschen mit besonders traumatischen Erlebnissen sollten nicht monatelang auf einen Termin beim Therapeuten warten müssen. Gleiches gilt für Frauen, die zu Hause verprügelt worden sind. So haben Mitarbeiter des Weißen Rings in Stormarn auch schon mal ein Hotelzimmer für ein solches Opfer organisiert.

Die Ehrenamtlichen arbeiten mit den Behörden zusammen, begleiten Opfer bei Terminen. Den ersten Kontakt zum Weißen Ring vermittelt in den meisten Fällen die Polizei. Diese Zusammenarbeit funktioniert seit mehr als 40 Jahren. Im vergangenen Jahr feierte die gemeinnützige Organisation, die sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziert, das Jubiläum.

Opfer werden über Monate oder Jahre begleitet

420 Außenstellen des Weißen Rings gibt es inzwischen bundesweit. In Schleswig-Holstein half der Verein im Jahr 2015 mit rund 217.000 Euro. 1740 Menschen wurden unterstützt. Oft begleiten die Mitglieder Opfer über Monate oder sogar Jahre durch eine schwierige Zeit.

Zu den Aufgaben gehört auch die Vorbereitung auf Gerichtsprozesse. „Wir schauen uns beispielsweise zuvor den Verhandlungssaal an, zeigen, wo der Täter sitzen wird, und erklären, wie eine Verhandlung abläuft“, sagt Funke.

In der Regel gibt die Polizei die Kontaktdaten vom Weißen Ring an die Kriminalitätsopfer weiter, die sich dann melden. In einem Fall baten die Ermittler aber auch den Weißen Ring darum, einer Frau zu erklären, dass sie ein Betrugsopfer ist. „Die Frau wollte partout nicht einsehen, dass sie betrogen worden war“, sagt Rita Funke. Immer wieder habe sie versucht, mit der wohlhabenden Frau zu sprechen. Lange sei die Mühe vergebens gewesen. Die Scham, sich einzugestehen, auf Betrüger hereingefallen zu sein, sei so groß gewesen, dass sie weiter Geld an die Kriminellen zahlte.

Stormarnerin überwies fast 6000 Euro an Telefonbetrüger

Erst als ein Verfahren wegen Geldwäsche eingeleitet wurde, meinte die Frau, sie sei vielleicht Opfer geworden. „Heute kann sie offen darüber reden“, sagt Funke. Sie ermutigt alle Opfer von Betrügern, zur Polizei zu gehen und auch mit Verwandten zu sprechen. Denn viele glaubten, sie würden ihr Ansehen in der Gesellschaft verlieren oder als dumm abgestempelt. „Das stimmt nicht: Die Betrüger haben so arglistige Maschen, dass das jedem passieren kann“, sagt Rita Funke. Bei solchen Sätzen schwingt Wut in ihrer Stimme mit.

Wie Betrüger vorgehen, hat Regina J. (Name geändert) erlebt, die im vergangenen Jahr von Funke betreut wurde. Regina J., die anonym bleiben möchte, sagt: „Es begann alles im August mit einem Anruf.“ Damals meldete sich eine angebliche Staatsanwältin aus Düsseldorf bei der Stormarnerin. „Sie sagte, gegen mich laufe ein Strafverfahren wegen eines Gewinnspiels.“ Regina J. solle seit vier Jahren die vereinbarten Beiträge nicht gezahlt haben. Plus Gerichtskosten schulde sie der Gesellschaft 5650 Euro.

„Das hat mich stutzig gemacht, ich habe mein ganzes Leben nie an Gewinnspielen teilgenommen“, sagt die Stormarnerin. Doch die Staatsanwältin, die sich als Frau Schäfer vorstellte, betonte, dass es Tonbandaufnahmen als Beweis geben würde. In den nächsten Tagen rief die ominöse Frau Schäfer mehrfach an. „Sie sagte, man könne sich auch außergerichtlich einigen, und fragte, ob ich eine Rechtsschutzversicherung habe.“ Regina J. gibt sogar preis, bei welcher Versicherung sie ist.

Ständiges Misstrauen macht den Alltag schwierig

Am nächsten Tag ruft ein Mann an, der sich als Herr Dr. Lindemann von ihrer Rechtsschutzversicherung ausgibt. „Er sagte zu mir, dass er jetzt das Ganze übernehme“, sagt J. Sie ist erleichtert, dass ihr endlich jemand zur Seite steht, und vertraut dem Mann. Dieser ruft wenige Tage später erneut an. „Er sagte, ich müsse zahlen, dann werde das Verfahren gegen mich eingestellt.“

Die Stormarnerin hat keine Zweifel mehr, dass sie das Geld überweisen muss, um einigermaßen glimpflich aus der Sache herauszukommen. Der angebliche Dr. Lindemann erklärt auch, dass es rechtens sei, dass sie das Geld auf ein Konto in der Türkei transferieren muss. Schließlich sitze die Firma dort.

Regina J. überweist 5650 Euro. Auf der Rückfahrt von ihrer Bank wird sie aber stutzig. Sie fährt zurück, will den Geldtransfer stoppen. Sie kommt gerade noch rechtzeitig.

Die Bank stoppt eine erneute Zahlung

Doch erneut ruft ein unbekannter Mann an, gibt sich als Polizist aus Großhansdorf aus. „Er sagte, dass es kein Betrug sei und ich die Überweisung wieder freigeben soll.“ Regina J. macht dies – und das Geld ist etwa 14 Tage nach dem ersten Kontakt endgültig weg.

Doch die Betrüger melden sich noch einmal. Ein Anrufer überbringt Regina J. die freudige Nachricht, dass sie etwas bei dem Gewinnspiel gewonnen habe. Um den Preis zu bekommen, müsse sie aber zunächst 6000 Euro überweisen. Die Stormarnerin glaubt an die Schilderung und gibt den Transfer in Auftrag. Doch diesmal stoppt die Bank die Zahlung, weil mehrere Menschen die Firma angezeigt haben.

„Seitdem war ich allen gegenüber misstrauisch, ängstlich und zuckte zusammen, sobald das Telefon klingelte“, sagt J. Sie beantragte neue Festnetz- und Handynummern. Ältere Menschen in ihrem Umfeld warnt sie vor der Betrugsmasche.

Rolf Meyer, der bis zum Ruhestand vor rund vier Jahren die Polizeistation in Ahrensburg leitete und sich ebenfalls im Weißen Ring engagiert, kennt solche Fälle gut. „Die Betrüger sind bestens geschult“, sagt er. Sie suchten sich häufig ältere Menschen als Opfer aus. Doch es gebe auch Fälle, in den Erben plötzlich ähnliche Anrufe wie Regina J. bekämen.