Ahrensburg/Kiel. Beim Bildungs-Gipfel beziehen Martin Habersaat (SPD), Tobias Koch (CDU) und Anita Klahn (FDP) Stellung zu den eindringlichen Appellen.
Der Hilferuf wurde erhört. Nun reagieren die Stormarner Landtagsabgeordneten Martin Habersaat (SPD), Tobias Koch (CDU) und Anita Klahn (FDP) auf den eindringlichen Appell von Lehrern, mehr Pädagogen einzustellen. Die drei Politiker sprechen sich unisono für eine bessere Unterrichtsversorgung aus. Es ist zugleich ein Versprechen, die Sache im Falle einer Regierungsbeteiligung anzugehen. Am 7. Mai 2017 ist Landtagswahl. In diesem Punkt zumindest zeichnet sich beim Bildungs-Gipfel, zu dem das Abendblatt die drei Politiker in die Redaktion nach Ahrensburg eingeladen hat, eine große Koalition ab. Unterschiedliche Auffassungen gibt es hingegen bei Themen wie Lehrerbesoldung, Gewalt an Bildungseinrichtungen, Inklusion, notenfreie Grundschule, Turbo-Abi und digitales Lernen.
Was hat der Hilferuf der Stormarner Lehrer nach mehr Personal bei Ihnen ausgelöst?
Anita Klahn: Es ist die Bestätigung dessen, was wir schon lange diskutieren. Für mich ist das auch Motivation, ein Landtagsmandat anzustreben, um Veränderungen herbeiführen zu können – Verbesserungen für Kinder, Eltern und Lehrkräfte.
Martin Habersaat: Die Lehrer sprechen zu Recht von Lücken. Wir sind mit der Aussage in die Legislaturperiode gestartet, dass es nicht nur zu wenig Sonderpädagogen gibt, sondern es allgemein an einer ausreichenden Zahl von Lehrkräften fehlt. Dass für Inklusion zu wenig Stellen zur Verfügung stehen, ist übrigens erst im vergangenen Jahr durch ein Gutachten bestätigt worden, das Bildungsministerin Britta Ernst in Auftrag gegeben hat. Jetzt schließen wir diese Lücke Stück für Stück.
Tobias Koch: Die Fülle von Problemen, die die Lehrer aufgezeigt haben, ist genau das, was wir an der Bildungspolitik der Landesregierung kritisieren. Sie konnte fünf Jahre lang finanziell weitgehend aus dem Vollen schöpfen, aber die Probleme sind trotzdem nicht gelöst.
Wie haben Sie die Schilderungen der Lehrer in Bezug auf die gestiegene Arbeitsbelastung wahrgenommen?
Habersaat: Natürlich verändert sich Schule, das sorgt mitunter für Stress. Zum Beispiel geht es darum, wie man die neuen Schulassistenten einbaut. Die Umstellung vom Einzelkämpfertum zur Teamarbeit bedeutet oft erst einmal Mehraufwand, ist später aber eine Erleichterung. Ich sehe es als Investitionskosten für die Zukunft.
Koch: Die Inklusion spielt neben verhaltensauffälligen Kindern dabei auch eine Rolle. All das führt zu mehr Arbeitsbelastung bei den Lehrern und ist eine große Herausforderung.
Klahn: Den Lehrern wurden in den vergangenen Jahren permanent neue Strukturen aufoktroyiert. Die Aufgaben für die Lehrerinnen und Lehrer sind nicht einfacher geworden, familiäre und soziale Verhältnisse haben sich zum Teil stark verändert. Viele Lehrkräfte fühlen sich bei der Bewältigung der Inklusion von der Politik im Stich gelassen. Da reichen einzelne Fortbildungsmaßnahmen nicht aus. Das ist ein großes Manko.
Wäre nicht eine wissenschaftliche Erhebung über die tatsächliche Belastung und Arbeitszeit der Lehrer sinnvoll?
Klahn: Das fordere ich. Denn ich habe die Wahrnehmung, dass Lehrer seit Jahren immer mehr Aufgaben bewältigen müssen. Dem ist in keinster Weise Rechnung getragen worden. Wir müssen auch über Klassengrößen diskutieren. Von einer Erhebung verspreche ich mir Hinweise, wie die Schule der Zukunft konzipiert sein muss, um die Kinder fit für das Berufsleben zu machen. Selbstverständlich muss hier auch über mehr digitale Angebote nachgedacht werden.
Habersaat: Es gibt momentan besondere Belastungen für unsere Lehrkräfte, weil noch nicht genügend Stellen für eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung zur Verfügung stehen. Eine Untersuchung würde das bestätigen, aber das haben wir ja anerkannt. Außerdem würde da womöglich rauskommen, dass nicht alle Lehrer gleich belastet sind. Hamburg hat deshalb das Arbeitszeitsystem ganz umgestellt – mit vielen Konflikten, die wir vermeiden wollen. Deutschlehrer müssen dort zum Beispiel weniger Stunden geben als Kunstlehrer. Unser Weg ist momentan eher, das Kontingent an Stunden für Schulleitungen aufzustocken, die sie im Kollegium verteilen können.
Koch: Das ist schon paradox: Man weiß um ein Problem, will es aber nicht näher untersuchen, weil man Angst vor dem Ergebnis hat. Ich bin für so eine Studie. Sie wäre eine gute Grundlage, um zu schauen, in welche Richtung wir weitermarschieren müssen. Zum Beispiel mit der Frage, brauchen wir neue Arbeitszeitmodelle? Es wurden in dieser Wahlperiode 2000 neue Lehrerstellen geschaffen. Aber trotzdem stellen wir fest, dass Probleme nicht gelöst sind und es beim Unterrichtsausfall keine signifikanten Verbesserungen gibt.
Offenbar sind sich hier alle einig, dass mehr Lehrkräfte gebraucht werden. Also gibt es in dieser Frage quasi eine große Koalition.
Koch: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft spricht von 1600 fehlenden Pädagogen in Schleswig-Holstein, um eine 105-prozentige Unterrichtsversorgung zu erreichen. Das beinhaltet eine Art Lehrer-Feuerwehr. Also Pädagogen, die einspringen, um Unterrichtsausfall zu vermeiden.
Habersaat: Für eine 100-Prozent-Versorgung fehlen nach meiner Einschätzung rund 1000 Stellen. Das liegt daran, dass durch die Flüchtlingszahlen im DAZ-Bereich (Deutsch als Zweitsprache) Mehrbedarfe entstanden sind, die wir zu Beginn der Legislaturperiode nicht kennen konnten. Im Inklusionsbereich fehlen 500 Stellen. Und dann wollen wir auch beim Thema Schulassistenz aufstocken.
Klahn: Ich sehe die Zahlen skeptisch, die aus dem Ministerium gekommen sind. Deshalb möchte ich die Studie haben. Nur soviel: Wir benötigen eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung. Wir müssen dem Rechnung tragen, was in den Klassen los ist. Es kann nicht sein, dass wir an manchen Schulen über längere Zeiträume nur Notunterricht gewährleisten können, weil das Land zu wenig für die Unterrichtsversorgung getan hat.
Habersaat: Es fehlt aber inzwischen auch an den Leuten im Land, die wir auf die zusätzlich geschaffenen Stellen setzen können, zum Beispiel bei der Sonderpädagogik.
Grundschullehrer klagen über eine schlechtere Bezahlung im Vergleich zu Pädagogen an Gemeinschaftsschulen und Gymnasien. Können Sie das nachvollziehen?
Klahn: Natürlich. Es gibt mittlerweile keinen logischen Grund mehr, sie finanziell anders einzustufen. Das wird juristisch auch nicht mehr haltbar sein.
Habersaat: Schleswig-Holstein wäre das einzige Bundesland, dass Grundschullehrkräfte mit A 13 bezahlt. Solange wir Konsolidierungsland sind, können wir so einen Alleingang nicht verantworten. Wenn die neue Ausbildung trägt, was sie inzwischen tut, und andere Bundesländer mitziehen, wird man über das Thema reden müssen. Ich sage aber auch: Wer auf Grundschullehramt studiert, weiß um A 12 und die Verdienstmöglichkeiten. Ich kann verstehen, dass es heute als ungerecht empfunden wird, weil es an Gemeinschaftsschulen die Beförderungen gab. Ich würde die aber als ersten wichtigen Schritt sehen.
Koch: Die unterschiedliche Bezahlung ist ungerecht und diskriminierend, weil wir im Grundschulbereich zu 80 bis 90 Prozent weibliche Lehrkräfte haben. Bei gleicher Ausbildung führt kein Weg daran vorbei, künftig auch Grundschullehrer mit A 13 zu besolden. Hier muss doch das Motto gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelten. In unser Wahlprogramm haben wir die Formulierung aufgenommen, es schrittweise anzuheben.
Was würde es das Land wohl kosten, die Besoldung von Grundschullehrern auf A 13 anzuheben und für eine ausreichende Versorgung zu sorgen?
Koch: Etwa 15 Millionen Euro für die Besoldungsanhebung bei den Grundschullehrern. Außerdem 50 bis 80 Millionen Euro für die Unterrichtsversorgung – je nachdem, von welcher Anzahl an zusätzlichen Lehrern man dabei ausgeht.
Ist es überhaupt realistisch, angesichts solcher Summen Besserung zu versprechen?
Klahn: Darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Es gibt einen Rechtsanspruch darauf. Ich gehe stark davon aus, dass die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hier klagen wird.
Habersaat: Es ist realistisch, aber eine Angleichung kann nur in Schritten erfolgen. Es ist das gute Recht der Opposition, größere und schnellere Schritte zu fordern. Aber man wird es nicht auf einen Schlag umsetzen können.
Koch: Der Einnahmespielraum des Landes Schleswig-Holstein hat sich in dieser Wahlperiode um 2,5 Milliarden Euro verändert, insofern könnte man das hinkriegen, wenn es politisch gewollt ist.
Herr Habersaat, Sie haben früher einmal als Lehrer gearbeitet. Sind Sie froh, jetzt Politiker zu sein?
Habersaat: Ich bin stolz und dankbar, Landtagsabgeordneter sein zu dürfen. Ich war aber auch sehr gern Lehrer, wäre es auch eines Tages wieder gern. Es ist ein erstrebenswerter Beruf, der viel Erfüllung bringt und sinnvoll ist.
Aber der Job ist auch gefährlicher geworden. Es gibt Berichte von Tritten und Schlägen gegen Lehrer, Mobbing in sozialen Netzwerken. Haben Sie Kenntnis über solche Fälle in Stormarn?
Klahn: Ja. Ein dramatischer Fall aus einer Oldesloer Schule, wo sich ein Schüler in der Erwartung eines negativen Ergebnisses zur Zeugnisausgabe bewaffnet hatte und auf die Lehrkraft losging. Das beherzte Eingreifen anderer Schüler hat Schlimmeres verhindert. Oft geht es darum, dass Eltern unzufrieden mit der Leistungsbewertung sind. Im Übrigen ist der Respekt gegenüber Lehrern ein anderer als früher.
Habersaat: Es gibt immer wieder an allen Schulen Einzelfälle von schwierigen Schülern, manchmal auch von Gruppen. Das gab es aber schon immer. Es war auch immer Aufgabe von Schule, damit pädagogisch umzugehen. Das Mittel des Schulverweises ist ja nicht neu. Was sich verändert hat, ist jedoch, dass Eltern weniger als früher an der Seite der Lehrer stehen, um die Kinder gemeinsam zu erziehen. Es gibt da so eine Kundenhaltung gegenüber dem Dienstleister Schule. Nach dem Motto: Ich gebe mein Kind ab und bekomme es erzogen zurück. In Neumünster haben sich zuletzt Eltern auf dem Schulhof geprügelt. Da muss man reagieren, zum Beispiel mit mehr Schulsozialarbeit, die die Familien einbezieht. Da haben wir die Mittel auch aufgestockt.
Koch: An Stormarner Schulen ist mir nichts bekannt, aber das Problem dürfen wir nicht verharmlosen. Es gibt soziale Brennpunkte mit gravierenden Problemen in einzelnen Landesteilen, zum Beispiel in den kreisfreien Städten.
Haben Sie als Politiker überhaupt einen tiefen Einblick in die Probleme der Schulen? Und tauschen Sie sich mit den Bildungseinrichtungen aus?
Habersaat: Ich besuche regelmäßig Schulen im Land, sehe mir Unterricht an und spreche mit Lehrkräften. Und wir haben regelmäßige Treffen mit allen Lehrergewerkschaften, Landeseltern- und Schülervertretern. Das sind keine Schön-Wetter-Termine. Ich bitte ausdrücklich darum, dass frei von der Leber gesprochen wird.
Koch: Ich bin nicht nur als Politiker unterwegs, sondern auch als Vater, weil ich selbst zwei schulpflichtige Kinder in Ahrensburg habe und die Elternabende besuche.
Klahn: Selbstverständlich tausche ich mich mit den Schulen aus. Im Gegensatz zu Herrn Habersaat habe ich jedoch den Eindruck, dass der Wunsch, die eigene Schule positiv darzustellen, oftmals größer ist, als die Probleme wirklich ungeschminkt darzustellen. Manchmal bekomme ich dann später, quasi „unter der Hand“, andere Informationen zugetragen.
Lehrer fordern mehr Solidarität von Eltern. Stimmen Sie dem zu?
Klahn: Das gilt für beide Seiten. Bei einigen Lehrern vermisse ich das Verständnis für Eltern, die sich nur um ihr Kind sorgen. Und von Eltern erwarte ich, dass sie Sorge dafür tragen, dass Kinder richtig gefrühstückt und ihre Hausaufgaben gemacht haben.
Koch: Ich wünsche mir, dass Eltern manchmal etwas weniger hysterisch sind, mehr Verständnis für Lehrer aufbringen und sich konstruktiver einbringen. Lehrer mehr als Freund denn als Feind betrachten. Ich habe selbst erlebt, wie sich Eltern mit Händen und Füßen dagegen gesträubt haben, dass ihr Kind in die Integrationsklasse meines Sohnes kommt. Das Auftreten war schon grenzwertig. Und das hat es für die Lehrer sehr schwer gemacht.
Habersaat: Manchmal wird so auch auf Kinder mit Migrationshintergrund reagiert. Irgendwann hört es an solchen Stellen mit dem Verständnis für die Vorstellungen der Eltern auf. Inklusion hat sich ja keiner aus ideologischen Gründen ausgedacht. Das ist ein Menschenrecht. Die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Eltern muss von der Schule organisiert werden. Meistens funktioniert das ja auch. Längst ergänzen Elterncafés oder Vortragsveranstaltungen die klassischen Elternabende.
Was, wenn sich Eltern verweigern? Zum Beispiel, wenn es um die Wahrnehmung von Terminen geht. Würde zum Beispiel ein Bußgeld in solchen Fällen helfen?
Klahn: Wir fordern in unserem Programmentwurf das verpflichtende Schulart-Empfehlungsgespräch. Derzeit ist das noch ein Angebot, das auf Freiwilligkeit basiert. Leider müssen wir feststellen, dass noch zu wenige Eltern dieses Angebot annehmen.
Habersaat: Bußgelder befriedigen zwar das Gerechtigkeitsgefühl von Eltern, die alles richtig machen, lösen aber das Problem nicht. Ich wünsche mir da pädagogische Lösungen.
Koch: Wenn die Schule keine Möglichkeit hat, mit den Erziehungsberechtigten zu kommunizieren, weil die nicht zu Terminen erscheinen und damit ihre Fürsorgepflicht vernachlässigen, muss man vielleicht eher dafür sorgen, dass das Jugendamt die Eltern aufsucht. Ein Bußgeld dürfte dagegen nicht das richtige Mittel sein.
Themenwechsel. Auch die vielerorts notwendigen Schulsanierungen kosten Geld. Wie steht es diesbezüglich um Stormarn – können Sie Summen nennen?
Koch: Nein. Da für Sanierungen sowie den Um- oder Neubau von Schulen die einzelnen Kommunen zuständig sind, gibt es dafür meiner Kenntnis nach keine kreis- oder landesweite Zahl.
Habersaat: Früher gab es einen Schulbaufonds, in den alle Kommunen eingezahlt haben. Aus diesem Topf wurden die Projekte zumindest kofinanziert. Das ist auf Wunsch der Städte und Gemeinden abgeschafft worden. Es gibt also keine Zuständigkeiten auf Landesebene. Ich kenne auch nur die Projekte aus meinem Wahlkreis.
Klahn: Die FDP-Fraktion hat in ihren Haushaltsanträgen für dieses Jahr ein Schulinvestitionsprogramm in Höhe von 15 Millionen Euro gefordert. Leider haben wir hierfür keine Mehrheit erhalten. Es kann nicht sein, dass Schülerinnen und Schüler in zum Teil schimmelfeuchten Klassenräumen sitzen. Hier könnte auch das Land mehr tun.
Die CDU will an Gymnasien wieder zurück zum Abitur nach neun Jahren. Das bedeutete wieder einmal eine Reform der Reform. Ist das den Schulen überhaupt noch zuzumuten?
Koch: Als G8-Befürworter war für mich immer das Argument ausschlaggebend, junge Menschen früher in Ausbildung und Studium zu bringen, um ihnen so im europäischen Wettbewerb zu besseren Chancen am Arbeitsmarkt zu verhelfen. Nachdem mit der zwischenzeitlichen Aussetzung der Wehrpflicht dieses Ziel aber bereits auf anderem Wege erreicht wurde, spricht pädagogisch sehr viel für ein Abitur nach neun Jahren: mehr Zeit zum Lernen, mehr Zeit zur Persönlichkeitsbildung und damit die Chance auf eine noch bessere Qualität der Schulausbildung. Diese Interessen der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen, ist viel wichtiger als die in den politischen Debatten immer wieder vorgebrachten Strukturargumente.
Habersaat: Noch vor eineinhalb Wochen warben CDU-Abgeordnete damit, auch im Falle ihres Wahlsieges werde das Schulsystem so bleiben wie es ist. Das war vernünftig, weil nicht nach jeder Landtagswahl alles umgepflügt werden sollte. Jetzt zieht die CDU gegen ihre eigene Erfindung in den Wahlkampf - absurd. Wir haben in Schleswig-Holstein, anders als in anderen Ländern, ein flächendeckendes Angebot von Gymnasien mit G8 und Gemeinschaftsschulen und Beruflichen Gymnasien mit G9. Das ist ein Modell, auf das sich viele geeinigt haben. Und es entspricht auch dem Hamburger System - was wegen der engen Verknüpfung beider Länder ein Wert an sich ist. Ich glaube, wir haben dringendere Baustellen - etwa die Ausstattung von Schulen und die Unterrichtsqualität. Beides sollten wir weiter verbessern, aber nicht immer wieder das große Ganze in Frage stellen.
Klahn: G8 wurde unter Schwarz-Rot eingeführt, ohne die Rahmenbedingungen dafür geschaffen zu haben. Die FDP hat in ihrer Regierungszeit die Wahlfreiheit zwischen G8, G9 und G-Y durchgesetzt – gegen den erbitterten Widerstand der Union. Wir haben damals gesagt: Wir trauen unseren Schulkonferenzen zu, in eigener Verantwortung das für die Region richtige und beste gymnasiale Angebot zu organisieren und setzen auf die Wahlfreiheit der örtlichen Gymnasien. Dass die CDU drei Monate vor der Wahl plötzlich flächendeckend G9 fordert, ist vor dem Hintergrund ihrer bildungspolitischen Historie nicht sonderlich stringent.
Ein Reizthema ist auch die notenfreie Grundschule in den Klassen drei und vier. Das möchte ja die Landesregierung. 2014 wurde eine ministerielle Verordnung erlassen. Die Schulen können aber selbst entscheiden – und lehnen das in der Mehrheit ab. Wäre es nicht gut gewesen, sich schon aufgrund der Vergleichbarkeit für eine Variante zu entscheiden?
Habersaat: Ich glaube, dass Stück für Stück mehr Schulen auf Benotung in den Klassen drei und vier verzichten werden. So wie es auch selbstverständlich wurde, in Klasse eins und zwei aus pädagogischen Gründen nicht zu benoten.
Koch: Der richtige Weg ist, Notenzeugnisse und Kompetenzraster zu kombinieren. Noten sind motivierender für die Kinder, Kompetenzraster geben Eltern mehr differenzierte Erkenntnisse über das Leistungsvermögen der Kinder. Wie man so einen Vorschlag – wir haben das übrigens gefordert – ablehnen kann, ist mir schleierhaft.
Habersaat: Es gibt aber auch Kinder, die unter der frühen Benotung leiden. Denen ist durch diesen Kombivorschlag nicht geholfen. Es muss in der Grundschule nicht vor allem darum gehen, die Kinder in eine Reihenfolge zu bringen
Klahn: Ich kenne in der Grundschule keine Lehrkraft, die Schüler mit einer schlechten Leistungsbeurteilung allein lässt. Die transparente und differenzierte Bewertung sollte daher aus einem kombinierten Notenzeugnis mit ergänzendem Berichtsteil erfolgen.
Frau Klahn, Sie haben jüngst gesagt, in den Gemeinschaftsschulen müsse Schluss sein mit dem verklärten Blick auf das gemeinsame Lernen unter den jetzigen Rahmenbedingungen. Was heißt das genau? Und was sollte besser gemacht werden?
Klahn: Ich möchte den Schulen die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, ob sie binnendifferenzierten Unterricht und abschlussbezogene Klassen einrichten. Ich kann hier aber hinzufügen: Persönlich habe ich mit Blick auf das gemeinsame Lernen unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Eines meiner drei Kinder wäre bei der damals integrierten Gesamtschule fast durchs Raster gefallen, weil es für diese Art des Unterrichts in der Klassenzusammensetzung mit den Lehrkräften nicht geeignet war. Für mich ist die Idealvorstellung von einem guten Bildungssystem, dass jeder nach bestem Wissen und Gewissen die richtige Schulform für sein Kind wählen kann. Dazu gehören auch Schulen in freier Trägerschaft.
Habersaat: Wir haben glücklicherweise die Zeit überwunden, wo die Schüler nach der vierten Klasse in drei Sorten Mensch sortiert worden sind mit einer Zuordnung zu drei Schularten, die theoretisch noch wechselbar waren. In der Praxis war das allerdings mit Hürden verbunden. Wir haben eine höhere Abiturquote in Stormarn als in anderen Kreisen, was nicht mit dem Intelligenzquotienten der Menschen hier zusammenhängt, sondern mit der Erreichbarkeit der nächsten Oberstufe. Hier im Kreis wurden früh viele gute Gesamtschulen, aus denen dann Gemeinschaftsschulen mit eigenen Oberstufen hervorgegangen sind, gegründet. Somit wurden die Hürden zum Abitur geringer, ohne das Abitur selbst einfacher zu machen. Wir müssen allen Kindern helfen, ihre Bildungspotentiale bestmöglich auszuschöpfen.
Koch: Es geht um die Qualität der Abschlüsse und nicht um Abi für alle. Auch ein mittlerer sowie der erste allgemein- bildende Abschluss haben ihren Wert und bieten gute Möglichkeiten im Berufsleben. Das System mit Gymnasien und Gemeinschaftsschulen steht deshalb nicht zur Disposition. Gleichwohl muss man schauen, ob man mit den begrenzten Ressourcen bei den Lehrkräften an der reinen Binnendifferenzierung im Unterricht festhalten kann. Oder ob es nicht sinnvoll ist, bei besonders begabten oder förderbedürftigen Kindern separate Angebote zu machen.
Zum Schluss bitten wir Sie um die drei kurze Sätze zu den größten Baustellen an den Schulen im Land. Geordnet nach Priorität eins, zwei und drei bitte.
Klahn: Den Unterrichtsausfall bekämpfen, die Ausstattung für den digitalen Unterricht hinbekommen. Und drittens dafür Sorge tragen, dass wir auch sogenannte Mangelfächer wie Mathematik besetzen können.
Habersaat: Ressourcen an die Schulen zu bringen. Das nötige Geld und die richtig besetzten Stellen an die Schulen zu bringen, wird eine große Herausforderung sein. Zweiter Schwerpunkt wird die Unterrichtsqualität sein. Es gibt heute leider große Qualitätsunterschiede bei Schulen, trotz gleicher Ausstattung. Aufgabe drei, wo Land und Bund den Schulträgern helfen können: Schulen müssen in Substanz und Ausstattung auch so aussehen, als würde hier die Zukunft unserer Gesellschaft entschieden - weil sie es wird.
Koch: Ganz oben steht die Frage der Ressourcen: die Zahl der Lehrer und die Zahl der Sonderpädagogen. Es wurde versäumt, in die Ausbildung von Sonderpädagogen zu investieren. Bei der Art des Unterrichts müssen wir in Zeiten der Digitalisierung zu ganz anderen Lernformen kommen, die die heutigen technischen Möglichkeiten berücksichtigen. Und wir müssen wieder mehr Wert auf Qualität und Leistungsanforderungen legen. Stichworte dafür sind Notenzeugnisse, die verbindliche Schulartempfehlung sowie eine hohe Qualität aller Schulabschlüsse. Nicht jedes Kind muss zum Abitur geführt werden.