Reinbek. Neue Produktionsstätte für 40 Millionen Euro ermöglicht Allergopharma Wachstum. Produkte werden schon jetzt in 20 Länder verkauft.

China, Indien und die USA – der Fokus liegt auf weltweitem Wachstum. Das ist die Strategie des Reinbeker Pharmaunternehmens Allergopharma, das Allergiepräparate herstellt. Die Voraussetzungen dafür sind jetzt geschaffen. An der Hermann-Körner-Straße wurde für 40 Millionen Euro eine neue Produktionsstätte errichtet. Das 6000 Quadratmeter große Gebäude hat zwei Etagen, ist mit modernster Technik ausgestattet und so ausgelegt, dass künftig das Zehnfache an Medikamenten ausgeliefert werden kann.

Die Produktion ist im  Erdgeschoss des Gebäudes an der Hermann-Körner-Straße 52
Die Produktion ist im Erdgeschoss des Gebäudes an der Hermann-Körner-Straße 52 © HA | René Soukup

„Wir sind nun flexibel, um den künftigen Bedarf zu erfüllen“, sagt Geschäftsführer Marco Linari. Der 46-Jährige ist Biochemiker, hat bei Merck internationale Managementerfahrung in Italien und den USA gesammelt. Der Konzern mit Sitz in Darmstadt ist alleiniger Eigentümer von Allergopharma.

Der Mensch ist trotz moderner Technik unverzichtbar

Spatenstich im Reinbeker Industriegebiet war im Dezember 2013, inzwischen ist der gläserne Komplex fertig. Wer ihn quert, kann von der Straße aus direkt in die Produktionsstätte im Erdgeschoss blicken. Sie umfasst 2000 Quadratmeter. Drinnen sind die Geräte und Maschinen schon montiert, Arbeitsplätze hergerichtet. Alles ist in Weiß gehalten. Vor einer großen Scheibe im Rundgang um das Erdgeschoss, hinter der sich der sterile Bereich verbirgt, steht Ronny: eine Schaufensterpuppe mit blauer Schutzkleidung von Kopf bis Fuß samt Brille. So sehen die Mitarbeiter also aus, wenn sie die Schleusen passieren.

Was noch fehlt, bevor es richtig losgeht? Die Programmierung der Anlagen. Und selbst danach wird noch einige Zeit vergehen, ehe Medikamente von dort den Weg zu den Kunden finden. Im ersten Quartal kommenden Jahres beginnt der Testbetrieb für die 22 Produkte. „Er dauert zwölf bis 18 Monate“, sagt Linari. Diese Phase ist vorgeschrieben. Allergopharma muss nachweisen, dass ein Präparat aus dem neuen Produktionsgebäude qualitativ genauso hochwertig ist wie jetzt. Das Landesamt in Kiel prüft nach strengen Standards.

Der Lagerraum
Der Lagerraum © HA | René Soukup

Das gilt auch für Allergopharma selbst. 20 Produktionsschritte sind nötig, damit ein Medikament in die Verpackung gelangt. Jeder zieht drei bis vier Analyseverfahren nach sich. Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Bis Mitte des Jahres 2018 ist ein Parallelbetrieb vorgesehen, dann soll die jetzige Produktionsstätte umgebaut werden. „Alternativen sind zum Beispiel Büros und Laborräume“, sagt der kaufmännische Leiter Thomas Ulmer zum Abendblatt. Er gehört zum fünfköpfigen Führungsteam des Unternehmens. Ein Nutzungskonzept werde noch entwickelt.

Rund eine Million Präparate zur Diagnose und Therapie etwa von Heuschnupfen oder allergischem Asthma, Linari nennt sie „Units“, produziert Allergopharma pro Jahr. In Sachen Therapie sind die Reinbeker auf die sogenannte Hyposensibilisierung spezialisiert und zählen in dem Bereich zu den führenden Anbietern. Diese bekämpft neben Symptomen auch die Ursache, indem sie das Immunsystem langsam an den Auslöser gewöhnt. „Ein Dauereffekt wird erzielt, wenn man das Medikament zwei bis drei Jahre nimmt. Danach wird es abgesetzt. Wir reden hier von signifikanten Verbesserungen“, sagt Ulmer. Das sei nachhaltig.

In den Produktionsräumen ist Reinheit das oberste Gebot

Nicht zu vergessen sind zudem die Allergene, die in Reinbek für Allergietests hergestellt werden. Eines der bekanntesten Verfahren ist der sogenannte Pricktest, bei dem Extrakte – zum Beispiel aus verschiedenen Pollen – auf die Haut des Unterarms getropft werden, die dann an den entsprechenden Stellen leicht mit einer Lanzette angestochen wird.

Die Produkte aus Stormarns Süden werden laut Linari von rund 400.000 Menschen in 20 Ländern genommen. Derzeit wachse Allergopharma vor allem in Europa, aber auch in Indien und China sind die Reinbeker aktiv – mit Luft nach oben. Der Geschäftsführer: „In Asien entwickelt sich der Markt noch, dort wollen wir vorn dabei sein.“ Man sei gerade damit beschäftigt, sich in diesen beiden Ländern entsprechend aufzustellen. Und auch die USA, die von Allergopharma noch nicht bedient werden, sind ins Auge gefasst. „Das wird aber eine Reise von fünf bis zehn Jahren“, sagt Marco Linari.

Viel kurzfristiger denkt hingegen Christian Mangels. Er ist Projektmanager für den Produktionsstart und täglich im neuen Gebäude unterwegs, in dessen erstem Stock ein Kompetenzzentrum eingerichtet wird. Derzeit hält sich Mangels aber vermehrt im Erdgeschoss auf. Hinter den pulverbeschichteten Wänden ist Reinheit das oberste Gebot. Kein Staubpartikelchen darf in die Luft der Produktionsräume gelangen. „Wir haben in dem Bereich vier Reinheitsklassen und für jede eine eigene Klimaanlage“, sagt der Projektmanager.

Dort werden aus Rohstoffen wie Pollen, Nüssen oder Milben jene Stoffe extrahiert, die Allergien verursachen – und schließlich weiter verarbeitet, auf eine wirksame Konzentration gebracht und abgefüllt. Rund 100 Beschäftigte, vorwiegend Laboranten und Chemiekanten, sind dabei im Einsatz. „Das Gebäude ermöglicht uns Quantensprünge im Produktionsprozess“, sagt Linari. Auch wenn die Automatisierung jetzt einen weiteren Schritt macht, ist der Faktor Mensch nicht wegzudenken und insbesondere bei der Prüfung gefragt. Derzeit hat Allergopharma in Reinbek 460 Mitarbeiter.

Ein Problem stellt für das Unternehmen der öffentliche Weg, der die neue Produktionsstätte vom übrigen Firmengelände trennt, dar. Ihn will Allergopharma der Stadt abkaufen, nennt als Grund unter anderem behördliche Anforderungen. In Teilen der Bevölkerung gibt es dagegen Widerstand. Das letzte Wort haben die Reinbeker Kommunalpolitiker.