Bargteheide/Barsbüttel. Heranwachsende brauchen Erziehung, sagt Jan-Uwe Rogge. Und beschreibt humorvoll den schmalen Grat zwischen Loslassen und Halt geben.
Wer beim Vortrag eines der bekanntesten Erziehungsexperten Deutschlands Tipps zum Mitschreiben erwartet, ist hier fehl am Platz. Zuhören ist angesagt, wenn Jan-Uwe Rogge spricht. Und lachen, bis der Bauch schmerzt. Denn Rogge, nicht nur Buchautor, sondern auch begnadeter Schauspieler, hält den 280 Müttern und Vätern, die ihm in der Aula der Barsbütteler Erich-Kästner-Gemeinschaftsschule zuhören, einen Spiegel vor. Das aber ist derart vergnüglich, dass sein Auditorium schon nach wenigen Minuten haltlos kichert.
Etwa, wenn Rogge von Felix erzählt, der früher gern im Haushalt half und abends erzählte, was heute so war. Jetzt schalle der Mutter auch einmal ein „Verpiss dich, Alte!“ entgegen, wenn sie morgens an seine Zimmertür klopfe. Die Frage, „womit habe ich das verdient?“, gehe am Thema vorbei, sagt Rogge: „Du kannst nichts ändern, du hast dieses Kind.“ Dessen Gehirn werde in der Pubertät zur Großbaustelle für Entwicklungsaufgaben. Vom körperlichen Wachstum über das Finden eigener Werte bis hin zur Berufswahl. Ein pubertierender Teenager sei deshalb wie ein Hummer: Im Wachstum werfe er den zu kleinen Panzer ab und verstecke sich bis zum Ende des Prozesses in schützenden Höhlen am Meeresgrund. Auch Kinder würden im Alter zwischen neun und 13 Jahren dünnhäutig und verschwänden im Kinderzimmer, ihrer persönlichen Schutzhöhle.
Kinder erwarten klare Ansagen von ihren Eltern
Jan-Uwe Rogge ist ein erfolgreicher Familienberater. Er lebt mit seiner Frau Regine in Bargteheide, das Paar hat einen Sohn. Der Autor, der Germanistik, politische Wissenschaften und Kulturwissenschaften studierte und über Kindermedien promovierte, hat 28 Bücher zum Thema Erziehung geschrieben. Sie wurden in 23 Sprachen übersetzt, mehr als 1,8 Millionen mal verkauft. Der Klassiker „Pubertät. Loslassen und Halt geben“ erscheint in zehnter Auflage. Der Experte hält im Jahr mehr als 100 Vorträge und Seminare, tritt auch in Rundfunk und Fernsehen auf. „Nimm das Kind an, wie es ist. Und sei dankbar, dass du es hast“, sagt er. Eltern sollten mehr Vertrauen zu sich selbst haben. Erziehung habe zu tun mit Lachen, Humor und Leichtigkeit, will Rogge vermitteln. Rogge sagt vieles, das einfach klingt, aber nicht leicht umzusetzen ist.
Was macht es so schwierig, Pubertierende zu begleiten? Kinder seien heute nicht so angepasst und nett wie ihre Eltern früher. Rogge: „Die lassen sich nicht alles gefallen, geben nicht so schnell nach und diskutieren“, erklärt er. Diese Herausforderung gelte es anzunehmen. Etwa wenn das Kind erzähle, alle anderen dürften bis Mitternacht auf die Party. „Wer sind eigentlich alle, haben Sie da schon mal nachgefragt, die dann angerufen? Und trotzdem Nein gesagt?“ Heranwachsende wollen Klarheit. Eltern, die sagen „es wird so gemacht, wie ich das will.“ Sie wünschten sich Eltern mit Lebenserfahrung, die bereit sind, Wurzeln zu sein, nicht Kumpel oder beste Freundin. Nicht umsonst komme das Wort Eltern von älter.
Pubertierende lieben ihre Großeltern, weil Großeltern gelebtes Leben darstellen – viele Eltern dagegen nur „gelabertes“. Pubertierende lieben auch ihre Väter, weil sie so anders sind, nicht so pädagogisch wertvoll wie die Mütter. „Männer machen es anders. Kinder brauchen diese Distanz, die Väter haben“, sagt Jan-Uwe Rogge. Drei Vätertypen werden indes zum Problem: Der jugendlich gestylte Kumpeltyp, der mit Heranwachsenden befreundet sein möchte. Eltern könnten nur Partner sein. „Freunde sind gleich alt. Eltern sind älter und nicht gleichrangig, aber gleichwertig“, sagt Rogge. Oder der Wischi-Waschi-Typ, dem in der eigenen Pubertät zu enge Grenzen gesetzt wurden und der nun alles anders machen will. Was dazu führe, dass er auf Erziehung verzichte.
Hubschraubermütter bringen ihre Kinder nicht voran
Nicht zu erziehen bedeute, auf die Beziehung zum Kind zu verzichten. Wer Kinder in der Pubertät loslasse, dürfe sie nicht allein lassen. Die Heranwachsenden bräuchten den Konflikt, die Reibung mit den Eltern, das sei wichtig für den Abnabelungsprozess. „Eltern sind Leuchttürme für Kinder. Das Problem ist nur, dass die in den Hafen einlaufen, wann sie wollen. Nicht, wenn man blinkt.“ Viele Männer brächten sich aber erst in die Erziehung der Kinder ein, wenn diese zwischen dem elften und 15. Lebensjahr sind. Oft zu den Themen Schule und Lernen. Rogge nennt das „Last-Minute-Erziehung“. Beim Vätertyp General gehe das schnell nach hinten los. Der komme abends nach Hause und blase zum Appell: „Hat das Kind die Hausaufgaben gemacht?“ Mit solch dominanter Art halte er die Kinder klein. In seinen Sprechstunden gibt Rogge den Generälen die Hausaufgabe, das Wort Schule eine Woche lang nicht zu verwenden. Eltern müssten akzeptieren, dass die Lernstätte in der Pubertät in erster Linie Flirt- und Kontakthof sei.
Die problematischen mütterlichen Gegenstücke sind die „beste Freundin“ , die „Rotkreuzschwester“, die alles macht und Dank erwartet, und die „Hubschraubermutter“ oder „Domina“, die für ihren Nachwuchs alle Probleme löst und kaum Raum fürs Erwachsenwerden lässt. So wie bei Hannes, der morgens träumt, während ihn seine Mutter unablässig umkreist: „Du kommst zu spät!“ Je schneller der Hubschrauber kreise, desto meditativer werde der schutzsuchende Hannes, der folgerichtig seinen Bus verpasse – woraufhin ihn die Mutter zur Schule fahre. Rogge rät solchen Müttern notfalls zu einem Glas Wein: „Dann können Sie auch nicht mehr Auto fahren.“
Der Autor ist wieder Ende Januar 2017 live in Bargteheide zu erleben. Termine finden Sie im Internet unter www.jan-uwe-rogge.de