Ahrensburg. Sechs Spitzenköche servieren ein Menü in Ahrensburg. Abendblatt-Leser Thomas Hansen-Siedler darf einmal Gastrokritiker sein.
Unser erster Eindruck von dem Mann, der im Foyer des Park Hotels wartet: eine gute Wahl. Leser Thomas Hansen-Siedler, für den sich das Abendblatt unter vielversprechenden Bewerbern als Gast-Gastrokritiker für die Auftaktgala des Schleswig-Holstein Gourmet Festivals entschieden hat, strahlt Vorfreude aus und überzeugt bereits beim Smalltalk auf dem Begrüßungsempfang. Der 57 Jahre alte Rechtsanwalt aus Ahrensburg präsentiert sich als Genießer mit gehobenen Ansprüchen, der neugierig auf Sterne-Küche ist, aber Bodenhaftung genug hat, dass er sich lobend über Gerichtskantine und Mensa in Hamburg äußert.
Auch die sportliche Einstellung stimmt. Thomas Hansen-Siedler hat am Morgen nicht mehr als Toast und Tee zu sich genommen, um unbelastet die große Aufgabe am Abend anzugehen: Angekündigt sind fünf Appetizer, vier Gänge und eine Dessert-Party mit vier verschiedenen Nachspeisen. Zu bewältigen und zu bewerten ist das Werk von sechs Spitzenköchen, die zur Jubiläumsgala des 30. Schleswig-Holstein Gourmet Festivals 170 Gäste im Park Hotel Ahrensburg bekochen.
Vielfalt an Aromen lenkt ab
Bereits bei der Auswahl von Fingerfood, die Park-Hotel-Chef Dominik Köndgen und sein Team zubereitet haben, legt Hansen-Siedler strenge Maßstäbe an. „Der Geschmack der Zutaten sollte bewahrt werden. Man sollte schmecken, was man isst, wenn man einen Bissen mit geschlossenen Augen in den Mund schiebt“, sagt Hansen-Siedler. Die Appetizer findet er wunderbar angerichtet, den begleitenden Champagner perfekt als Aperitif, doch stört ihn die Vielfalt an Aromen, die vom einzelnen hochwertigen Produkt ablenkt. „Es ist trivial zu sagen, aber weniger ist oft mehr“, sagt er und gibt damit sein Leitmotiv für diesen Abend vor.
Wohlgemerkt: Hansen-Siedler ist kritisch, aber kein Spielverderber. Er ist voller Vorfreude auf jeden neuen Gang, nimmt aber seine Aufgabe ernst – mit einer Einstellung, die einem Juristen gemäß ist: wenn schon klagen, dann auf hohem Niveau.
Edelpilze treffen auf Hokkaidokürbis
Das setzt sich bei der Vorspeise von Gunnar Hesse und dem vegetarischen Zwischengang von Matthias Gfrörer und Marc Ostermann fort. Hansen-Siedler ist begeistert von Zartheit und intensivem Geschmack des Pastrami vom Schleswiger Galloway auf Hesses Amrumer Teller mit Wildkräutern von der Insel und Crustillion-Auster.
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Ähnlich geht es ihm bei den „Holsteiner Herbstfrüchten“ von Gfrörer und Ostermann, die einen Teller mit Spätsommeraromaten aus Edelpilzen, und Hokkaidokürbis mit Herbstessenz komponiert haben und als Clou dazu ein Pergamentsäckchen servieren, das eine Auswahl in einem süßlich-wohlschmeckenden Sud gegarte seltene Rübensorten enthält. „Das Säckchen ist eine wunderbare Idee, hätte mir aber als Zwischengang gereicht“, sagt Hansen-Siedler. Deshalb lautet sein kritischer Zusatz trotz der Zufriedenheit über Präsentation und anregende Zutaten: „Die Vielfalt an Aromen überwältigt, sodass das Einzelne nicht mehr richtig gewürdigt werden kann.“
Diskussion über Wan-Tan-Teig
Auch der frühere Dreisterne-Koch Nils Henkel, Stargast des Abends, irritiert das Geschmacksempfinden des Amateur-Kritikers. Wie seine Tischnachbarn ist Hansen-Siedler hingerissen von Konsistenz und subtilem Aroma des Eismeersaiblings und seines Kaviars sowie der einzigartigen Qualität der Büsumer Mini-Krabben, doch der fermentierte Fenchel als kulinarischer Kontrapunkt irritiert ihn nachhaltig, weil er für ihn eher störend sauerkrautartig als nach dem vertrauten Gemüse schmeckt.
Im Gespräch mit anderen Gästen wächst Hansen-Siedler rasch in die Rolle des Gastro-Kritikers hinein. Er diskutiert über die Zusammensetzung von Wan-Tan-Teig, über die Bedeutung von Ingwer zum Sushi und die Frage, ob der 2014er Lucente aus der Toskana nicht noch zu verschlossen zum sofortigen Trinken sei. Als Zuhörer beginnt man zu ahnen, worum es bei großer Küche geht: Es wird nicht einfach nur gegessen, sondern alle Sinne und das Denken werden so befördert und auch irritiert, dass nachhaltiges Erleben entsteht.
Hauptgang ist Menü-Höhepunkt
Ganz bei sich ist Hansen-Siedler dann beim Hauptgang, Lutz Niemanns Kalbsfilet und geschmorte Haxe mit dreierlei Bohnen: „Der Höhepunkt des Menüs.“ Und als Niemann auf der Bühne fordert, das Produkt solle im Vordergrund stehen und Küche nicht verkünsteln, da klingt das sehr vertraut und findet Hansen-Siedlers volle Zustimmung: „Der Mann gefällt mir.“
Den Abend lässt der Kritiker im süßen Überfluss der Dessert-Party mit vier üppigen Alternativen und einem Glas Grappa bei Gesprächen mit Gleichgesinnten ausklingen. Gegen ein Uhr schaut er auf die Uhr und sagt: „Das hätte ich jetzt nicht gedacht.“ Sein Fazit: „Ein intensives Erlebnis, eine tolle Veranstaltung mit sehr aufmerksamem Personal. Die Zeit ist wie nichts verflogen.“