Ahrensburg. Jetzt werden wieder viele Kinder in der ersten Klasse bunt zusammengewürfelt. Nicht selten entstehen dabei lang anhaltende Beziehungen.

Für 2372 Stormarner Kinder beginnt in diesen Tagen ein neuer Lebensabschnitt. Sie werden an den 35 Grundschulen und dem Grundschulteil der Gemeinschaftsschule Am Masurenweg (Bad Oldesloe) eingeschult. Bald werden viele merken: Schule ist mehr als Lesen, Rechnen und Pauken. Die Schulzeit bildet auch die Grundlage langjähriger Freundschaften und toller Erlebnisse. In der Regionalausgabe Stormarn des Hamburger Abendblatts erzählen Menschen, die seit der ersten Klasse beste Freunde sind, was sie im Laufe der Jahre gemeinsam erlebt haben und was sie über die lange Zeit zusammenhält.

Sonja von Gliszczynski (25) und Maike Kubert (24) kennen sich seit ihrer Einschulung an einer Ahrensburger Grundschule vor 18 Jahren. „Wir saßen schon bei der Feier nebeneinander“, erinnert sich Maike. „Im Unterricht haben wir bis zum Abi nebeneinander gesessen.“ Meist hätten sie zusammen Kreuzworträtsel gelöst, um die Zeit totzuschlagen. „Wir mussten nicht viel reden, haben den andern angesehen und wussten, was los ist.“ Beide kichern. Man merkt, dass sie sich gut kennen. Sobald eine ein Stichwort nennt, nickt die andere wissend. Obwohl es draußen sehr warm ist, trinken beide eine heiße Schokolade, die sie unabhängig voneinander bestellt haben. Als sie es bemerken, lachen beide.

Krisen wie in einer Ehe

Doch in ihrer langen Freundschaft gab es auch mal Streit. „Wir hatten Krisen. Das ist normal, wie in einer Ehe“, sagt Maike. Als Beispiel nennt sie: „Sonja wollte in der Mittelstufe ernsthaft, dass ich ihr den Fuß breche, weil sie keine Lust auf Sport hatte. Sie hat das jeden Tag gesagt und ihren Fuß vor mein Rad gestellt. Das hat mir Angst gemacht.“ Außerdem habe es genervt, und das habe sie auch Sonja gesagt. Direktheit und Ehrlichkeit finden beide wichtig. Sonja: „Man kann den anderen auch mal total bescheuert finden.“

Die Freundschaft wuchs über die Schule hinaus – an Wochenenden und in den Ferien unternahmen sie viel zusammen. „Als Teenies haben wir oft mit Sonjas Eltern an der Ostsee gecampt“, sagt Maike. Später feierten sie auf Ska-Konzerten. Ein Erlebnis, an das sich beide erinnern ist die „Hosensuchaktion“. „Wir hatten im Urlaub einen riesigen Matratzenberg gebaut, wollten dann in Stadt gehen. Aber Sonja hat ihre dämliche Hose nicht gefunden“, erzählt Maike. Eine halbe Stunde hätten sie gesucht, dabei das Lied „Sie ist weg“ von den Fantastischen Vier gesungen. Maike: „Immer wenn ich das Lied höre, muss ich an die Suchaktion denken und lachen. Das war typisch: Wir hatten total Spaß wegen einer dämlichen Hose.“ Die Hose war übrigens ganz unten unter dem Matratzenberg.

„Unsere Freundschaft hält alles aus“

Wenn die beiden sich beschreiben, merkt man, wie nah sie einander stehen. „Sonja ist speziell. Es dauert, bis man sie wirklich kennt“, sagt Maike. „Sie hat ihre Pöbelphasen, in denen sie Leute aufs Übelste beschimpft. Sie ist facettenreich: pöbelnd, zurückhaltend, humorvoll, manchmal total lieb und ein süßes Mädchen. Sie ist wie ein Patchworkdecke. Oder schizophren“, fügt Maike hinzu und lacht. Sonja charakterisiert ihre Freundin so: „Maike ist zielstrebig, steht sich aber oft selbst im Weg. Wenn sie sich zu sehr aufregt, sage ich ,Komm’ runter und chill mal’. Sie ist die Einzige, mit der ich gern telefoniere. Sogar auf dem Klo.“

Die beiden jungen Frauen sind sich einig, dass es ein „Zuviel“ an Kontakt geben kann. „Gekriselt hat es, als wir eine Zeit lang alles zusammen gemacht haben – Schule, Pfadfinder, Töpfern, Schwimmen“, sagt Sonja. Maike stimmt zu: „Ich mag Sonja gern, aber irgendwann reichte es.“ Dennoch habe immer außer Frage gestanden, dass sie beste Freundinnen seien. „Wir haben eine gute On-Off-Beziehung, die auf komische Art total romantisch ist“, versucht Maike ihre Freundschaft zu beschreiben. Die beste Zeit sei jetzt. „Wir haben viel Mist zusammen erlebt und sind noch befreundet. Deshalb glaube ich, unsere Freundschaft hält alles aus.“

Spaß bei Spiel- und Grillabenden

Mittlerweile haben beide das Abitur hinter sich. Sonja ist Zahntechnikerin, Maike studiert Architektur. Deshalb sehen sie sich nicht mehr jeden Tag. „Das tut unserer Freundschaft gut“, sagt Maike. Nun würden sie die Zeit intensiver nutzen. Ihre Partner sind ebenfalls befreundet. Zusammen treffen sie sich zu Spiel- und Grillabenden, spielen Skat oder das Würfelspiel Dungeon Fighter.

„Alte Freunde sind wie alter Wein, er wird immer besser, und je älter man wird, desto mehr lernt man dieses unendliche Gut zu schätzen“, sagte einst Franz von Assisi. Dieses Zitat scheint auf Oliver Kraatz (53) aus Ahrensburg und Jens Hundeshagen (53) zuzutreffen. Seit 46 Jahren sind die beiden Männer beste Freunde. Sie kennen sich in- und auswendig, haben keine Geheimnisse voreinander. Beide sind in Dresden, in der DDR, aufgewachsen, lernten sich in der ersten Klasse kennen. „Wir saßen immer in einer Schulbank nebeneinander“, erinnert sich Kraatz. „Ich war nicht gerade brav.

Gemeinsame Rucksack-Touren

Wir waren albern, haben viel gequatscht und gelacht.“ Als Teenager fuhren sie zusammen in den Urlaub. Per Bahn, mit einem Rucksack auf dem Rücken. „Wir waren zum Beispiel in Prag und Schwerin“, sagt Kraatz. „Wir wandern furchtbar gern, lieben die Berge.“ Viele Touren hätten sie zusammen gemacht, in der sächsischen Schweiz, dem Elbsandsteingebirge. Außerdem verbinden sie die Hits der 70er- und 80er-Jahre. „Wir haben oft in Jens’ Wohnung gesessen und westliche Musik gehört.“ Sie hätten über alles geredet. „Wie das so ist als Jugendlicher.“ Später hatte Hundeshagen eine eigene Wohnung mit Fernseher. Weil Kraatz als Kind nicht fernsehen durfte, auch bei keinem seiner Freunde, nutzte er seine Freiheit als Jugendlicher aus. „Wir haben zusammen gekocht, Filme geguckt, unser komplettes Leben miteinander geteilt“, sagt Kraatz.

Der Ahrensburger Oliver Kraatz (53) schreibt seinem Freund Jens jeden letzten Mittwoch im Monat einen zweiseitigen Brief
Der Ahrensburger Oliver Kraatz (53) schreibt seinem Freund Jens jeden letzten Mittwoch im Monat einen zweiseitigen Brief © HA | Janina Heinemann

„Als die Schule vorbei war, hat meine ganze Familie einen Antrag auf Ausreise gestellt. Jens stellte ihn kurz danach, weil wir sonst getrennt gewesen wären.“ Einmal seien sie im Plänterwald in Berlin gewesen. Vom Riesenrad aus konnten sie über die Mauer sehen. „Wir wussten, dass wir bald drüben sein würden. Das war toll.“ Beide bekamen 1988 die Genehmigung zur Ausreise. Zwar waren beide im Westen. Doch lebte Kraatz in Bargteheide, Hundeshagen in Hessen.

Briefe pflegen die Freundschaft

Seitdem schreiben sie sich regelmäßig Briefe. Bis heute. Hundeshagen lebt mittlerweile in Freiburg, Kraatz in Ahrensburg. „Wir machen das konservativ“, sagt Kraatz. „Jeden letzten Mittwoch im Monat schreibe ich Jens einen Brief. Das ist ein richtiges Ritual.“ Er schreibe alles, was im vergangenen Monat passiert sei. „Das sind ungefähr zwei vollgeschriebene DIN-A4-Seiten.“ Zwei Stunden sitze er daran. Ihm bedeute die Freundschaft viel. „Immerhin so viel, dass ich mir seit Jahrzehnten diesen Mittwoch nicht nehmen lasse.“ Hundeshagens Antwortbrief komme in der Woche darauf. „Ich warte auf seinen Brief, freue mich über die Neuigkeiten. Das Unglaubliche ist: Man hat sich immer etwas zu erzählen“, sagt Kraatz.

Oft sehen können sich die beiden nicht. Kraatz hat kein Auto. Aber im Herbst fährt er dennoch zu Hundeshagen. „Dann wandern wir.“ Wie früher in ihren Urlauben. Manches ändert sich eben nie. Wenn sie sich wiedersehen, sei es, als wären sie nie getrennt gewesen. „Ich bin dankbar für unsere Freundschaft“, sagt Kraatz und lächelt dabei. „Es ist toll, dass ich jemanden habe, dem ich alles erzählen kann.“ Das Rezept für ihre Freundschaft: „Offenheit und Annahme. Jeder kann so sein, wie er ist. Wir haben nie versucht, den anderen zu verändern, auch schon als junge Burschen.“