GrosshansDorf . Der Verein Pryvit aus hat erneut 18 jungen Gästen einen Erholungsurlaub und ärztliche Behandlungen in Großhansdorf ermöglicht.

Im verwüsteten Klassenzimmer liegt eine Gasmaske. Wasser gibt es im Becken des ehemaligen Schwimmbades schon lange nicht mehr. Heruntergekommene Häuser reihen sich an den Straßen der Geisterstadt Pripjat, die unweit vom Atomkraftwerk Tschernobyl liegt, aneinander. Auf Warnschilder steht: „Radioaktive Strahlung“. Momentaufnahmen einer Reise, die der Großhansdorfer Wulf Garde (74) nicht vergessen kann. Umso größer sei seine Motivation, den Kindern zu helfen, die aus dieser Gegend stammen und heute noch unter den Folgen des Reaktorunfalls von 1986 leiden.

Vor fünf Jahren gründete Garde den Verein Pryvit, der jedes Jahr Kinder aus Tschernobyl nach Stormarn einlädt, damit diese hier ärztlich behandelt werden und sich erholen können. An diesem Wochenende liegen drei Wochen Aufenthalt hinter 18 Kindern aus der Ukraine, sie reisen in ihre Heimat zurück.

Die erste Woche

Schnellen Schrittes laufen acht Mädchen in die Park-Klinik Manhagen. Am Vortag waren sie schon beim Zahnarzt gewesen. Wulf Garde sagt: „Die medizinische Versorgung ist nicht gut in der Tschernobyl-Region. Fast jedem Kind mussten Zähne gezogen werden.“ Bei dem 17 Jahre alten Juri sei sogar eine Zyste im Unterkiefer festgestellt worden.

In der Park-Klinik Manhagen untersuchte das Ärzte-Ehepaar Marianne und Otto Schnoor einige Kinder
In der Park-Klinik Manhagen untersuchte das Ärzte-Ehepaar Marianne und Otto Schnoor einige Kinder © HA | Isabella Sauer

Das Kinderärzte-Ehepaar Marianne und Otto Schnoor aus Ahrensburg engagiert sich ehrenamtlich. Die Mediziner begrüßen die Elfjährige Inna herzlich, die etwas schüchtern in das Krankenzimmer schleicht. Artig folgt sie den Handzeichen von Otto Schnoor und lässt sich untersuchen. An der Seite Innas ist Natalie (20). Die junge Frau aus Kiew ist Betreuerin und Dolmetscherin. Marianne Schnoor schreibt auf, was ihr Ehemann diagnostiziert. „Leichtes Untergewicht, 135 Meter groß, 24,3 Kilogramm Gewicht“, diktiert der Kinderarzt. Dann muss Inna ihre Zunge rausstrecken und Beweglichkeitsübungen machen. Jetzt ist die Kontrolle der Augen dran. Schnoor: „Inna schielt deutlich, hat ein eingeschränktes Sehfeld.“ In der Augenklinik war sie deswegen schon. Die Ärzte dort rieten zu einer Operation. Wulf Garde telefoniert seitdem täglich mit Innas Mutter, denn die muss von dem kostenfreien Eingriff erst noch überzeugt werden.

Die zweite Woche

Nicht nur Arztbesuche gehören zum Erholungsurlaub. Schließlich sollen die Tschernobyl-Kinder Dinge erleben, die ihnen Zuhause verwehrt bleiben. Wulf Garde, der jährlich 2000 Stunden in seine Vereinsarbeit steckt, ist jeden Tag bei der Gruppe. Auch beim Besuch im Kletterwald Lütjensee ist er dabei. Den hat die Gemeinschaft Round Table 60 aus Ahrensburg organisiert und finanziert. Die Mitglieder generieren Spenden und unterstützen Projekte wie das von Pryvit. Der pensionierte Lehrer Garde sagt: „Die Kinder blühen in der Zeit richtig auf, vergessen ihren tristen Alltag.“ Er sei froh, dass ihn so viele Stormarner bei seiner Arbeit unterstützten.

Für das ukrainische Fest basteln die Mädchen im Schullandheim Erlenried ein Plakat mit Fotos
Für das ukrainische Fest basteln die Mädchen im Schullandheim Erlenried ein Plakat mit Fotos © HA | Isabella Sauer

Neugierig blicken die Kinder zu den hohen Bäumen im Kletterpark empor. Die Sicherheitsgurte sind fachmännisch angelegt. Zwei Stunden lang klettern die Urlauber in bis zu 4,5 Metern Höhe herum. Der Zwölfjährige Bogdan strahlt übers Gesicht, als er wieder festen Boden unter seinen Füßen hat, sagt: „Schade, dass wir nur einmal hier sein können.“ Selbst Kletterpark-Betreiber Karsten Kiehn ist beeindruckt: „Ich habe häufiger Gruppen, die klettern wollen. Aber der Zusammenhalt dieser Kinder ist schon etwas Besonderes.“

Während ihres Aufenthalts sind die Kinder im Schullandheim Erlenried in Großhansdorf untergebracht. Hier üben sie allabendlich für ein Fest, dass sie für ihre Helfer planen. Elena Dergatcheva (26) von Pryvit sagt: „Die Kinder wollen sich bedanken, dass sie hier so toll aufgenommen werden.“ Deswegen basteln sie an einem Plakat für die Feuerwehr Großhansdorf, bei der sie einen Tag verbringen durften, studieren ein Theaterstück sowie ukrainische Lieder ein.

Die dritte Woche

Optiker York Johann-to-Settel schenkt einem ukrainischen Mädchen eine Brille mit passender Sehstärke
Optiker York Johann-to-Settel schenkt einem ukrainischen Mädchen eine Brille mit passender Sehstärke © HA | Isabella Sauer

Die Herzen von acht Kindern schlagen noch einmal besonders schnell, als sie vor dem Brillengeschäft Johann-to-Settel in Großhansdorf stehen. Ihre neuen Sehhilfen können abgeholt werden. Die kleine Inna hat inzwischen eine Augen-OP gut überstanden. Als sie ihre mit Tesafilm zusammengeklebte Brille gegen ein neues Modell eintauscht, springt sie vor Freude im Laden herum. Optiker York Johann-to-Settel sagt: „Da geht mein Herz auf – ich helfe gern.“ Auch Juri wurde inzwischen operiert. Ärzte des Bundeswehrkrankenhauses in Hamburg haben die Zyste aus seinem Kiefer entfernt, ihn so vor Folgeschäden bewahrt.

Juri, Inna und die anderen Kinder und Jugendlichen aus der etwa 1600 Kilometer entfernten Region um Tschernobyl sind nach drei Wochen in Stormarn froh, dass ihnen so viele Menschen geholfen haben. Und dass sie so viele schöne Dinge erleben durften durch das Engagement von fast 100 Pryvit-Mitstreitern und Unterstützern. Nun heißt es Abschied nehmen. Zuhause gibt es viel zu erzählen über 21 Tage Stormarn.