Reinbek/Glinde. Schmierereien an Stromkästen nehmen zu. Der Energieversorger e-Werk Sachsenwald ruft Schüler dazu auf, die Bilder zu besprühen.
„Sei mutig“, sagt Graffiti-Künstler „POAK.LIS“ zu Schüler Marwin, der gerade blaue Lackfarbe auf einen Stromkasten sprüht. Die Stimme des 29-Jährigen klingt dumpf, denn beide tragen Gesichtsmasken. Nicht, weil sie bei der Graffiti-Aktion an der Reinbeker Theodor-Storm-Straße nicht erkannt werden wollen, sondern als Atemschutz. Die Sprayer sind hochoffiziell vor Ort, im Auftrag des e-Werk Sachsenwald.
Der Energieversorger hatte einen Wettbewerb zur Verschönerung seiner Verteilerkästen ausgeschrieben. Acht weiterführende Schulen aus Barsbüttel, Glinde, Reinbek und Wentorf beteiligten sich daran, ihr direktes Umfeld zu gestalten. Die Schüler der Klassen 6 bis 9 schickten insgesamt 158 Motive ein, daraus wählte eine Jury zwölf Bilder aus. „Wir haben sechs Graffiti-Workshops verlost und sechs Geldgewinne für die Klassenkasse“, erklärt Barbara Balster. Sie ist Pressesprecherin des e-Werks, das mehrere tausend Verteilerkästen und etwa 500 Trafostationen betreibt. Gewinner wie der zwölf Jahre alte Marwin können jetzt bei der Umsetzung ihrer Motive mit dabei sein.
Hemmschwelle bei verzierten Kästen
Claus-Peter Pfeiffer, dem das Haus am Eckgrundstück zur Lessingstraße gehört, findet die Aktion des e-Werks toll. „Ich habe etwas gegen diese Schmierereien, wenn etwas Schönes darauf ist, dann kommen die nicht wieder“, hofft er. Das kann Moritz Manthey vom e-Werk Sachsenwald bestätigen. „Die Zahl der Schmierereien bleibt leider hoch. Auffällig ist jedoch, dass Kästen mit Bildmotiven nur noch sehr selten betroffen sind. Hier scheint es eine Hemmschwelle zu geben.“
Das ist auch der Grund, warum Energieversorger auf Mal-Aktionen für Stromkästen setzen. Stefanie Halle, Konzernpressesprecherin der Telekom bestätigt, dass es für die hauseigene Verschönerungs-Aktion „Aus grau wird bunt“ viele Anfragen aus Schulen und Kindergärten gibt. Gegen die Schmierereien vorzugehen sei dabei im Hinterkopf, aber nicht das Hauptziel. „Das ist Sache der Städte und Gemeinden.“
Sprayer-Battle der Fußballfans
Graffiti-Schmierereien haben in Glinde und Oststeinbek aktuell zugenommen. In Glinde liefern sich Fans der Fußballclubs HSV und St. Pauli ein sogenanntes „Sprayer-Battle“. Der Krieg der Graffiti-Sprüher wird in den typischen Fanfarben ausgetragen. Entlang der Möllner Landstraße reihen sich die Opfer dieser Auseinandersetzung. Viele blau-weiß-schwarz bemalte Verteilerkästen sind dort mit dem Gegner-Schriftzug „Fuck HSV“ oder „Opfer“ übersprüht. „Diese Battles gibt es überall, wenn mehrere Sprayer an einem Ort sind“, sagt Polizeioberkommissar Joachim Lux von der Glinder Wache. „Dann wird einander ,zugebattled’.“ Der Glinder Hobby-Historiker Heinz Juhre hat den kreativen Wettkampf fotografisch festgehalten. Er sagt: „Mich stört das nicht. Solange das nur die Verteilerkästen sind, ist das egal. Ich finde das schön, Glinde soll bunt bleiben.“
Reinigung kostet e-Werk viel Geld
Kai Kröger ist das gar nicht egal. Für den technischen Leiter des e-Werks Sachsenwald sind die Schmierereien ein teures Ärgernis. „Das nervt ganz schön, bei versteckten Standorten kommen wir gar nicht dagegen an.“ Stehen die Verteilerkästen an prominenter Stelle, handelt das e-Werk schnell, auch bei rassistischen Schmierereien. Stark verschmierte Kästen zu reinigen funktioniere indes nur in den seltensten Fällen. „Meist nehmen wir Geld in die Hand und lassen das übermalen“, sagt Kröger. Die Kosten liegen pro Kasten in einem niedrigen vierstelligen Bereich. Die große Trafostation gegenüber dem Hagebau-Baumarkt an der Möllner Landstraße soll als nächstes verschönert werden.
Ertappten Tätern droht eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung. Doch nur selten werden sie auf frischer Tat erwischt, so wie der junge HSV-Fan, der im Juni eine Häuserwand am Markt besprühte. Der 18-jährige Glinder wird von der Polizei in sechs weiteren Fällen verdächtigt, hat aber nur einen gestanden.
Graffiti-Workshops immer beliebter
Mit Umsetzung der zwölf Gewinnermotive auf Stromkästen in Reinbek, Glinde und Wentorf hat das e-Werk die „Sprüherei Graffiti Manufaktur“ aus Reinbek beauftragt. Chef Heiko Eggers, der auch in der Wettbewerbs-Jury saß, macht aus der Sprüherei ein kreatives Geschäft. Der Kaufmann wagte im Mai zusammen mit dem Grafikkünstler und Verwaltungsangestellten Sven Bliesener den Schritt in die Selbstständigkeit. Zuvor hatten Bliesener und sein Kollege Daniel Siedel als Freelancer Stromkästen und Gebäude in Barsbüttel, Glinde, Reinbek und dem Herzogtum Lauenburg zum Hingucker gemacht. Die Profis wollen das Sprayen aus der Schmuddel-Ecke holen – mit Erfolg. Ihre Graffiti-Workshops im Reinbeker Ferienprogramm entwickelten sich mit 52 Anmeldungen gerade zum erfolgreichsten Angebot der Stadt.
Für Gymnasiast Marwin, der „seinen“ Stromkasten mitgestalten durfte, ist es ein zwölfter Geburtstag nach Maß. „Er zeichnet total gerne und hat auch in Kunst eine Eins“, sagt Vater Danny Acar, der seinen Sohn begleitete. „Das ist spannend, das macht man ja nicht alle Tage“, so Marwin. Seine ganze Klasse, die 6d des Sachsenwald Gymnasiums, hatte bei dem Wettbewerb mitgemacht.
Profi-Sprayer gibt Schülern Tipps
Der Gymnasiast wurde mit seinem Entwurf, einer Seerose mit DNA-Strang, Klassensieger und gewann 150 Euro für die Klassenkasse. „Ich habe an den Mühlenteich gedacht und so entstand die Seerose. Außerdem habe ich im Fernsehen einiges über die DNA gesehen und wollte das verbinden“, erzählt der Schüler. Von Eggers’ freiem Mitarbeiter, der sich in der Szene „POAK.LIS“ nennt, kann er sich ein paar Tricks und Kniffe abschauen. „Tritt ein paar Schritte zurück. Wenn man weiter weg geht, sieht man das Gesamte“, rät der Sprayer. „Wenn du Glanz willst, brauchst du auch Schatten.“ Ein paar Sprühstöße später hat das grüne Seerosenblatt mehr Tiefe.
Einen dreistelligen Betrag kostet es, einen Stromkasten von „Die Sprüherei“ neu gestalten zu lassen. Anwohnerin Ilka Kahl ist das zuviel, obwohl sie der kleine beschmierte graue Kasten direkt gegenüber ihrem Haus sehr stört. „Ich habe nur eine kleine Rente, aber vielleicht male ich ihn selbst an“, meint sie. Dem Selbermachen sind jedoch Grenzen gesetzt. Die Betreiberfirmen prüfen erst, ob die Kästen für eine Bemalung geeignet und die Motive ethisch unbedenklich sind. Religiöse, politische und rein kommerzielle Malereien sind nicht erlaubt und die Ausführung sollte haltbar sein. „Wir kriegen viele Anfragen von Bürgern,“ sagt Barbara Balster. In den letzten Jahren wurden so rund 50 Kästen neu gestaltet.
Farben dürfen nicht zu grell sein
Die kreativen Ideen des Start-Ups von Heiko Eggers und Sven Bliesener kommen bei den Stromversorgern gut an: „Wir haben noch keine Ablehnung bekommen“, sagt Eggers. „Wichtig ist nur, dass wir nicht zu grelle Farben verwenden und die Autofahrer nicht zu sehr von den Motiven abgelenkt werden.“ Marwins Motiv ist nach zwei Stunden Arbeit fast fertig, er darf es signieren. „Wie hübsch, das ist ja eine Seerose!“, ruft Regina Zander, die gerade mit Freundin Monika Sitz vorbeigeht. Auch Barbara Balster gefällt das Kunstwerk: „Wir machen das Sprayen salonfähig“, meint sie. Das sehen auch die Passanten in der Theodor-Storm-Straße so: Eine Fahrradfahrerin zeigt „Daumen hoch“, Autofahrer bremsen, gucken und lächeln. Und Nachbarin Ilka Kahl meint: „Da habe ich wieder etwas, wo ich mich freue, wenn ich vorbeigehe.“
Wer einen Stromkasten verschönern (lassen) möchte, kann Anfragen per E-Mail an: produktion@telekom.de oder barbara.balster@ewerk-sachsenwald.de richten oder kontaktet Heiko Eggers über: info@die-sprueherei.de