Elmenhorst. Besuch bei der Initiative Fluglärmgeplagte Gemeinde, die eine gerechtere Verteilung der Landeanflüge über Stormarn fordert.
Endlich Feierabend! Doch so richtig entspannen können sich Barbara und Joachim Gosch auch an diesem ganz gewöhnlichen Wochentag nach 18 Uhr trotz des weiten Blicks von der Terrasse über grüne Wiesen und Wälder nicht. Ihre Freunde Susanne und Jörg Mollner sind vorbeigekommen, und sofort sind die vier Elmenhorster beim Thema, das ihnen die Stimmung vermiest: Fluglärm.
18.04 Uhr: Eurowings 4127 aus Dresden, CRJ-900
Die beiden Ehepaare sind Initiatoren der Initiative Fluglärmgeplagte Gemeinde Elmenhorst (FGE). Die kämpft mit einem Dutzend Mitstreitern seit eineinhalb Jahren dafür, dass die rund 2500 Menschen in dem Dorf so ruhig leben können wie früher. „Wir wollen eine gerechtere Verteilung der Landeanflüge aus Richtung Stormarn“, sagt Barbara Gosch.
18.07 Uhr: SunExpress 3274 aus Varna, Boeing 737
Auch an diesem Abend schweben die meisten Maschinen, die aus dem Kreis Stormarn die Landebahn 23 des Airports Hamburg-Fuhlsbüttel anpeilen, über Elmenhorst ein. Ein Großteil dreht in dem etwa 2,4 Kilometer breiten Streifen zwischen der Gemeinde und Bargteheide eine Kurve in 900 bis 1100 Metern Höhe – mal mehr und mal weniger weit entfernt vom Dorf.
18.10 Uhr: Germanwings 774Z aus Genf, Airbus A319
Aus Richtung Bad Oldesloe kommen die Flugzeuge direkt über Elmenhorst. Ihr Ziel ist der sogenannte Final Approach Point (FAP) für den Standard-Endanflug bei zehn nautischen Meilen (NM, 18,5 Kilometer) über Jersbek.
18.13 Uhr: Finnair 855 aus Helsinki, Airbus A 319
Joachim Gosch betont, dass viel mehr als nur die direkten Überflüge die Bürger treffen. Nach einer Statistik des Flughafens für Januar bis Juni des vergangenen Jahres führten 73 Prozent aller Landungen aus Nordosten über ein Feld, das von Elmenhorst bis zum Bargteheider Neubaugebiet Am Krögen reicht. Der Schall breitet sich auch über den Ortsteilen Fischbek, Mönkenbrook und Siebenbergen aus. Mittlerweile rechnet die FGE mit einem etwa 80-prozentigen Überflug-Anteil. Direkt auf den Ort begrenzt lag die Zahl bei 38 Prozent.
18.15 Uhr: Brussels Airlines 2627 aus Brüssel, Airbus A 319
„Es kann doch nicht angehen, dass wir in 23 Kilometern Entfernung vom Flughafen noch so viel vom Lärm abbekommen“, sagt Joachim Gosch. Mit jedem Wort ist ihm anzumerken, dass er bei dem Thema richtig sauer werden kann. „Das trifft ja schon die kleinen Kinder, wenn die Jets den ganzen Tag über am Kindergarten neben dem Gemeindezentrum vorbeifliegen.“
18.17 Uhr: Germanwings 7033 aus Köln, Airbus A319
Von März bis Juni 2015 stand ein mobiler Messcontainer des Flughafens direkt am Grundstück von Familie Gosch am Feldrand. Die FGE betont, dass es einen maximalen Ausschlag bei 90 bis 94 Dezibel gegeben habe. Der tägliche Dauerschallpegel lag um 50 Dezibel. Ein fahrendes Auto erzeugt in zehn Meter Entfernung 65 Dezibel.
18.19 Uhr: Germanwings 7043 aus Stuttgart, Airbus A319
Das Leid von Berufstätigen schildert Susanne Mollner. Abends sei es oft lange laut. So habe sie am letzten Sonntag im Juli nach 22 Uhr 25 Flugzeuge gezählt, von denen das letzte gegen 23.45 Uhr vorbeigekommen ist.
18.20 Uhr: British Airways 966 aus London, Airbus A319
„An anderen Tagen geht es schon vor sechs Uhr morgens los, damit die Flieger pünktlich zum Betriebsbeginn in Hamburg landen“, sagt Mollner. Das erlebe sie sogar am Wochenende. An ausreichend Schlaf sei da nicht zu denken.
18.28 Uhr: Lufthansa 024 aus Frankfurt, Airbus A321
„Die Pünktlichkeitsoffensive des Flughafens ist ein Witz“, sagt Joachim Gosch. Im April hatte der Flughafen angekündigt, die Zahl der Starts und Landungen zwischen 23 und 24 Uhr (652 im Jahr 2015) gemeinsam mit den fünf größten Gesellschaften Air Berlin, Condor, Easyjet, Eurowings/Germanwings und Lufthansa zu senken.
18.30 Uhr: Germanwings 7643 aus Faro, Airbus A319
Genau das Gegenteil passierte. Im Mai stieg die Zahl der Flüge in der Stunde vor Mitternacht im Vergleich zum Vorjahresmonat von 50 auf 72, im Juni von 61 auf 140. Laut Flughafen waren Streiks und extreme Wetterlagen die Ursachen.
18.37 Uhr: LOT 393 aus Warschau, De Havilland DHC-8-400
Wie andere Protestgruppen auch fordert die FGE eine Ausweitung des Nachtflugverbots. Das gilt in Hamburg von 23 bis 6 Uhr mit einer „Pufferzone“ bis 24 Uhr. Die Initiativen wollen ein Flugverbot von 22 bis 6 Uhr und an Wochenenden bis 8 Uhr.
18.52 Uhr: Czech Airlines 544 aus Prag, ATR 72
Die FGE-Mitglieder reichen selbst regelmäßig Beschwerden über Fluglärm ein, sammeln auch weitere von Bürgern aus allen Ortsteilen und geben sie weiter. Auch wegen dieses Einsatzes ist die Zahl der Klagen aus Stormarn im ersten Halbjahr auf fast 6700 gestiegen. Im gesamten Vorjahr waren es rund 2400.
18.57 Uhr: Air Baltic 253 aus Riga, De Havilland DHC-8-400
„Hamburg hat sein Problem aufs Umland verlagert“, sagt Joachim Gosch. Er könne nicht nachvollziehen, dass die schleswig-holsteinischen Politiker die Verlängerung des Endanflugs von vier nautischen Meilen (7,4 Kilometer, Hamburg-Walddörfer) auf zehn Meilen in Jersbek stillschweigend akzeptiert hätten. „Da vermissen wir die Unterstützung aus Kiel“, sagt er.
19.14 Uhr: Scandinavian Airlines 651 aus Kopenhagen, ATR 72
Rückendeckung fehle den Elmenhorstern aber auch direkt aus dem Kreis. So schenke der Ahrensburger Bürgermeister Michael Sarach als Stormarner Sprecher in der Fluglärmschutzkommission (FLSK) den FGE-Forderungen keine Beachtung.
19.31 Uhr: Air Berlin 6308 aus München, Boeing 737
„Auf unseren Antrag, die Sonderregelung zur Überflughöhe für Ahrensburg zurückzunehmen, haben wir noch nicht mal eine Antwort bekommen“, sagt Susanne Mollner. Stormarn sollte statt Sarach einen unabhängigen Vertreter in die FLSK schicken.
19.38 Uhr, Emirates 61 aus Dubai, Boeing 777
Das Gremium hatte beschlossen, die Mindestflughöhe über Ahrensburg um 500 auf 3000 Fuß (um 152 auf 914 Meter) anzuheben. „Das hat zur Folge, dass nur noch wenige Piloten die Strecke wählen“, sagt Joachim Gosch. Diese Info hat die Gruppe bei einem Besuch der Deutschen Flugsicherung (DFS) in Bremen bekommen. Mit dabei war auch der Amtsvorsteher von Bargteheide-Land, Bürgermeister Herbert Sczech (Unabhängige Wählergemeinschaft Jersbek).
19.40 Uhr, Air Berlin 6714 aus Nürnberg, De Havilland DHC-8
„Durch die Mindestüberflughöhe von 3000 Fuß im Bereich Ahrensburg befinden sich die anfliegenden Flugzeuge dann oberhalb des Gleitpfades und müssen auf dem verbleibenden Flugweg aufwendig die Höhe abbauen, oder sie verzichten auf einen kurzen Anflug, um einen Fehlanflug zu verhindern“, schreibt die Flugsicherung in einer E-Mail an die FGE. Die Lotsen in Bremen koordinieren die Routen zum Hamburger Flughafen.
19.43 Uhr: Air Berlin 6756 aus Düsseldorf, Airbus A319
„Hinzu kommt die Wochenendregelung“, sagt Barbara Gosch. Sonnabends, sonntags und an Feiertagen soll es vor 10 und nach 20 Uhr keine Landungen unter zehn Meilen Anflug geben. Das bedeutet, dass in der Zeit alle Maschinen den großen Bogen über Tremsbüttel, Bargteheide, Elmenhorst und Jersbek nehmen müssen. Außerdem ist die DFS angehalten, dichter besiedelte Regionen wie Ahrensburg und Bargteheide möglichst zu umfliegen.
19.46 Uhr: Air Berlin 3265 aus Mallorca, Airbus A321
„Wenn Ahrensburg nur auf einen seiner drei Vorteile verzichten würde, könnte der Luftverkehr kurzfristig wieder gerechter verteilt werden“, sagt Barbara Gosch. Bei einer Rücknahme der Mindestflughöhe wären mehr kürzere Anflüge über den Sieben-Meilen-Punkt (13 Kilometer, Duvenstedter Brook) möglich. „Jeder Bürger hat dasselbe Recht auf Ruhe, egal ob er auf dem Dorf wohnt oder in der Stadt“, sagt Jörg Mollner.
19.48 Uhr: Easyjet 1845 aus Manchester, Airbus A320
An dieser Stelle bringt Joachim Gosch die Hamburger ins Spiel. Es sei unverständlich, dass die Alsterdorfer Landebahn aus Richtung Innenstadt als einzige von vieren nur in wenigen Ausnahmefällen genutzt werde. „Wer einen innerstädtischen Flughafen möchte und von der Nähe profitiert, sollte auch einen Teil der Nachteile tragen“, sagt er. Das würde die Menschen in allen drei anderen Himmelsrichtungen entlasten. Die aus den 1960er-Jahren stammende Regelung sei nicht mehr zeitgemäß.
19.50 Uhr: Lufthansa 030 aus Frankfurt, Airbus A320
An diesem Abend nehmen in den folgenden drei Stunden noch rund 30 weitere Maschinen Kurs über die Gemeinde Elmenhorst, macht zusammengzählt etwa 50 in fünf Stunden. Das letzte Flugzeug ist um 22.48 Uhr eine Boeing 737 der Condor, die Urlauber aus Gran Canaria zurück in die Heimat bringt. Diesmal sind keine Verspätungen zu beklagen. Am Himmel über Elmenhorst kehrt wieder Ruhe ein. Die Piloten haben Feierabend. Der ist für die Elmenhorster Initiative noch lange nicht in Sicht. Denn um 6.09 Uhr am nächsten Morgen gehen die Blicke der Mitglieder schon wieder gen Himmel. Ein Airbus A 321 aus Istanbul läutet die nächste Lärm-Runde ein.