Ahrensburg. Stormarner protestieren gegen immer mehr Lärm aus der Luft. Das sagt ein Pilot mit 40 Jahren Erfahrung zu den Beschwerden.

Die Stormarner sehen immer mehr Flugzeuge von unten. Fast 48.000 flogen im Vorjahr über die Städte und Dörfer im Kreis – deshalb gibt es mittlerweile drei Bürgerinitiativen gegen Fluglärm. Stormarn von oben sieht dagegen kaum jemand so häufig wie Flugkapitän Raimund F. Neuhold. Seit 40 Jahren startet und landet er Flugzeuge in seiner Heimatstadt Hamburg. Wie beurteilt der 59 Jahre alte Pilot, der auch Fluglehrer, Sachverständiger und Ausbilder ist, die Lärmdebatte?

„Über allem steht die Sicherheit“, sagt der Mann, der von Berufs wegen eine andere Perspektive auf die Dinge hat. „Generell ist in der Fliegerei das Wetter entscheidend und die Windrichtung“, sagt Neuhold. Bei aller technischen Weiterentwicklung gelte das heute genauso wie zu Zeiten der Flugpioniere vor einem Jahrhundert. „Je mehr Wind auf der Nase, desto besser“, sagt der Pilot, der heute auf der Langstrecke unterwegs ist und häufig zwischen Deutschland und Nordamerika pendelt.

„Die letzte Entscheidung liegt beim Flugzeugführer“

Nach den aktuellen Wetterdaten definiere die Deutsche Flugsicherung (DFS) – die Kontrollzentrale für Hamburg-Fuhlsbüttel ist in Bremen – die Start- und Landebahnen. Neben der Sicherheit werden auch Pünktlichkeit und Umweltschutz berücksichtigt. Der Bahnzustand – trocken, nass oder sogar verschneit – spiele eine Rolle. Zudem gebe es teilweise große Unterschiede zwischen Höhen- und Bodenwinden.

Bürgerinitiativen

Drei Gruppen kämpfen in Stormarn gegen Fluglärm. Im Vorjahr gab es aus Nordosten rund 44.000 Landeanflüge nach Hamburg, die über den Kreis führten. Wegen der außergewöhnlich häufigen Westwinde war die Zahl besonders hoch.

Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein (BAW, www.baw-flueglaerm.de) ist die älteste in der Region. Sie wurde 2012 als Bürgerinitiative Alstertal-Walddörfer (daher die Abkürzung) gegründet, um das Hamburger Stadtgebiet zu entlasten mit längeren Anflügen über Schleswig-Holstein. 2014 erweiterte die BAW sich auf das westliche Stormarn um Ahrensburg.

Fluglärmgeplagte Gemeinde Elmenhorst (FGE, E-Mail fluglaerm.elmenhorst@gmx.de) riefen Bürger im Mai 2015 ins Leben. Hauptziel ist es, wieder mehr kürzere Anflüge über Ahrensburg/Großhansdorf/Ammersbek und die Walddörfer zu erreichen.

Fluglärmschutz Jersbek (E-Mail flsjersbek@yahoo.com) heißt die jüngste Arbeitsgruppe, die Bürger im Juli dieses Jahres ins Leben gerufen haben. Über dem Dorf liegt der bei zehn nautischen Meilen (NM, 18,5 Kilometer) der Final Approach Point, den im Vorjahr 30.000 der 44.000 landenden Jets überflogen. Ziel ist eine gerechtere Verteilung.

Fast 6700 Fluglärmbeschwerden kamen im ersten Halbjahr 2016 aus Stormarn. Im gesamten Vorjahr waren es gut 2400. Offenbar gibt es einige äußerst engagierte Menschen, die sich dauernd beklagen. Laut Hamburger Umweltbehörde geht eine Vielzahl der Beschwerden auf eine relativ kleine Anzahl von Personen zurück. kx

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„Die letzte Entscheidung liegt beim Flugzeugführer“, sagt Raimund Neuhold, „er kann auch eine andere Bahn wählen und beantragen.“ Diese möglichst große Flexibilität sei für eine jederzeit sichere Landung wichtig. Ein wichtiges Kriterium ist dabei die maximale Seitenwindkomponente. „Dieser Wert ist für jeden Flugzeugtyp anders“, sagt der Pilot. Wird die Grenze überschritten, ist eine Landung aus der jeweiligen Richtung nicht mehr erlaubt.

In Hamburg unterstützt ein Instrumentenlandesystem (ILS) die Piloten vom Boden aus in den letzten Phasen vor der Landung. Zwei Leitstrahlen legen Richtung und Höhe über Grund fest und werden von einem speziellen ILS-Empfänger angezeigt. Dieser Leitpfad für die Landebahn 23 (aus Richtung Langenhorn/Walddörfer) beginnt über Stormarn. Der Zehn-Nautische-Meilen-Punkt (18,5 Kilometer), der als Standard gelten soll, liegt genau über Jersbek. Dort sind die Flugzeuge etwa 3000 Fuß (900 Meter) über dem Boden.

„Wichtig ist ein stabiler Endanflug“, sagt Kapitän Neuhold. Spätestens bei 1000 Fuß (300 Meter) Höhe müsse die Endkonfiguration erreicht sein. Das bedeutet, Klappen und Fahrwerk sind ausgefahren.

Da die Windrichtung das wichtigste Kriterium bei allen Starts und Landungen ist, geht für Neuhold auch die Kritik ins Leere, der Hamburger Flughafen sei ungünstig gelegen. Bürgerinitiativen bemängeln Umwege, da 90 Prozent aller Ziele nach ihren Recherchen südlich von Hamburg liegen, aber 75 Prozent aller Flüge über den Nordosten und Nordwesten abgewickelt werden. „Die Lage der Ziele ist vollkommen egal“, sagt Neuhold, „es werden immer Schleifen geflogen.“ Das sei auch bei anderen Städten so. Physikalische Grundregeln könne man nicht außer Kraft setzen.

Ähnlich verhalte es sich mit der Forderung, um dichter besiedelte Gebiete einen Bogen zu machen. Über Stormarn sind die Maschinen noch etwa 600 km/h schnell. In 30 Sekunden legen sie fünf Kilometer zurück. „Das geht so schnell, da sind keine ständigen Kursänderungen möglich“, sagt Neuhold.

Der Hamburger Flughafen lege viel Wert auf Umweltschutz. „Die Abteilung arbeitet vorbildlich, die Mitarbeiter gehen aktiv auf die Crews zu“, sagt der Pilot, der Hunderte Airports kennt. Das gelte auch für den Lärmschutz, der im Vergleich zu anderen Ländern viel mehr Gewicht habe. Neuhold: „Man unternimmt schon viel, aber das ist für alle Beteiligten ein langer Prozess.“

Umweltexperte setzt auf leisere Maschinen wie A 320neo

Axel Schmidt ist der Mann am Hamburger Flughafen, bei dem Lärmbeschwerden aus Stormarn landen. Er leitet den 1989 gegründeten Umweltbereich mit 15 Mitarbeitern. Die kümmern sich nicht nur um Lärm, sondern auch um Klimaschutz, Energiewirtschaft, Abfall und Natur.

„Wir können im Dialog mit allen Gruppen schon viel erreichen“, sagt Schulz, „aber gerade in puncto Lärm sind wir immer noch abhängig vom Wetter.“ Das zeigte sich im Vorjahr deutlich: Statt der in Hamburg üblichen wechselnden Winde wehte es stark aus Westen. Da gegen den Wind gelandet wird, schnellte die Zahl der Flüge aus östlicher Richtung und damit über Stormarn um 8000 auf rund 48.000 empor.

In Hamburg trifft der Lärm vom Luftverkehr viel weniger Menschen als der von Straße und Bahn. Tagsüber müssen gut 120.000 Einwohner einen Straßenlärmpegel von mehr als 65 Dezibel (so laut wie ein fahrendes Auto in zehn Meter Entfernung) aushalten. Entsprechender Bahnlärm trifft etwa 20.000 Menschen, Fluglärm nur 2800.

Für Elmenhorst, wo eine mobile Messstelle von März bis August 2015 stand, lag der Mittelwert bei 50 Dezibel. „Maximal waren es 65 bis 67 Dezibel“, sagt Schulz. Der Flughafen betreibt in der Nachbarschaft 13 stationäre Messstellen und drei mobile Geräte. Aktuelle Werte können im Internet (travis.hamburg-airport.de) verfolgt werden.

Die größte Hoffnung auf weniger Lärm setzt Umweltfachmann Schmidt auf die moderne Flugzeuggeneration wie den Airbus A 320neo. „Die Treibwerke sind deutlich leiser“, sagt er. Die „Pufferzone“ von 23 bis 24 Uhr vor dem Nachtflugverbot bis 6 Uhr brauche man aber, um den Betrieb sicherzustellen. Im Vorjahr gab’s im Schnitt täglich weniger als zwei Flüge in dieser Zeit.