Die frisch gewählte Bürgermeisterin Birte Kruse-Gobrecht spricht über Pläne, über Windparks, die Drogenszene und ihr Familienleben.

Am Donnerstag, 15. September, ist Birte Kruse-Gobrecht da, wo sie eigentlich nie hin wollte: an der Spitze einer Verwaltung. Dann hat die 47-Jährige ihren ersten Arbeitstag als Bürgermeisterin im Bargteheider Rathaus. „Mein Großvater und mein Vater waren Beamte“, sagt Kruse-Gobrecht, „das fand ich als Kind überhaupt nicht spannend.“ Ihr Opa leitete das Kreiswehrersatzamt in Bad Oldesloe, ihr Vater war Bauamts- und Liegenschaftsleiter in Hamburg-Mitte. Jetzt setzt Kruse-Gobrecht die Familientradition fort – und hat ihre kindliche Einschätzung gründlich revidiert. Sie sagt: „Die beiden wären stolz auf mich. Ich freue mich und nehme die Herausforderung gern an.“

Redaktionsbesuch beim Abendblatt: Birte Kruse-Gobrecht bei der Blattkritik mit Regionalkoordinator Ralph Klingel-Domdey und den Mitarbeiterinnen Laura Treskatis (2.v.l.) und Isabella Sauer
Redaktionsbesuch beim Abendblatt: Birte Kruse-Gobrecht bei der Blattkritik mit Regionalkoordinator Ralph Klingel-Domdey und den Mitarbeiterinnen Laura Treskatis (2.v.l.) und Isabella Sauer © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Die Wahl hatte die von den Grünen unterstützte Kandidatin mit 63,4 Prozent der Stimmen gegen den von der CDU nominierten Sven Noetzel, Leiter des Reinbeker Bauamts, gewonnen. 4049 Bargteheider stimmten für Kruse-Gobrecht, die noch neben ihrer Halbtagsstelle als Gleichstellungsbeauftragte beim Kreis Stormarn als selbstständige Personalberaterin arbeitet. Ab Mitte September konzentriert sich die Tremsbüttelerin ganz aufs Bürgermeisteramt, sagt sie im Interview mit der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn.

Hamburger Abendblatt: Sind Sie nach dem Wahlsonntag mit einem für Sie traumhaften Ergebnis wieder in der Realität angekommen?

Birte Kruse-Gobrecht: So langsam. Das hatte schon etwas Unwirkliches, trotz aller Eindrücke vorher. Jetzt geht’s darum, wie ich gut aus dem alten Tätigkeitsfeld heraus- und ins neue hineinkomme. Der Kalender holt einen automatisch zurück.

Wie bereiten Sie den Übergang vor?

Kruse-Gobrecht: Im Rathaus werde ich darüber sprechen, was von mir gebraucht wird und was ich brauche. Mit den Fraktionen spreche ich darüber, welche Themen anstehen.

Sie werden künftig für viele Mitarbeiter verantwortlich sein. Und für die Finanzen der Stadt. Macht Sie der Gedanke daran auch ein wenig nervös?

Kruse-Gobrecht: Ich bringe das Handwerkszeug und ein gutes Netzwerk mit. Ich bin ganz beruhigt, weil Bargteheide eine gute Ausgangslage mitbringt, die es mir leicht macht. Zum Thema Führung habe ich schon im Wahlkampf gesagt, dass es zwei Modelle gibt. Das teamorientierte und das auf Positivität ausgerichtete mit der ständigen Rückkopplung, ob Kursänderungen nötig sind. Und auf der anderen Seite ein hierarchisches, klassisches System.

Meinten Sie das, als Sie sagten, in Bargteheide sei es Zeit für Veränderungen?

Kruse-Gobrecht: Es ist Zeit für Veränderungen, nicht immer alles so zu machen, wie es heute gut ist. Sondern aus der Zukunft heraus zu denken. Wir sehen, dass Menschen über Motivation und lebenslanges Lernen andere Möglichkeiten sichtbar machen. Man muss sich die Frage stellen, was gut und was schlecht gelaufen ist, aber immer mit dem Blick auf ein positives Ziel.

Das klingt so, als hielten Sie die aktuellen Strukturen in Bargteheide für verkrustet.

Kruse-Gobrecht: Nicht verkrustet. Ich würde sagen: Erst einmal alles so lassen, wie es ist. Dann im Dialog mit den Beteiligten sowie mit der Perspektive, dass es aufgrund von Pensionierungen Veränderungen gibt, über die Stellschrauben reden. Zum Beispiel darüber, welche Ressourcen wir für Bürgerbeteiligung brauchen, oder für Öffentlichkeitsarbeit. Wer bringt die Stadt im Marketing voran. Das ist bisher in hervorragender Weise mit Bordmitteln geschehen. Nur in Zukunft wird auch diesbezüglich ein kritischer Blick erforderlich sein. Um als Arbeitgeber auch für guten Nachwuchs attraktiv zu sein, müssen wir auf eine Perspektive von zehn Jahren schauen.

Für das Neubauprojekt Krähenwald haben Sie eine Beteiligung der Bürger versprochen. Es gibt Protest gegen Mehrfamilienhäuser mit fünf Geschossen und eine dreigeschossige Parkpalette. Wie gehen Sie damit um?

Kruse Gobrecht: Ich würde es nicht so begrenzen auf den Krähenwald. Ich habe den Eindruck, dass bei allen Bauvorhaben der Informationsfluss und das Mitnehmen der Menschen nicht rund gelaufen ist, obwohl die Verwaltung sich bemüht hat. Sender und Empfänger sind nicht immer auf einer Frequenz. Wer hat die Holschuld, wer die Bringschuld? Wir sollten am 2012 beschlossenen Stadtentwicklungskonzept weiterarbeiten. Und mit ruhigem Blick auf die Projekte schauen, ohne dass es heißt, jetzt wird alles gestoppt. Den Unmut in der Bevölkerung müssen wir erst nehmen und im Dialog nach einer guten Lösung suchen.

Dialog ist offenbar auch beim Thema Bahnhof gefragt, den Sie eher als Schandfleck denn als Aushängeschild bezeichnen. Zwischen Stadt und Eigentümer gibt es einen Rechtsstreit. Wie wollen Sie die Wogen glätten?

Kruse-Gobrecht: Erfreulich ist, dass der Eigentümer mir eine Glückwunsch-Mail geschickt hat. Und zum Ausdruck gebracht hat, dass wir ins Gespräch kommen sollten. Das ist doch schon einmal ein guter Anfang.

Das klingt vielversprechend. Aber wie soll Ihr Bargteheider Wunschbahnhof denn aussehen?

Kruse-Gobrecht: Wenn man in der Stadt ankommt, soll man merken, in was für einer tollen Stadt man gelandet ist. Das Gebäude hat seinen eigenen Charme, müsste aber aufgehübscht werden. Dann ist noch die Frage, welche Gastronomie ist möglich? Für Fahrradstellplätze gibt es ein neues Förderprogramm vom Land.

Und die Autofahrer? Braucht die Stadt mehr Parkplätze in Bahnhofsnähe?

Kruse-Gobrecht: Da ist der ganzheitliche Blick sinnvoll. Wie entwickelt sich Mobilität? Das verändert sich bei der jungen Generation. Viele Menschen in Neubaugebieten haben mir gesagt, dass sie kein zweites oder gar kein Auto mehr hätten, wenn es Car-Sharing gäbe. Das ist ein Beispiel dafür, dass wir von heute denken und nicht von dort, wo wir in 20 Jahren stehen wollen. Auch durch attraktive Alternativen wie ein Kleinbussystem kann man den Einzelverkehr deutlich reduzieren.

Stichwort Energiewende: Der Bürgerwindpark hat Gräben in der Stadt aufgerissen. Die Grünen, die Sie im Wahlkampf unterstützt haben, sind große Befürworter. Wollen Sie sie das Thema noch einmal voranbringen?

Kruse-Gobrecht: Ich bin sehr damit einverstanden, wenn es so bleibt, dass Bargteheide nicht als Vorrangfläche ausgewiesen ist. Das Land kann sich darum kümmern, wie wir den Wind dort einspeisen können, wo er ist. Für die Menschen sind Höhe und Abstandsflächen wichtig. In der Kürze der Zeit kann ich nicht beurteilen, welche Studien zum Infraschall zutreffend sind. In Bargteheide würde ich eher schauen, wie wir die Solarenergie auf städtischen Gebäuden weiterentwickeln können, um unsere Kosten zu senken.

Weil mögliche Standorte für Windräder in Bargteheide vermintes Gebiet sind.

Kruse-Gobrecht: Ja, aber niemand hatte böse Absichten. Alle wollten eigentlich etwas Gutes. Aber auch in dem Fall hat sich gezeigt, dass man sich immer fragen muss: Hab ich alles, was ich brauche, um eine Entscheidung treffen zu können. Wenn ich merke, da fehlt noch was, sollte ich das vertagen. Jetzt ist es so, dass es die Stadtkasse rund 500.000 Euro kostet.

Ein ähnlich heißes Eisen ist das Thema Fluglärm...

Kruse-Gobrecht: ... ja, und demnächst auch Bahnlärm.

In Stormarn gibt es zwei Lager von Fluglärm-Gegnern mit unterschiedlichen Interessen. Die Ahrensburger, Ammersbeker und Großhansdorfer auf der einen Seite, die Bargteheider, Elmenhorster und Jersbeker auf der anderen. Wie bewerten Sie das?

Kruse-Gobrecht: In Tremsbüttel habe ich mich schon im vergangenen Jahr gefragt, ob ich die vielen Flugzeuge nach meinem Umzug 2012 zunächst nicht gesehen habe. Menschlich nachvollziehbar ist die Betroffenheit überall. Natürlich will keiner den Lärm über dem eigenen Haus haben. Auch dort muss man gemeinsam gucken, was gute Kompromisse sind. Eine ganz andere Dimension bekommt der Bahnlärm, wenn die Fehmarnbeltquerung kommt. Wenn die Prognose stimmt, donnern dann alle drei Minuten Güterzüge vorbei.

Ein kulturelles Aushängeschild für die Stadt ist das Kleine Theater, über dessen Führung seit Jahrzehnten gestritten wird. Was halten sie von der neuen Konstruktion mit dem Trägerverein?

Kruse-Gobrecht: Ich hoffe, dass sich so Energien bündeln. Alle haben ja das Ziel, den Standort attraktiver zu machen. Wichtig ist, jenseits aller persönlichen Betroffenheit einen Ausgleich zu schaffen.

Noch ein Themenwechsel: Streetworker sprechen in Bargteheide von einer offenen Drogenszene. Was wissen Sie darüber?

Kruse-Gobrecht: Aufgrund von Berichten der Schülerinnen und Schüler in unserem privaten Umfeld muss ich das leider bestätigen. Auch in einem Feierabendgespräch in der Coffee Lounge kam unter den Gästen auf, dass Kinder auf dem Schulweg angesprochen werden. Es ist gut, dass das Thema zuletzt auf die politische Tagesordnung genommen wurde. Gemeinsam mit den Streetworkern müssen zeitnah Lösungen gefunden werden. Ich selbst habe zum ersten Mal 2012 davon gehört, nun scheint sich die Problematik noch deutlicher zu zeigen.

Als Bürgermeisterin sind Sie oft auch abends und am Wochenende bei Terminen. Wie wollen Sie das und Ihr Familienleben unter einen Hut bekommen?

Kruse-Gobrecht: Das ist immer eine Frage der Wahrnehmung. Wenn ich an die Gründungszeit der Stiftung Beruf und Familie Stormarn denke, hatte ich 50- bis 60-Stunden-Wochen, parallel Abendsitzungen und Wochenendveranstaltungen. Als Personalberaterin war ich häufig auf Dienstreise. Das haben wir immer gut bewältigt. Klar, es wird einiges dazukommen. Mein Ziel wäre, dass ich einen Nachmittag zu Hause arbeite, es zweimal die Woche gemeinsame Mittagessen gibt. Ferner habe ich ein großes Netzwerk, und die Kinder werden auch älter. Für den Notfall ist die Stadtverwaltung auch Mitglied bei Beruf und Familie.

Sie waren Geschäftsführerin bei Beruf und Familie. Wie beurteilen sie Ihre Tätigkeit dort im Rückblick? Und wie sehen Sie die künftige Entwicklung der Stiftung?

Kruse-Gobrecht: Das ist ein Erfolgsmodell. Bei den Einsätzen gibt es 100 Prozent Zufriedenheit. Es sind viele rechtliche Hürden aus dem Weg geräumt worden. Jetzt prüfen alle Beteiligten, wie das Angebot erweitert werden kann. Wir haben in der Anfangsphase auch Fehler gemacht. Was uns alle überrascht hat war, wie lange es gedauert hat, bis Unternehmen mit an Bord gehen. Und bis das Produkt in den Köpfen angekommen ist. Bei der Kreisverwaltung wussten einige nach Jahren noch nicht, dass die Kinder auch zu Hause betreut werden können. Dieses Thema wird in fünf bis zehn Jahren von noch größerer Bedeutung sein.

Ihr Lebenspartner Bernd Gundlach leitet die Amtsverwaltung Bargteheide-Land. Ist diese Konstellation ein Vor- oder Nachteil?

Kruse-Gobrecht: Ich glaube, dass wir das ganz gut trennen können, dass wir auch andere Gesprächsthemen zu Hause haben als den Beruf. Hilfreich ist sicherlich das gegenseitige Verständnis für bestimmte Themen.

Gibt es etwas, was Sie sich von den Bargteheidern zum Start Ihrer Amtszeit wünschen?

Kruse-Gobrecht: Offenheit und Vertrauen. Das Wichtigste ist, sich gegenseitig Zeit zu geben.