Glinde. Laut Konjunkturumfrage geht es 86 Prozent der Firmen gut. Das Abendblatt erklärt, warum Stormarns Wirtschaft so besonders boomt.
In 86 Prozent der Firmen ist die wirtschaftliche Lage besser als oder gleich gut wie vor einem Jahr. Die Auftragslage ist ausgezeichnet, jedes zweite Unternehmen will neue Mitarbeiter einstellen. Das sind Ergebnisse der Konjunktur-Umfrage 2016 vom Verband und Serviceorganisation der Wirtschaftsregionen Holstein und Hamburg (VSW) in Glinde.
„Wir befinden uns auf einem ganz hohen Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung“, sagt Michael Voigt, ehrenamtlicher VSW-Vorsitzender und Geschäftsführer des Hela-Gewürzwerks in Ahrensburg. Ein Ende des Aufwärtstrends seit 2014 sei nicht in Sicht.
Warum boomt Stormarns Wirtschaft so besonders?
Der Kreis profitiert von seiner verkehrsgünstigen Lage im Hamburger Randgebiet an der Vogelfluglinie nach Skandinavien. Mittelständische Unternehmen überwiegen, der Branchenmix stimmt. „Die Inhaber wohnen im selben Ort wie die Beschäftigten“, sagt Michael
Voigt, „sie denken an den langfristigen Erfolg und nicht an schnelle Gewinne.“ Das sei bei Konzernen schon mal anders: „Dort ist das Kapital weltweit mobil.“ Oliver Franke, stellvertretender VSW-Vorsitzender und Chef von 650 Mitarbeitern im Hamburger Familienbetrieb Franke+Pahl, bringt es so auf den Punkt: „Hier gibt es keine Hire-and-fire-Companys.“ Die Arbeitsplätze seien sicher. „Außerdem machen Politik, Wirtschaftsförderung und Unternehmensführungen einiges richtig“, so Michael Voigt. Das Gegenbeispiel sei Lübeck, das ähnlich gut liege, aber wirtschaftlich bei Weitem nicht so stark sei.
Wie sind die Aussichten für die Zukunft?
Laut Umfrage erwarten 44 Prozent der Firmen im zweiten Halbjahr eine noch bessere Auftragslage. Jeder vierte Betrieb will seine Investitionen erhöhen, jeder zweite Personal einstellen. Im neuen Zukunftsatlas 2016 des Instituts Prognos ist Stormarn der einzige Kreis in Schleswig-Holstein mit „hohen Chancen“. Im Vergleich zu 2013 kletterte Stormarn unter allen 402 Kreisen und kreisfreien Städten um sieben Plätze auf Rang 75. Hier rutschte Lübeck beispielsweise auf Rang 329 ab.
Was bedeutet die Entwicklung für den Arbeitsmarkt?
Die Mai-Arbeitslosenquote ist in Stormarn mit 3,6 Prozent die niedrigste seit der kreisweiten Erfassung 1997. „Seit Jahresbeginn haben uns Betriebe aus Stormarn 1665 Stellen gemeldet“, sagt Arbeitsagenturchefin Heike Grote-Seifert, „das sind 14,8 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.“ Vom Groß- und Einzelhandel über die Logistikbranche und das Gastgewerbe bis zum Gesundheitswesen und Handwerk werden Mitarbeiter gesucht. Erwerbslose Elektriker, Anlagenmechaniker und examinierte Altenpfleger seien kaum mehr zu finden. „Wir haben so gut wie Vollbeschäftigung“, sagt Michael Voigt, „es gibt immer einen Satz von Menschen, die nicht vermittelbar sind.“
Wo soll das benötigte Personal herkommen?
„Die Lösung liegt in der Integration von Migranten“, sagt VSW-Vorstand Oliver Franke mit Blick auf die anhaltend niedrige Geburtenzahl in Deutschland. Jedes fünfte Unternehmen beschäftigt bereits Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Irak. „Die Sprache ist die größte Barriere“, sagt Franke. Ein gutes Beispiel sei die Reinbeker Firma Amandus Kahl, die mit Stadt und Flüchtlingsinitiative Deutschkurse für mittlerweile Hunderte Menschen anbiete.
„Und das Bleiberecht muss nachhaltig geklärt werden“, sagt Oliver Franke in Richtung Politik. Laut VSW-Geschäftsführerin Nicole Marquardsen „kommen die Behörden nicht hinterher“. So warteten Asylbewerber schon einmal bis zu sechs Monate auf einen Termin, um überhaupt ihren Antrag abgeben zu können.
Wie gefährlich ist ein möglicher Brexit?
Im VSW gibt es keine Unternehmen, die stark vom Handel mit Großbritannien abhängig sind. „Ein Austritt aus der EU würde eher für England zum Problem“, meint Michael Voigt. Etliche weltweit tätige Konzerne haben ihre Europazentralen in London. Die könnten überlegen, ihren Sitz aufs Festland zu verlegen, um den Kontakt zur EU zu halten. Und als neuer Finanzstandort stände Frankfurt bereit. „Was uns allerdings Sorgen macht, ist die Polarisierung in vielen Ländern“, sagt Voigt, „daran geht die Gesellschaft kaputt.“
VSW vertritt 351 Firmen aus allen Branchen:
351 Unternehmen gehören dem Verband und Serviceorganisation der Wirtschaftsregionen Holstein und Hamburg (VSW) an – Tendenz steigend. 67 Prozent sind in Stormarn und im Herzogtum Lauenburg beheimatet. Das ist Kerngebiet des Vereins, der früher Verband der Südholsteinischen Wirtschaft hieß.
30.000 Mitarbeiter sind in den VSW-Firmen beschäftigt. Bei den Branchen gibt es keine Einschränkungen. „Es gibt nichts, was wir nicht haben“, sagt Geschäftsführerin Nicole Marquardsen.
Rechtliche Beratung ist ein Schwerpunkt des VSW. Auskunft gibt es auch zu Wirtschaftsfragen. Zudem werden Seminare und Treffen organisiert.
Die Geschäftsstelle ist im Gewerbegebiet Glinde, Am alten Lokschuppen 13. Internet: www.vsw.eu.