Ahrensburg. Einen Perspektivwechsel will das Projekt „Engagierte Stadt“ Bürgern mit einer Ballonfahrt ermöglichen. Teilnehmer sprechen darüber.

Ein lauter Motor ist zu hören. Doch das Geräusch kommt nicht von einer Ahrensburger Baustelle, sondern von der Wiese hinter dem Peter-Rantzau-Haus. Hier zieht ein Kran einen gelb-rot gestreiften Ballon in etwa 45 Meter Höhe. Warum? Eine Ballonfahrt soll dafür sorgen, dass die Ahrensburger ihre Stadt mal aus einer ganz anderen Perspektive betrachten, Vor- und Nachteile erkennen und die Bürger untereinander mehr zusammenwachsen.

Mit einem mulmigen Gefühl steht Anne-Rose Sieland vor dem großen Ballon. Sie betreut in Ahrensburg das Projekt „Engagierte Stadt“ und hat ein wenig Höhenangst. Sie sagt: „Wir wollen das Projekt voranbringen und machen deswegen diese Aktion.“ Damit soll erreicht werden, dass Menschen, die sonst keine Berührungen in ihrem alltäglichen Leben haben, für wenige Minuten zusammengebracht werden.“

Die Engagierte Stadt Ahrensburg ist ein Netzwerk für alle Ahrensburger, die Hilfe in schwierigen Lebenssituationen brauchen oder anderen Menschen helfen wollen. Ein Büro im Peter-Rantzau-Haus ist eine zentrale Anlaufstelle. Mitarbeiter vermitteln Hilfsangebote von Vereinen und Hilfsorganisationen oder Ehrenamtlichen.

Bürgermeister Michael Sarach, die Leiterin des Peter-Rantzau-Hauses, Annette Maiwald-Boehm, und Mehmet Aydemir von der Arbeiterwohlfahrt-Beratungsstelle machen schließlich die erste Fahrt. Sarach: „Ich freue mich, dass Ahrensburg eine von drei Städten in Schleswig-Holstein ist, die für das Projekt ausgewählt wurden.“

Die erste Fahrt des Tages machen Awo-Mitarbeiter Mehmet Aydemir (v.l.), Bürgermeister Michael Sarach und Annette Maiwald-Boehm
Die erste Fahrt des Tages machen Awo-Mitarbeiter Mehmet Aydemir (v.l.), Bürgermeister Michael Sarach und Annette Maiwald-Boehm © HA | Isabella Sauer

Dann geht es los: Der Korb ruckelt und hebt vom Boden ab. Schnell verkleinert sich die Bildungseinrichtung, der Rathaus-Turm ist plötzlich zum Greifen nah, die bunten Wochenmarktstände werden kleiner und die Menschen zu winzigen Punkten. Awo-Mitarbeiter Mehmet Aydemir ist begeistert und sagt: „So hab ich Ahrensburg noch nie gesehen.“ Kurzzeitig vergisst er die Probleme, die Ahrensburg seiner Meinung nach hat. Nach der Ballonfahrt sagt er: „Die Stadt muss mehr für die Integration von Ausländern tun.“

1. Erfahrungsbericht: Viele Spielplätze, wenig Kitas

Vater Raoul Zimmermann und Sohn Lars warten auf den Rest der Familie
Vater Raoul Zimmermann und Sohn Lars warten auf den Rest der Familie © HA | Isabella Sauer

Eine interessante Perspektive haben sich auch Raoul Zimmermann und Sohn Lars ausgesucht. Sie hocken im Gras und schauen sich das Spektakel vom Boden aus an. Mutter Sarah ist gerade mit Lars’ Geschwistern Lea und Antonia in der Luft. Der Kleine blickt ganz gespannt in den Himmel, während Familienvater Raoul Zimmermann sagt: „Ich stelle mir gerade vor, wie der Blick von dort oben auf die Stadt aussieht.“

Zimmermann schweift mit seinem Blicken umher: Peter-Rantzau-Haus, Fußballfelder, Rathaus. Dann fängt er an zu grübeln und sagt: „Vielleicht bekommt meine Frau durch die Ballonfahrt einen ganz anderen Blick auf die Stadt.“ Außerdem sei er gespannt, was seine Kinder erzählen werden. Was haben die Kinderaugen wohl zuerst von dort oben entdeckt?

Aber auch in der Sitzposition fällt dem Familienvater etwas positives an der Stadt auf. Er sagt: „In vielen Dingen ist Ahrensburg familienfreundlich.“ Besonders toll sei es, dass es viele Spielplätze gebe. „Die Qualität ist sogar auch noch ganz gut“, sagt er. Negativer Punkt an der Stadt: Die Politik könnte sich stärker mit dem Thema Kindertagesstätten befassen. „Wir brauchen mehr Einrichtungen, die von der Stadt getragen werden“, so Zimmermann.

Nach etwa acht Minuten kommt der Rest der Familie Zimmermann langsam wieder heruntergefahren. Freudig empfangen Lars und sein Papa ihre Frauen. Freudestrahlend ruft die fünfjährige Lea: „Papa, ich habe zuerst das Schwimmbad gesehen.“

2. Erfahrungbericht: Öfters Grenzen überschreiten

Markus Herzog, Torben und Svenja genießen die Aussicht
Markus Herzog, Torben und Svenja genießen die Aussicht © HA | Isabella Sauer

Für Familienvater Markus Herzog ist die Ballonfahrt etwas ganz Besonderes. Der Ahrensburger sagt: „Ich arbeite in Quickborn und verbringe nicht so viel Zeit in Ahrensburg.“ Nun hat er die Gelegenheit, sich die Stadt einmal ganz in Ruhe und von oben anzuschauen. Sein spontaner erster Eindruck: „Ich bin überrascht, wie weitläufig Ahrensburg doch ist.“

Auch seine beiden Kinder Torben und Svenja sind von dieser Aussicht beeindruckt. Da stört sie der leichte Wind, der den Korb zum wackeln bringt, nicht. Die Neunjährige sagt: „Leider kann ich nicht bis nach Hause an den Stadtrand gucken.“ Vater Markus reagiert sofort und sagt: „Schau mal, dafür siehst du dort hinten aber die Hela-Fabrik.“ Und der siebenjährige Torben hat schnell einen Sendemasten entdeckt.

Gibt es für die Familie in Ahrensburg Themen, die mal aus einer anderen Perspektive betrachtet werden sollten? Alle rufen gemeinsam: „Nein, Ahrensburg gefällt uns so sehr gut.“ Dann merkt Markus Herzog doch noch etwas an und sagt: „Diese Aktion erregt viel Aufmerksamkeit und hier werden Grenzen zwischen jungen und alten Menschen und verschiedenen Nationalitäten überschritten.“ Deswegen sollte es in der Schlossstadt ähnliche Projekte häufiger geben. „Dann wachsen alle noch mehr zusammen und es ist egal, ob jemand im Stadtkern oder weiter draußen wohnt“, sagt Herzog.

3. Erfahrungsbericht: Mehr an Radfahrer denken

Monika Meyer und Milad schauen sich Ahrensburg durch ein Fernglas an
Monika Meyer und Milad schauen sich Ahrensburg durch ein Fernglas an © HA | Isabella Sauer

Wie ein kleiner Zappelphilipp und mit einem ganz großen Lächeln im Gesicht, lehnt sich Monika Meyer an die Bande des Ballonkorbes. Dann nimmt sie ihr extra für diesen Anlass gekauftes Fernglas in die Hand und fokussiert die Hamburger Straße. Die Ahrensburgerin sagt: „Wahnsinn, diese tolle Aussicht!“

Danach folgt ihr erstes Resümee: Ahrensburg ist wirklich sehr, sehr grün. Die heutige Aktion findet sie klasse. „So bekommt man nicht nur einen ganz anderen Blick auf die Stadt, sondern lernt auch noch viele neue Mitbürger kennen“, sagt sie und reicht ihr Fernglas an Flüchtling Milad weiter.

Während der 13-Jährige vorsichtig und schüchtern zugleich danach greift, fängt seine Nachbarin an, sich über die Stadt zu unterhalten. Meyer sagt: „Zum Thema Blickwinkel ändern fallen mir gleich mehrere Punkte ein.“ So zum Beispiel die schreckliche Verkehrssituation. Sie sagt: „Hier muss endlich mal ein anderer Blick auf die Dinge angewendet werden: Weniger an die Autofahrer und mehr an die Fußgänger und Radfahrer denken.“ Im Stadtkern führen zu viele Autos herum, und oft herrsche deswegen Chaos für die Radfahrer.

Mittlerweile traut sich Mitfahrer Milad mehr zu und lehnt sich sogar ein bisschen weiter aus dem Ballon heraus. Er lächelt und genießt diesen außergewöhnlichen Ausblick. Dann sagt er zu Monika Meyer: „Ich freue mich, dass ich hier wohnen darf.“ Außerdem gefalle es ihm sehr, dass er durch solche Aktionen wie heute mit vielen neuen Menschen in Kontakt komme. Der Jugendliche schaut durch das Fernglas und sagt: „Ich würde mich freuen, wenn es solche Veranstaltungen öfters geben würde, bei denen junge und alte Menschen zusammenkommen.“ Also ein weiterer Perspektivenwechsel: Nicht nur Angebote ausschließlich für Senioren und Jugendliche schaffen, sondern mehr Gemeinschaftsprojekte.