Bad Oldesloe/Lübeck/Kiel . Der Jugendliche wurde von der Polizei bei der Tat gestoppt. Der Täter stammt aus Eritrea. Spielt die Herkunft eine Rolle?
Dieser Fall ist delikat, und das nicht mal unbedingt wegen des abscheulichen Verbrechens, um das es im Kern geht: Ein 17 Jahre junger Mann hat am späten Dienstagabend versucht, in einem Parkhaus in Bad Oldesloe eine um ein Jahr ältere Frau zu vergewaltigen. Er hat sie dabei ins Gesicht gebissen. Und er hat bei seiner Festnahme einen Polizisten so schwer verletzt, dass der mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden musste.
Und: Der junge Mann ist Flüchtling. Er stammt aus Eritrea.
Macht dieses Detail die Tat schlimmer? Weniger schlimm? Ist es überhaupt relevant, um zu erklären, was geschehen ist? Tatsache ist: Die Information stammt aus einer offiziellen Mitteilung der Polizeidirektion Ratzeburg, ist von der Staatsanwaltschaft Lübeck bestätigt worden – und einem Bericht der Deutschen Presseagentur zufolge unmittelbar danach auch Gegenstand einer Rede des Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) im Landtag gewesen.
Für den Oberstaatsanwalt spielt die Herkunft eines Menschen keine Rolle
Es ist ein Paradigmenwechsel erkennbar seit der vergangenen Silvesternacht, seit den massenhaften Übergriffen auf Frauen in Köln, Hamburg und anderen Städten. Denn Tatsache ist auch: Welcher Bevölkerungsgruppe ein mutmaßlicher Straftäter angehört, sollte in den vergangenen Jahrzehnten in der öffentlichen Darstellung nur wenig Niederschlag finden – und wenn, dann möglichst nur dann, wenn die Herkunft eines Menschen in einem Zusammenhang mit seiner Tat gesehen werden muss.
Gibt es im Oldesloer Fall so einen Zusammenhang? Ralf Peter Anders, Oberstaatsanwalt und Sprecher der zuständigen Anklagebehörde in Lübeck, sagt: „Nein, einen direkten Zusammenhang zwischen Tat und Herkunft sehen wir nicht. Das würde ja sonst heißen, dass Männer aus Eritrea Vergewaltiger sind.“ Nichtsdestotrotz lege die Öffentlichkeit nach Köln „ein wahnsinniges Augenmerk auf dieses Thema“, weshalb die Staatsanwaltschaft dem Informationsbedürfnis auch nachkomme.
Das ändere aber nichts an der Einstellung und am grundsätzlichen Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Anders: „Für uns steht die Straftat im Mittelpunkt, und zwar ohne Ansehen der Person.“ Auf Nachfrage sagt Anders, dass sein Haus in den vergangenen Monaten vermehrt von Flüchtlingen begangene Straftaten beobachtet habe – „ganz einfach deshalb, weil mehr Flüchtlinge da sind.“ Im Bereich der Sexualdelikte sei kein erhöhtes Aufkommen zu beobachten, wohl aber bei Wohnungseinbrüchen.
Während in Kiel also auch der Ministerpräsident über den Oldesloer Vorfall sprach, verhandelte ein Haftrichter im Amtsgericht Ahrensburg über den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls, den die Staatsanwaltschaft beantragt hatte. Der junge Mann, ein sogenannter minderjähriger unbegleiteter Flüchtling, hält sich seit 2013 in Deutschland auf und ist in einem Oldesloer Kinderheim gemeldet ist.
Was er am Dienstagabend getan haben soll, konnte offenbar nur durch einen glücklichen Zufall in letzter Sekunde vereitelt werden. Nach einem Bericht der Polizei stellt es sich folgendermaßen dar: Eine Beamtin und ein Beamter des Polizeireviers Bad Oldesloe waren gegen 22.45 Uhr auf Fußstreife durch die Oldesloer Innenstadt. Aus dem Parkhaus an der Königstraße hörten sie eine Frau wimmern. Sie gingen den Geräuschen nach und überraschten im Treppenaufgang des Parkhauses einen 17-Jährigen. Er hielt eine 18 Jahre alte Frau von hinten fest umklammert und versuchte, sie zu vergewaltigen. Die Polizisten griffen sofort ein und rissen ihn von seinem Opfer weg. Sie nahmen ihn vorläufig fest und legten ihm Handfesseln an. Wie sich herausstellte, muss der Mann die Frau heftig gebissen haben, sie war im Gesicht und am Hals verletzt.
Bei der vorläufigen Festnahme leistete der 17-Jährige erheblichen Widerstand, er war sehr aggressiv. Auf dem Weg zu einem Streifenwagen versuchte er, sich loszureißen. Als er schließlich mit Unterstützung weiterer Polizeibeamter im Streifenwagen saß und ihm ein Beamter den Sicherheitsgurt anlegen wollte, schlug er um sich und schrie. Er versetzte dem Polizisten eine Kopfnuss, sodass der mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden musste. Das Opfer befindet sich derzeit in ärztlicher Behandlung.
Im Landtag sprach sich Ministerpräsident Albig unterdessen dafür aus, getrennt zwei Debatten zu führen: Eine über Kriminalität auch von Ausländern, und eine andere über Flucht. Unter den Schutzsuchenden gebe es auch Menschen, die sich kriminell verhielten. Die Integrationsbemühungen dürften aber nicht zerredet werden.
Innenminister fordert, Straftäter konsequenter abzuschieben
Folge der Vorgänge von Köln dürfe nicht sein, dass sich die politische Rechte in den Landtagen breitmacht, sagte SPD-Fraktionschef Ralf Stegner. CDU-Fraktionschef Daniel Günther warf dagegen der Bundes-SPD einen Rechtsruck vor. Spitzenpolitiker hätten sich zuletzt zum Teil wie die AfD geäußert. Die SPD versuche, einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingswelle und Kölner Vorgängen zu negieren. Günther: „Uns helfen solche Verharmlosungsversuche nicht weiter.“
Auch FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki warf SPD-Spitzenpolitikern vor, sie seien Argumentationslinien von Rechtspopulisten nahegekommen. Die Grüne Fraktionschefin Eka von Kalben bekannte sich dazu, kriminelle Ausländer zu verurteilen und abzuschieben.
Innenminister Stefan Studt (SPD) betonte, die Polizei sei angewiesen, die Öffentlichkeit transparent über alle relevanten Vorkommnisse im Zusammenhang mit Flüchtlingen zu informieren. Vorgänge wie in Köln könnten nicht mit Verschärfungen des Ausweisungsrechts verhindert werden. Deutschland müsse im Vollzug besser werden, um straffällige Ausländer gegebenenfalls in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken. Neue Normen seien nicht erforderlich.