Bad Oldesloe. Aufklärung, Stigmatisierung, Tests: Zum heutigen Welt-Aids-Tags sprach das Abendblatt mit einem Betroffenen und einem Experten.
Das Datum des Tages, an dem sein Arzt ihm die HIV-Diagnose stellte, weiß er noch genau. Sogar an die exakte Uhrzeit erinnert er sich: 9.45 Uhr. „So etwas merkt man sich“, sagt der seit sechs Jahren infizierte Stormarner, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er könnte Kai H. heißen, ein Kind der 70er-Jahre. Das ist eigentlich ein Glück. Denn aufgrund immer besser werdender Medikamente und Therapien hat Kai H. dieselben Chancen, ein ebenso hohes Alter zu erreichen wie nicht infizierte Altersgenossen. Das hat ihm sein Arzt damals in dem Gespräch nach 9.45 Uhr gesagt.
Die Zahl der Neuinfektionen steigt bei Heterosexuellen
Kai H. ist einer von etwa 200 HIV-Infizierten in Stormarn. Die Zahl 200 nennt Günther Frank, Diplom-Psychologe und Chef der Aids- und Sexualberatung beim Kreis. Obwohl HIV eine meldepflichtige Infektion ist, speichert das zuständige Robert-Koch-Institut Namen und Wohnort der Infizierten nicht, sondern lediglich Alter, Geschlecht und die ersten drei Ziffern der Postleitzahl, bei Einverständnis des Patienten noch den Infektionsweg. Aber nach dieser Statistik leben in Deutschland mehr als 80.000 Menschen mit einer HIV-Infektion.
Immer noch ist der Großteil der Infizierten homosexuell. Doch während die Zahl der Neuinfektionen bei ihnen leicht, aber stetig zurückgeht, steigt sie bei den Heterosexuellen. Trotz intensiver Aufklärung. So sind die Themen HIV und Aids verpflichtend in allen Schularten, sowohl in der Sekundarstufe als auch in der Oberstufe, sagt Patricia Zimnik, Sprecherin des Ministeriums für Schule und Berufsbildung in Kiel. Das Thema werde nicht nur im Biologieunterricht aufgegriffen, sondern auch fächerübergreifend. Patricia Zimnik sagt: „Etwa in Wirtschaft, Politik, Geografie, Religion und Philosophie.“ Wann und wie über HIV und Aids gesprochen wird, legten die Schulen selbst fest.
Die Anne-Frank-Schule in Bargteheide widmet dem Thema eine ganze Woche. Heike Uhlenbrok, Stufenleiterin für die Klassen 5 bis 7, sagt dazu: „In der Regel übernimmt das Gesundheitsamt mit Mitarbeitern von Pro Familia die Aufklärung.“ In der neunten Klasse lernen die Schüler noch mehr über die gefährliche Infektion im Fach Naturwissenschaften.
Viele kommen nach einem Seitensprung zum HIV-Test nach Bad Oldesloe
Günther Frank weiß, warum Aufklärung nicht alles ist, um Neuinfektionen zu verhindern. Er sagt: „Gerade bei der Sexualität gibt es eine Differenz zwischen Wissen und Umsetzung.“ Bei Drogenabhängigen sei das ähnlich. „Die Menschen wissen, dass sie Kondome verwenden oder nicht das Spritzbesteck anderer Süchtiger verwenden sollten, aber sie machen es manchmal dann eben doch anders.“ Und das gehe immer wieder auch schief.
Nicht jeder Betroffene mache nach so einem sogenannten Risikokontakt einen Test. Bei Günther Frank unterzogen sich 2014 gerade einmal 45 Stormarner einem HIV-Test. „Dieses Jahr waren es bis jetzt 55.“ Es waren zwei gute Jahre für Frank – denn in keinem der Fälle musste der Berater eine schlechte Nachricht überbringen. Elf Neuinfektionen gab es laut Robert Koch-Institut 2014 im Lübecker Raum.
„Zum anonymen Test kommen vor allem Menschen, die eher vorsichtig bei dem Thema sind, selten hatten sie einen echten Risikokontakt“, weiß Günther Frank. Einige ließen sich testen, weil sie am Beginn einer festen Partnerschaft stehen. Andere kämen nach einem Seitensprung oder einem Besuch bei einer Prostituierten. Frank: „Oft haben sie sogar ein Kondom verwendet, aber bekommen dennoch Angst.“ Frank vermutet, dass bei einigen einfach nur das schlechte Gewissen eine Rolle spiele.
Der Test beim Gesundheitsamt kostet 5,10 Euro. Frank sagt: „Wer das nicht bezahlen kann, kann sich kostenfrei testen lassen.“ Nach einer Anmeldung empfängt Frank die Besorgten zum Gespräch, anschließend entnimmt Ärztin Birgit Möser Blut, das in einem Labor in Kiel untersucht wird. Nach einer Woche kommt der Getestete zum erneuten Gespräch, erfährt das Testergebnis. Mussten Besorgte nach ungeschütztem Sex vor einem Jahr noch drei Monate warten, bis der Test zuverlässige Ergebnisse lieferte, kann die Infektion heute schon nach sechs Wochen nachgewiesen werden.
Menschen mit HIV noch immer stigmatisiert
Es hat sich viel getan – bei Tests und bei den Therapien. Doch leider gibt es weiterhin auch haarsträubende Geschichten, gefährliches Halbwissen. Das ärgere Kai H. „So wird Schülern immer noch erzählt, Aids gebe es in ganz Europa nicht mehr wegen der guten Therapiemöglichkeiten.“ Was sich auch nicht geändert habe, sei die Stigmatisierung von Infizierten, die Berührungsängste vieler Menschen ihnen gegenüber. Das Motto des heutigen Welt-Aids-Tages lautet deswegen: „Positiv zusammenleben“. Einer der Slogans der Kampagne lautet: „Was macht ihr, wenn euer Stürmer HIV hat? Hoffentlich viele Tore.“
Sylvia Urban von der Deutschen Aids-Hilfe sagt: „Menschen mit HIV werden immer noch von Familien und Freunden ausgeschlossen, sie erleben Beleidigungen, werden in einigen Arztpraxen abgewiesen.“ Das sei eine Form von Intoleranz, schüre unnötige Angst, die Betroffene zusätzlich belaste.
Das Gesundheitsamt bietet noch bis Donnerstag kostenlose Tests an
Das Robert Koch-Institut hat jüngst in einer Studie einen Zusammenhang zwischen Stigmatisierung und steigender Zahl der Neuinfektionen festgestellt. Wer Angst hat, lässt sich nicht testen, steckt andere möglicherweise schneller an. Mehr Aufklärung im Umgang mit Infizierten wünscht sich auch Kai H. Zum Abendblatt sagt er: „Wie man sich schützen kann, wissen alle. Dass man sich auch normal gegenüber einem Infizierten verhalten kann, jedoch nur wenige.“ Kai H. halte auch aus diesem Grund seine Infektion vor den meisten Menschen geheim. „Nur meine Familie und meine engsten Freunde wissen Bescheid.“ Am besten hätten die Frauen und die Homosexuellen reagiert.
Noch bis Donnerstag, 3. Dezember, dauert auch im Gesundheitsamt Bad Oldesloe (Mommsenstaße) die sogenannte European HIV Testing Week. Bei der Aktion der Gesundheitsämter und Aids-Hilfen können sich Menschen kostenfrei auf HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen.