Wulksfelde. Die Gutsbäckerei des Gutes Wulksfelde feiert den 15. Geburtstag. Ein morgendlicher Besuch bei den Teig-Liebhabern.

Morgens um 3 Uhr ist die Welt eine bessere als bei Tageslicht. Die meisten Menschen im Bett, die Straßen frei von Autos, im Radio die bessere Musik und das Brot frisch und warm und unvergleichbar duftend. Die Nacht liegt noch über der Gutsbäckerei auf dem Gut Wulksfelde. Doch um im Dunkeln zur Gutsbäckerei zu finden, muss der Besucher nur diesem Duft folgen. In einem kleinen Büro im ehemaligen Kuhstall des Gutes sitzt Norbert Klemme, 58, an seinem Schreibtisch. Es ist 3.45 Uhr, der Kaffee in der Blechtasse dampft. „Es duftet, sagen Sie?“, fragt Klemme. „Ach, ich rieche das gar nicht mehr.“

Mit dem Messer werden die Teiglinge an der Oberfläche eingeschnitten
Mit dem Messer werden die Teiglinge an der Oberfläche eingeschnitten © HA | Andreas Burgmayer

Betriebs-Geruchslosigkeit, sozusagen. Der Mann ist seit 1982 Bio-Bäcker, die Backstube ist sein natürliches Habitat, die Liebe zum Teig sein Lebensthema. Die Gutsbäckerei leitet er vom ersten Tag an. Nun feiern Klemme und seine zehn Bio-Bäcker den 15. Geburtstag.

„Wir machen Teig für Menschen, nicht für Maschinen“

„Das ist ein Beruf, den kannst du nicht machen, wenn du nur Geld verdienen willst“, sagt Klemme. „Du must die Liebe zu diesem Handwerk haben.“ Sechs-Tage-Woche, Arbeitsbeginn 23 Uhr, Feierabend um 7 Uhr. Schlafen, wenn andere im Kino sind, im Garten grillen oder das WM-Viertelfinale schauen. Nur schwer eine Frau oder einen Mann finden, der all das als Partner mitmacht. „Ich hatte in den vergangenen Jahren lediglich drei Lehrlinge. Viele springen ab. Oder sie suchen sich was mit besseren Arbeitszeiten in den großen Industriebäckereien.“, sagt Klemme. Dort sind nicht nur die Arbeitszeiten anders. Für Klemme hat die Massenproduktion von aufgeplusterten, Enzym geschwängerten Teiglingen aus charakterlosem Mehl und Hilfsstoffen zur Optimierung der Maschinentauglichkeit nichts mehr mit dem Bäcker-Handwerk zu tun. Wenn Discounter in großen Anzeigen fragen, was eigentlich gutes Brot ausmacht, dann sollten sie sich die Antwort bei Klemme abholen. Dazu sollte man allerdings Zeit mitbringen. Denn seine Antwort ist umfassend.

Tag der offenen Tür

Zum 15. Geburtstag lädt die Gutsbäckerei zu einem Tag der offenen Tür ein. Am Sonnabend, 31. Oktober, von 10 bis 18 Uhr, steht die Bäckerei im alten Kuhstall des Gutes am Wulksfelder Damm 15–17 den Besuchern offen.

Bäckermeister Norbert Klemme wird die Besucher bei Backstubenführungen hinter die Kulissen der Gutsbäckerei führen. Die Führungen starten jeweils um 10.30, 12.30, 14.30 und 16.30 Uhr.

Die Teilnehmer erfahren Wissenswertes über das Bäckerhandwerk, das verwendete Getreide und die vielen Brotsorten. Für das leibliche Wohl sorgen bei Kaffee und Kaltgetränken der Wulksfelder Kuchen und vor Ort frisch gebackene Franzbrötchen. abm

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„Wir machen Teig für Menschen, nicht für Maschinen“, sagt Klemme. Als Lehrling in den 70er-Jahren wollte er schon wissen, was eigentlich genau diese Backmittel gegen Fadenziehen sind – und er bekam von niemandem eine Antwort. Heute ist es der Grundsatz in der Gutsbäckerei: „Jeder muss genau wissen, was in das Brot hineinkommt.“ In der Regel sind das Dinkel, Roggen, Weizen, aber auch mal Kamut, Amaranth, Hirse oder Grünkern.

Handarbeit ist in der Gutsbäckerei an jeder Stelle angesagt: Die Buchenholzrahmen werden mit dem Holzschieber in die hintersten Ecken des Ofens geschoben
Handarbeit ist in der Gutsbäckerei an jeder Stelle angesagt: Die Buchenholzrahmen werden mit dem Holzschieber in die hintersten Ecken des Ofens geschoben © HA | Andreas Burgmayer

Das volle Korn wird in der Steinmühle der Gutsbäckerei geschrotet, es behält Charakter und auch den fetthaltigen Keimling. Und wenn dieses Schrot mit Wasser und Hefe zusammenkommt, dann klebt der Teig eben wie Matschepampe an den Händen. In der Maschine sorgt so ein Klumpen für den technischen Kollaps. In der Hand eines erfahrenen Bio-Bäckers wird daraus ein kulinarisches Gedicht.

„Wer bei uns anfängt, muss als Bäcker noch mal von ganz vorne anfangen und alles vergessen, was er in der herkömmlichen Ausbildung gelernt hat“, sagt Klemme. Bio-Bäckerei ohne Hilfsstoffe, das ist wie gehen lernen nach Jahrzehnten an Krücken.

Los ging es mit 300 Broten am Tag

In der Gutsbäckerei macht der Teig nicht, was der Bäcker will, sondern der Bäcker erfüllt dem Teig jeden Wunsch. „Wir begreifen den Teig als Lebewesen, das sind viele kleine Organismen, und jedes Tierchen braucht sein Futter.“

Wenn Klemme über Sauerteig philosophiert, über die richtigen Bedingungen für die Entwicklung von Essig- oder Milchsäure, dann schwingt Begeisterung in jedem Wort mit. „Der Teig braucht Zeit, um seinen Geschmack zu entwickeln. Wir geben sie ihm.“

Norbert Klemme, 58, Bäckermeister der Gutsbäckerei und seit der ersten Stunde dabei
Norbert Klemme, 58, Bäckermeister der Gutsbäckerei und seit der ersten Stunde dabei © HA | Andreas Burgmayer

Vor 15 Jahren, da buken sie in der Gutsbäckerei nicht mehr als 300 Brote am Tag. Heute sind es in der Spitze bis zu 2500 Brote in 25 verschiedenen Varianten, dazu Brötchen, Laugenhörnchen oder Vollkorn-Franzbrötchen. Sechs Tonnen Getreide verarbeitet Klemme im Jahr. Und fast alle Körner stammen aus dem nachhaltigen und ökologischen Anbau des Gutes Wulksfelde.

„Ich liebe dieses Zusammenspiel. Oft frage ich beim Landwirt nach, wie die Ernte wird.“ Denn der Geschmack des Brotes entwickelt sich schon auf dem Acker. „Wenn es eine eher feuchte Ernte wird, dann beginnt im Korn schon der Freisetzungsprozess der Wirkstoffe“, sagt Klemme.“ „Wenn ich das nicht berücksichtige, kann der Geschmack des Brotes hin sein.“

Nach trockenen Sommern sei das Korn hingegen ein ganz anderes. In der Industrie würden solche Ungereimtheiten mit Beimischung älterer Ernten und – abermals – Hilfsstoffen korrigiert, damit das immergleiche Mehl zur Verfügung steht, das um Gottes Willen nicht die Maschinen bei ihrem reibungslosen Werk stören soll.

Laib für Laib echte Bio-Qualität: Die fertigen Brote der Gutsbäckerei stehen zur Abholung bereit
Laib für Laib echte Bio-Qualität: Die fertigen Brote der Gutsbäckerei stehen zur Abholung bereit © HA | Andreas Burgmayer

In der Gutsbäckerei arbeiten an diesem Morgen reibungslos sechs Bäcker mit geübtem Griff. Die Öfen machen den Raum mollig warm. Aus dem Radio dudeln 80er-Jahre-Hits. Der Boden ist etwas rutschig, weil eine dünne Mehl-Firnis darüber liegt. Essigsauer riecht es aus einem Rührbottich, in dem der Sauerteig für die nächste Backnacht angesetzt wird. Auf den Tischen werden gerade die Brotlaibe für die Gutsküche von Rebecca und Matthias Gfrörer für den Ofen vorbereitet. Die Laibe liegen gut ausgeruht in hölzernen, ovalen Holzformen und werden nun auf das Backblech gestürzt. Die feinen Rillen auf dem Teig sind also die Abdrücke aus den Formen. Ein Bäcker nimmt ein Messer und ritzt die Laibe an der Oberfläche mehrfach ein. Dann wandern die Brote in den 260 Grad heißen Ofen. Jetzt müssen nur noch die Friesenbrote hinterher, dann ist die Schicht für heute geschafft. Die viereckigen Roggenmischbrote mit ganzen Roggenkörnern liegen in rechteckigen Buchenholzrahmen. Sie werden vor ihrer Feuerprobe mit kaltem Wasser abgesprüht, damit die Kruste nicht zu hart wird, dann geht es ab in den Ofen. Der Bäcker rückt die Rahmen im engen Schacht mit einem hölzernen Schieber an die richtigen Stellen. Ein klassisches Bäcker-Utensil, das in der Industrie längst ausgestorben ist.

Gegen 5 Uhr kommen die Transporter. Dann geht fast alles Bio-Brot raus in die Metropolregion, in Edeka-Läden und Verkaufsstellen bis nach Lübeck. Die Gutsbäckerei im Hofladen wird voll bestückt. Die Bäcker räumen auf und bereiten den nächsten Tag vor.

Feierabend – besser Feiermorgen. „Manche gehen gleich schlafen bis Mittag“, sagt Klemme. „Mir begegnet auf dem Nachhauseweg immer ein Nachbar im Auto. Ich fahre heim, er zur Arbeit. Der beneidet mich dann immer.“ Aber acht Stunden zuvor hätte er bestimmt nicht mit Norbert Klemme tauschen wollen.