Bad Oldesloe. Bad Oldesloe birgt viele Hindernisse für Rollstuhlfahrer. Rollstuhlfahrer Norman Tomschin will Anstoß für mehr Rücksicht geben.
„Die Feuerwehr musste den Mann aus dem Fahrzeugwrack befreien. Er ist mit erheblichen Verletzungen im Wirbelbereich in ein Krankenhaus gebracht worden“, heißt es im Polizeibericht. Die Nacht zu Sonnabend, 6. April 2013, veränderte das Leben von Norman Tomschin, heute 36 Jahre alt, für immer. Zwischen Bad Oldesloe und Grabau war sein Auto gegen einen Baum geprallt.
„Ich kann mich noch an alles erinnern. Ich lag wohl mehrere Stunden eingeklemmt in meinem Wagen. Dann entdeckten mich zwei Jugendliche, riefen den Notarzt und verschwanden“, sagt der Oldesloer. Er sei nur Tempo 60 gefahren, doch die Straße war glatt. Blitzeis.
Seit mehr als zwei Jahren sitzt Norman Tomschin im Rollstuhl. Seine Wirbelsäulenverletzungen waren so stark, dass er seine Beine nicht mehr bewegen kann. Auch seine Hände kann er nur noch eingeschränkt benutzten. „Das kann jedem passieren. Dem sollte man sich bewusst sein“, sagt er. Seine Chancen, irgendwann wieder laufen zu können, liegen bei 50 Prozent.
Die Abflussrinne wird zur Stolperfalle
Für Menschen, die laufen und Sport machen, ist es wohl unvorstellbar, möglicherweise dauerhaft auf Hilfe angewiesen zu sein. Viele würden aufgeben. Norman Tomschin nicht. „Ich sage immer: Bad Oldesloe ist meine Stadt. Hier bin ich aufgewachsen, viele kennen mich, das ist mein Zuhause.“ Jetzt hat er eine neue Aufgabe für sich entdeckt: „Ich möchte den Anstoß geben, dass mehr auf die Bedürfnisse von Rollstuhlfahrern Rücksicht genommen wird.“
Während Passanten durch die Fußgängerzone schlendern können, haben es Rollifahrer schwer. Das zeigt sich schnell bei einem Selbstversuch in der Fußgängerzone. Besonders gefährlich: die Besttorstraße zwischen Hude und Bahnhofstraße. Dort wird die lose gepflasterte Abflussrinne in der Mitte der Straße zur Stolperfalle. „Rollstühle mit dünnen Rädern können sich hier verhaken, und man liegt auf der Nase“, sagt Norman Tomschin. „Da ich meine Hände nicht benutzen kann, könnte ich mich nicht einmal abstützen.“
Rollstuhlfahrer scheitern an den Geschäftseingängen
Ein weiteres Problem sind die Tiefbauarbeiten. Für Kanalarbeiten wird die Pflasterung aufgerissen und anschließend provisorisch mit Schotter geschlossen, um später Glasfaserkabel verlegen zu können. Dadurch entstehen für Rollifahrer regelrechte Schikanen. In dem losen Untergrund kann man sich festfahren, es geht weder vor noch zurück.
Wer die Hindernisse in der Fußgängerzone umfahren hat, scheitert oft an den Eingängen der Geschäfte. Viele Läden – vor allem an der Hude – sind nur über Treppen erreichbar. Dort bietet einzig der Hudemarkt eine Rollstuhlrampe.
Auf dem Wochenmarkt einkaufen können sie nicht
Das wahre Grauen beginnt auf dem Markt. Der gesamte Platz besteht aus Kopfsteinpflaster und lässt sich unmöglich befahren. „Mit einem Elektrogefährt geht das vielleicht noch, mit einem normalen Rollstuhl ist das unmöglich. Auf dem Wochenmarkt einkaufen können wir nicht“, sagt Norman Tomschin. Er lobt aber auch eine positive Veränderung: Endlich gibt es eine behindertengerechte Toilette im gerade eröffneten Restaurant Laurent.
„Bad Oldesloe ist eine schöne Stadt, aber es muss sich hier viel tun“, sagt Norman Tomschin. „Es ist natürlich klar: Wer nicht auf einen Rollstuhl angewiesen ist, hat nicht das Auge für die Probleme, die für uns hier existieren.“ Daher lädt er jeden ein – vor allem Lokalpolitiker und auch Bürgermeister Tassilo von Bary – sich einmal in einen Rollstuhl zu setzen und gemeinsam mit ihm durch die Stadt zu fahren: „Das ist der beste und direkteste Weg, die Probleme zu zeigen.“