Glinde. Glinderin schickte 45.600 Pullover nach Australien – für den Fall einer Ölkatastrophe. Jetzt unterstützt sie afghanische Flüchtlinge.

Karl-Heinz trägt immer noch seinen roten Wollpullover. Neben ihm stehen Claus mit C, Philip, Robert und Claudia. Das sind nicht etwa die Kinder von Angelika Regenstein und Claus-Peter Pluschke aus Glinde. Es sind Pinguin-Figuren, Andenken an eine außergewöhnliche Aktion.

Alles begann mit einem Aufruf in einem Touristik-Magazin. Es war der Hilferuf, australische Pinguine im Fall einer drohenden Ölkatastrophe zu schützen, der das Leben der Glinder Familie komplett veränderte.

Jetzt sind die Zwergpinguine im weit entfernten Australien für den Ernstfall gut gewappnet. Den Tieren im Naturreservat Philip Island in der Nähe von Melbourne stehen 45.600 handgestrickte Wollpullover zur Verfügung. Kommt es hart auf hart, können die putzigen Tiere ihren Frack in Zukunft gegen einen Strickpullover tauschen. Diese extravaganten Outfits für den Ernstfall gibt es in Rot und Grün, in schrillem Pink, mit und ohne Muster.

Sie legte die Pullover ins Schaufenster, bis der Stapel die Decke erreichte

„Ich hatte schon immer ein Helfersyndrom“, erinnert sich Angelika Regenstein. „Seit dem Aufruf hatte ich nur noch Pullover für Pinguine im Kopf.“ Zwei Abende benötigte sie für einen Pullover. Bei 60.000 australischen Zwergpinguinen war schnell klar: Das ist allein nicht zu schaffen. Europaweit fanden sich Strickerinnen, die nach ihrer Vorlage Wollpullover für die nicht mal 30 Zentimeter großen Tiere anfertigten. Die skurrile Geschichte ging um die Welt. Das Abendblatt, Radio und Fernsehen berichteten. Aufmerksamkeit verschaffte der damaligen Reisebüroinhaberin auch das dekorierte Fenster ihres Geschäfts. „Ich habe die Pinguinpullover ins Schaufenster gelegt, bis sie sich bis unter die Decke stapelten.“ Bereits ein halbes Jahr später sah sich die heute 67-Jährige gezwungen, ihre gut gemeinte Hilfsaktion zurückrufen. „Die Resonanz hat mich fast erschlagen.“

Angelika Regenstein vor drei Jahren in ihrem Reisebüro
Angelika Regenstein vor drei Jahren in ihrem Reisebüro © Antonia Thiele

Türkei, Italien, Spanien: Ganz Europa war im Strickfieber. Kartonweise lieferten die Paketboten die Pinguin-Notfallbekleidung nach Glinde. 228 große Umzugskartons stapelten sich im Keller von Familie Regenstein. Galt noch zu klären: Wie kommen die bunten Minipullover zu den flugunfähigen Seevögeln? Umtriebig und engagiert organisierte die Tierfreundin den Transport ins 16.196 Kilometer entfernte Australien. Kartons und Kisten wurden aus der Nachbarschaft gespendet, eine Spedition übernahm den kostenlosen Transport. „Ich hätte gern weitergemacht, aber auf Philip Island war kein Platz mehr für unsere Pullover“, sagt Angelika Regenstein. „Für einen nötigen Anbau fehlte dort das Geld.“

Doch die lustige Aktion hat einen ernsten Hintergrund. Die Pullover sollen im Fall einer Ölkatastrophe verhindern, dass das Gefieder verklebt und die Tiere die Gifte abschlecken. Eine beschädigte Schutzschicht wirke nicht mehr wasserabweisend und könne schlimmstenfalls zum Erfrieren der Pinguine führen. Ein Szenario, das seitdem noch nicht eingetreten ist.

Auch wenn ihre Pullover noch nicht zum Einsatz kommen sind: „Helfen ist immer ein gutes Gefühl“, sagt der Pinguin-Fan. Die weltweit positive Resonanz führt die Glinderin darauf zurück, dass nicht um finanzielle, sondern um tatkräftige Unterstützung gebeten wurde. „Mit so kleinen Pullovern kann schließlich außer einem Pinguin keiner etwas anfangen.“ Auf ein Dankeschön von den Betreibern des Naturreservats musste Angelika Regenstein allerdings vergebens warten. „Das ist enttäuschend. Meine Frau hat so viele Stunden Arbeit in das Projekt gesteckt, etwas Anerkennung hätte man schon erwarten können“, meint ihr Ehemann Claus-Peter Pluschke. Erst auf verstärkte Nachfrage wurde Angelika Regenstein ein Zertifikat und ein Plüschpinguin vom australischen Tourismusmanagement überreicht. Die erhoffte Reise nach Australien wurde zu ihrem Bedauern nie Realität.

Jetzt sucht Regenstein Helfer, die Fahrräder reparieren

In ihrem sozialen Engagement lässt sich Regenstein, inzwischen Ruheständlerin, nicht bremsen. „Helfen liegt mir im Blut“, sagt sie. Heute erinnert außer Karl-Heinz, Claus mit C, Philip, Robert, Claudia und etwa 20 weiteren namenlosen Pinguin-Figuren nichts mehr an die Aktion.

Seit Neustem kümmert sich die Glinderin um eine fünfköpfige Flüchtlingsfamilie aus Afghanistan. Der alleinerziehenden Mutter und ihren vier Kindern gibt sie Deutschunterricht. Außerdem hat sie Fahrräder für die Kinder organisiert. Die müssen jedoch noch überarbeitet werden. „Das kann ich leider nicht.“ Dafür sucht sie nun Unterstützung. Wer Angelika Regenstein helfen möchte, kann sich telefonisch unter 040/36 19 63 62 bei ihr melden.