Bargteheide. Bargteheider Grundschüler erkunden mit einem Pastor den Friedhof. Ihr Projekt heißt „Mit Gott unterwegs“. Ein Ortstermin.

Dem Tod ganz nah sein, aber ihm gleichzeitig auch den Schrecken nehmen. Die Klasse 3d der Bargteheider Johannes-Gutenberg-Schule hat für einen Tag ihr Klassenzimmer gegen den Friedhof der evangelischen Kirche Bargteheide getauscht. Die Schüler beteiligen sich an dem Projekt „Mit Gott unterwegs“. Ihr Begleiter auf dem Friedhof: Pastor Jan Roßmanek.

„Der Friedhof als Lernort ist ein Teil aus dem Projekt.“

Noch ist es ruhig vor der Friedhofskapelle. Nur ein paar Vögel zwitschern. Pastor Jan Roßmanek kommt gut gelaunt um die Ecke. Er trägt ein weißes Hemd, eine schwarze Hose, Sonnenbrille. Lässigen Schrittes schlendert er auf die Kapelle zu. Gleich trifft die Schulklasse ein: 21 Kinder im Alter von neun und zehn Jahren. Roßmanek sagt: „Der Friedhof als Lernort ist ein Teil aus dem Projekt.“ Es sind religionspädagogische Angebote, die das selbstständige Forschen, Fragen und Suchen der Kinder ernst nehmen.

© Isabella Sauer | Isabella Sauer

Lautes Gerede und Kinderlachen durchbrechen die Stille. Die Schulklasse kommt näher, dann blicken 42 Kinderaugen zum Pastor hoch. Der Kirchenmann begrüßt die aufgeregte Bande und Lehrerin Maggie Heins herzlich. Dann geht es in die kühle Kapelle hinein. Die Kinder sitzen auf den Bänken.

Die Kinder scheinen keine Angst vor dem Tod zu haben

Roßmanek teilt mehrseitige Fragebögen aus. Dann setzt er sich zwischen die Schüler und erklärt die erste Aufgabe: „Stellt euch vor, dass in der Kapelle eine Trauerfeier stattfindet. Wie würdet ihr den Altartisch und den vorderen Bereich gestalten?“ Nadja, Jasmin und Marie springen von ihren Stühlen, knien sich auf den kalten Fließenboden und zeichnen: Das Kreuz kommt hinter den Altar an die Wand, Blumen in den Vordergrund. Vielleicht noch eine Angel als Deko? „Wenn die Person gern Fische gefangen hat“, sagt Jasmin.

In der Kapelle scheinen die Kinder keine Angst vor dem Tod zu haben. Sie sind fröhlich und ausgelassen. Das ändert sich, als Roßmanek ihnen einen Blick in die Räume gewährt, die sonst fast keiner betreten darf. Hinter einer dicken, schweren Tür verbirgt sich der Leichenraum. „Hier gibt es drei Kühlkammern, in denen die Leichen aufbewahrt werden“, sagt Roßmanek und öffnet eine davon. Das Thermometer zeigt sechs Grad an. Einige Kinder schrecken zurück. Andere trauen sich in die kühle, leicht muffige Dunkelheit hinein.

Schweigend schreiben Jonne (l.) und Marvin den Bibelvers auf dem Grabstein in ihren Fragebogen
Schweigend schreiben Jonne (l.) und Marvin den Bibelvers auf dem Grabstein in ihren Fragebogen © Isabella Sauer | Isabella Sauer

Es geht nach draußen auf den Friedhof. 4500 Grabstätten gibt es hier. Vier Mitarbeiter im Winter und acht im Sommer pflegen diesen Ort. Fynn fragt: „Wie viele Beerdigungen gab es im vergangenen Jahr?“ Roßmanek sagt: „150, also fast jeden zweiten Tag eine.“ Fynn und seine Klassenkameraden staunen.

Die Grabsteine glitzern in der Sonne. Alles auf dem Friedhof grünt und blüht. Die Kinder werden mit jedem Schritt ein wenig lauter, albern herum und schubsen einander hin und her. Lehrerin Heins muss eingreifen: „Das ist hier immer noch ein Ort der Ruhe, also benehmt euch.“ Stille kehrt wieder ein, und Roßmanek erklärt die nächste Lernstation: „Teilt euch in kleine Gruppen auf. Sucht nach Grabsteinen, auf denen besondere Zeichen und Symbole abgebildet sind.“

Letzte Lernstation: die „Himmlische Stadt der Kinder“

Jonne und Marvin gehen zu zweit los. Vor einem großen, schwarzen Grabstein halten sie an, gehen in Hocke und sind ganz still. Ihr Blick wandert auf die Grabkerze, die weiße Engelsfigur und schließlich auf den Grabstein selbst. Sie zeichnen eine Getreideähre ab. Jonne vermutet, dass die verstorbene Person vielleicht Bäcker, Bauer oder Müller war. Für gewöhnlich wäre eine Ähre ein Symbol für den Laib Christi. In diesem speziellen Fall aber ist „Bauer“ tatsächlich richtig. Aber das besprechen die Kinder nicht auf dem Friedhof.

Die letzte Lernstation ist die „Himmlische Stadt der Kinder“. Als die Schüler vor einer umzäunten Häuserstadt stehen, wissen sie im ersten Moment nicht, was sie hier sollen. Es wirkt wie ein Spielort für Kinder. Aber warum ist das auf dem Friedhof zu finden? Pastor Roßmanek klärt sie auf: „Wenn ein Kind vor oder kurz nach der Geburt verstorben ist oder aus anderen Gründen kein eigenes Grab hat, kann hier ein Ort der Erinnerung eingerichtet werden. Die Eltern und Geschwister bauen dann ein Lehmhaus und stellen es auf.“ Den Schülern ist anzusehen, dass sie über das Gesagte nachdenken. Jasmin flüstert Marie ins Ohr: „Ich finde es schön, dass es so einen Ort gibt. Der sieht auch gar nicht traurig aus.“

Nun sollen die Grundschüler eines der Häuser auf ihr Blatt Papier zeichnen und auf einem Fragebogen ankreuzen, welche Gefühle sie haben. Die meisten markieren „fröhlich“ und „nachdenklich“. Gelangweilt oder traurig scheint keiner zu sein. Zu guter Letzt zeigt Roßmanek noch das „Himmlische Postamt“. Es ist das größte aller Häuser. Der Pastor sagt: „Ihr könnt auf einen Zettel eure Wünsche und Gefühle aufschreiben.“ Jeden Tag geht der fröhliche Pastor in die „Himmlische Stadt“ und schaut nach, ob das Postamt Briefe hat. Die werden ungeöffnet in der Kapelle aufbewahrt. Auch morgen wird er den Briefkasten leeren.