Erzieher können gegenüber den Arbeitgebern keinen Druck aufbauen. Das machen jetzt die Eltern – und ergreifen damit automatisch Partei.

Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Streik immer auch auf dem Rücken der Kunden ausgetragen wird. Obwohl schuldlos an einem Tarifkonflikt, sind sie es, die ein Produkt nicht kaufen oder eine Dienstleistung nicht in Anspruch nehmen können. Tatsächlich zielt Arbeitskampf aber auf die Arbeitgeber: Wollen sie hohe Verluste in Kauf nehmen, wollen sie womöglich Kunden verlieren? Oder suchen sie lieber schnell einen Kompromiss, mit dem sich auch ihre Mitarbeiter arrangieren können?

Im Streik der bei den Kommunen beschäftigten Erzieherinnen und Erzieher ist dieses Druckmittel zurzeit nicht erkennbar. Denn die Leidtragenden der Auseinandersetzung zwischen Beschäftigten und Arbeitgeberseite sind ausschließlich die Kunden, also die Eltern. Menschen, die einen Rechtsanspruch auf die nun nicht erbrachte Betreuung ihrer Kinder haben. Menschen, die sich auf ein in den vergangenen Jahren politisch gewolltes und gefördertes Modell der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verlassen haben und die sich in Einzelfällen nun eventuell sogar in ihrer Existenz bedroht sehen.

Den Arbeitgebern, dem Staat, entsteht dagegen überhaupt kein finanzieller Schaden, höchstens ein Imageschaden – weil das über Jahre als vorbildlich propagierte Betreuungsmodell eine Schwachstelle offenbart, mit der merkwürdigerweise niemand gerechnet hat.

Wünschen sich die Eltern nun verständlicherweise ein Ende des Kita-Streiks, so können nur sie den Druck aufbauen, den die Streikenden systembedingt eben nicht zu erzeugen vermögen: Auf Gebührenerstattung pochen, im örtlichen Rathaus für Unruhe sorgen – das sind die Mittel, die Ammersbeker Eltern für die passenden befunden haben.

Das Besondere daran: Indem sie dafür kämpfen, dass ihre Kinder wieder betreut werden, stehen sie im Tarifkonflikt plötzlich automatisch auf der Seite der Streikenden, instrumentalisieren sich selbst – unabhängig davon, wie jeder Einzelne unter ihnen die Forderungen des Kita-Personals für sich beurteilen mag. Die Erzieherinnen und Erzieher mag es freuen: Die Eltern haben das Problem mit dem Druckaufbauen wirkungsvoll übernommen.

Seite 2 Jetzt protestieren die Eltern