Bargteheide. Sie kennen und wollen es nicht anders: Sandro Frank, seine Familie und seine Mitarbeiter lieben die Manege. Ein Ortstermin im Zirkus.
Der Scheinwerfer fällt auf den roten Vorhang in der Manege. Es riecht nach Holzspänen, Pony, Popcorn und Zuckerwatte – ein Mix, der Kindheitserinnerungen weckt. Der Vorhang geht auf, und Sandro Frank betritt das Zelt. Seine mit Steinchen bestickte Dompteur-Jacke glitzert im Scheinwerferlicht. Es ist der Moment, den der 42-Jährige liebt. Das Publikum applaudiert. Er streckt seine Arme aus und bedankt sich mit einem breiten Lächeln. „Ich kann mir keinen anderen Beruf vorstellen“, sagt der Mann mit den Lachfalten im Gesicht. Sein ganzes Leben ist ein Zirkus. Und er ist Zirkusdirektor im „Circus Europa“, der derzeit in Bargteheide zu Gast ist.
„Ich bin in den Zirkus hineingeboren worden“, sagt Frank, der vor jeder Vorstellung in seinem Wohnwagen sitzt und Kaffee trinkt. „Mein Vater war auch Dompteur, meine Mutter Seiltänzerin“, sagt er. Als seine Eltern vor 42 Jahren mit ihrem Zirkus Halt in Sankt Peter-Ording machten, kam er zur Welt. „Damals kam ein Arzt in den Wohnwagen.“
Heute ist Frank selbst Vater dreier Kinder. Seine beiden Söhne Angelo, 26, und Sandro, 23, betreten kurz nach ihm die Manege in Bargteheide. Beide tragen ärmellose Anzüge aus blauem Satin mit silberfarbenen Verzierungen. Das Schwarzwälder Kaltblut Max läuft im Kreis an den Zuschauerreihen vorbei. Abwechselt springen die beiden Brüder auf das Pferd, das einfach weitergaloppiert. Sandro junior, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist, macht einen Handstand und springt dann ab. Sein Bruder Angelo springt auf und macht einen Salto vom Rücken des Tieres.
„Ich war akrobatisch nie so begabt“, sagt der Vater. Für ihn war schon als kleiner Junge klar, dass er mit den Tieren zusammenarbeiten wird. Vier Friesen laufen in die Manege. Weißes Geschirr und weiße Federn schmücken das schwarze Fell. Der Dompteur hält zwei Peitschen in den Händen. „Das sind meine verlängerten Arme“, sagt Frank. Denn zum Einsatz gegen die Tiere kommen die Lederriemen nicht. Die Friesen reagieren lediglich auf die Bewegungen Franks. Es ist eine Choreographie, die Friesen drehen sich im Kreis laufen parallel. Genauso wie die Kamele, die Sandro Frank genauso gut dressiert hat. „Ich liebe es, mit Kamelen zu arbeiten, es sind so intelligente Tiere“, sagt der Zirkusdirektor.
Im Wohnwagen hängen zwei Kronleuchter
„Die Tiere sind für uns Familienmitglieder, wobei ich sie nicht in meinem Wohnwagen übernachten lassen würde“, sagt Frank. Sein mobiles Heim ist liebevoll eingerichtet. In der hellen Holzküche mit den vielen Hängeschränken steht edles Porzellan, sogar ein Geschirrspüler ist dort eingebaut. Zwei goldfarbene Kronleuchter hängen an der Decke. „Man macht es sich halt schön, wenn man viel unterwegs ist“, sagt er.
Bei Tierschützern wird immer wieder Kritik laut, wenn es um die Tierhaltung im Zirkus geht. „Finde ich gut, aber nur dort, wo sie auch angebracht ist. Die Menschen müssen auch hinter die Kulissen gucken, bevor sie etwas sagen können“, sagt der 42-Jährige. „Bevor ich selbst frühstücke, versorge ich meine Tiere. Jedes ist nur wenige Minuten pro Tag in der Manege, und kein Tier würde so mitarbeiten, wenn es dem Menschen nicht vertrauen würde.“ Ferner sagt Sandro Frank, dass ein Zirkus in Deutschland ständig kontrolliert werde.
Ein weiteres Vorurteil, mit dem er und seine Familie leben müssen, ist, dass seine Kinder keine stringente Schulbildung haben. „Natürlich ist es für die Kinder nicht einfach, jede Woche die Schule zu wechseln“, sagt der Vater der 15 Jahre alten Celina. „Es ist schwer, Anschluss in einer Gruppe zu finden, aber Celina lädt dann die ganze Klasse in den Zirkus ein, und die Kinder können sich ein Bild von diesem Leben machen.“
Und Celina liebt das Zirkusleben. Sie schminkt sich vor der Vorstellung in ihrem eigenen Wohnwagen, in dem sie zwischen den Vorstellungen auch Freundinnen besuchen kommen. Ihre mit bunten Pailletten besticken, hautengen Kostüme trägt sie voller Stolz, wenn sie in die Mange tritt, mit dem Luftring in vier Meter Höhe gezogen wird und nonchalant ihre Kunststücke aufführt.
Hoch hinaus geht es auch für Mandy Scholl. Die 26 Jahre alte Schwedin lässt sich an zwei Seidentüchern in die Luft ziehen, wickelt sich darin ein, lässt sich fallen, fängt sich wenige Zentimeter vor dem Boden. Das Publikum staunt, applaudiert. Auch Scholl gehört zu einer Zirkusfamilie im „Circus Europa“. Mit ihren Eltern, der kleineren Schwester und zwei Brüder reist sie mit. Ihre jüngeren Brüder Mike und Thomas sind ebenfalls Akrobaten. Sie führen eine atemberaubende Vorführung an den römischen Ringen auf. „Das Zirkus-Leben hat seine Vor- und Nachteile“, sagt der 24-jährige Mike. „Natürlich hat man nicht viel Zeit, um seine Freunde zu besuchen. Das macht einen schon bisschen traurig.“ Den Winter verbringt er in Stockholm. „Trotzdem kann ich mir keinen anderen Beruf vorstellen. Ich gehöre zur siebten Generation in unsere Zirkusfamilie.“
Die Familie Frank verbringt die Winterpause in Celle. „Dort haben wir ein Richtiges Haus“, frotzelt der Chef. „Doch nach einer Woche kribbelt es wieder bei mir, und ich muss raus“, sagt Sandro Frank und meint damit das Leben in Freiheit. Wie oft ziehen Menschen in ihrem Leben um? Zwei-? Dreimal? Wir machen es jede Woche oder alle zwei Wochen.“ Doch die Route muss gut geplant sein. „Wenn ich für 2017 einen Platz haben möchte muss ich mich heute schon kümmern.“
Franks Bruder hat versucht, sesshaft zu werden
An einem Ort jeden Tag zur Arbeit zu gehen kann er sich nicht vorstellen. „Das funktioniert auch nicht. Mein Bruder hat es versucht“, sagt Frank. Als der Zirkus vor vielen Jahren in Hamburg Station machte, verliebte sich der Bruder in eine Frau. „Er zog zu ihr und suchte sich einen Job.“ Zwei Jahre sei das gutgegangen. „Dann musste er zurück in den Zirkus. Seine Frau kam mit, doch sie hat es wiederum dort nicht lange ausgehalten.“
Beziehungen könnten nur funktionieren, wenn beide die Faszination Zirkus teilen. So wie Frank und seine Frau Natascha, die selbst aus einem Zirkus stammt. Die 42-Jährige sitzt heute an der Kasse, prüft vor der Show die Mikrofone, verkauft Popcorn und Zuckerwatte und richtet den Scheinwerfer auf die Künstler.
Oder wie bei seinem ältesten Sohn Angelo. Er hat seine Frau Nathalia in der Nähe von Leipzig kennengelernt. Der „Circus Europa“, gastierte in der gleichen Stadt wie der Zirkus von Nathalias Eltern. Beide verliebten sich. „Es war von vornherein klar, dass ich den Zirkus wechsele“, sagt die 26-Jährige mit dem langen braunen Haaren. In der Manege moderiert Nathalia die Vorstellung und ist die Hula-Hoop-Künstlerin. An ihrem grazilen Körper rotieren bis zu 20 Ringe. Der Strass an ihrem hautengen, schwarzen Anzug glitzert mit jeder Bewegung im Scheinwerferlicht. „Es gibt nichts schöneres, als Kinder glücklich zu machen“, sagt die zweifache Mutter. Ihre beiden Söhne Jordan, elf Monate, und Luis sind ebenfalls in den Zirkus hineingeboren.
Doch das Zirkusleben wird immer härter. „Es gibt immer weniger Zirkusse“, sagt Frank. Die Zeiten hätten sich geändert: „Heute steht niemand mehr am Straßenrand, wenn wir kommen.“ Kleine Kinder mit Eltern oder Großeltern machen das Gros aus im nur halb gefüllten Zelt.
Der Zirkusdirektor setzt deswegen auch auf den Mitmachzirkus. Seine Tochter Celina mimt dann den Clown und holt die Kinder in die Manege, Kinder können die Tiere anfassen. „Man braucht keine Elefanten oder Löwen“, sagt Sandro Frank. Die Hundenummer seines Sohnes Angelo sei der Hit.
Die machen einfach weiter, immer weiter. Sicher ist: Schon am nächsten Tag geht der Vorhang wieder auf. (Dorothea Benedikt)