Barnitz. Beim KunstHandFest herrscht eine ganz besondere Atmosphäre. Deswegen lockt es seit zwölf Jahren so erfolgreich die Besucher an.

Die beiden Mädchen haben sichtlich Spaß: Sie glucksen und kichern, während sie die Skulptur im Hof von Thomas Helbing in Barnitz nachahmen. Ihre Bewegungen sind perfekt. „Der wirkt so eingebildet, so megacool“, sagt Hannah, 14. Zu sehen sind Kopf und Schultern eines Mannes, die auf einem Sockel thronen. Daneben ein winziges Schild: „Marat, Steinguß, 2400 Euro“. „Speziell“ findet Antonia, 12, diesen Kopf. „Der ist mir irgendwie zu rechthaberisch“, sagt sie und grinst.

Die Mädchen aus Lübeck sind in Barnitz, einem 900-Seelen-Dorf bei Reinfeld. An diesem Wochenende herrscht hier eine ganz besondere Stimmung: Es sind viel mehr Menschen auf der Straße als sonst. Sie sind gut gelaunt, lächeln. Immer wieder dringen Klangfetzen durch die Luft, einige Häuser haben ihre Türen geöffnet, Künstler zeigen ihre Werke, romantische Gärten laden zum Verweilen ein: Es ist wieder KunstHandFest, das jedes Jahr rund um Himmelfahrt von sechs in Barnitz lebenden Künstlern organisiert wird.

Thomas Helbing, 56, Bildhauer und Zeichner aus Barnitz, sitzt entspannt vor seinem Atelier
Thomas Helbing, 56, Bildhauer und Zeichner aus Barnitz, sitzt entspannt vor seinem Atelier © Julia Sextl

Hannah und Antonia sind am Sonnabend nach Barnitz gekommen – und sie sind neugierig: Denn wer, zum Henker, ist denn nun dieser Marat? Mit ihrer Einschätzung zum Gesichtsausdruck der Skulptur liegen die Mädchen zumindest schon mal richtig, wie der Künstler bestätigt. „Ja, ein bisschen eingebildet war Marat bestimmt“, sagt Bildhauer Thomas Helbing. Marat war einer der führenden Köpfe der französischen Revolutionsgarde. „Er wurde von einer Frau im Badezimmer in der Badewanne ermordet. Die Skulptur zeigt den Moment der Überraschung“, erklärt der Künstler, der sich durch seine Werke viel mit Figuren aus Literatur und Politik beschäftigt.

KunstHandFest in Barnitz, das heißt auch: Kunst zum Anfassen. Nicht nur Besucher wie Hannah und Antonia finden das – auch die Aussteller sagen: „Das ist hier ein ganz zugewandtes, interessiertes Publikum, das auch gerne Fragen stellt“, sagt Uwe Kollschegg und seine Augen blitzen lustig durch seine Metallbrille. Der Möbelrestaurator und Antiquitätenhändler lebt in Barnitz in einem alten, großen Anwesen. Für das Fest hat er seine Ausstellungsfläche und die angrenzende Werkstatt geöffnet: Ungezählte, herrliche alte Möbel stehen hier. Der Geruch von Leinöl durchdringt die Luft. Ein alter Mann sitzt entspannt in einem Ohrensessel – eines der Ausstellungsstücke – und isst Kuchen.

Hier herrscht große Gelassenheit, das ist spürbar, drinnen wie draußen. Und ganz besonders in dem großen angrenzenden Garten, der direkt an der Trave liegt. „Normalerweise würden hier die ganze Zeit Paddelboote vorbeiziehen“, sagt Elmhild Koether aus Bad Oldesloe. „So war es in den vergangenen Jahren. Aber heute ist es dafür einfach viel zu kalt.“ Die Frau aus Bad Oldesloe ist jedes Jahr zum KunstHandFest in Barnitz. Diesmal hat sie neben ihrem Mann Richard erstmals auch ihre Schwester Brigitte Ley aus Stuttgart mitgebracht. Die Frauen frieren sichtlich – und sitzen trotzdem mit Kaffee und Kuchen im Garten. „Es ist einfach so unglaublich schön hier“, sagen die Schwestern.

Es gibt viel zu sehen – von Bildhauerei über Malerei bis hin zu Schmuck

Brigitte Ley aus Stuttgart neben der Skulptur
Brigitte Ley aus Stuttgart neben der Skulptur "Frau Lee und Frau Luu im Gespräch" von Isabel Lange © Julia Sextl

Der romantische Garten, Zeit zum Ausruhen, Geborgenheit – das sind die Worte, die fallen, wenn die Besucher sich unterhalten. Doch wie entsteht diese besondere Stimmung ? „Ich glaube, es liegt daran, dass alles so liebevoll vorbereitet ist, von Hand gemacht. Eben noch ganz ursprünglich und nicht kommerzialisiert“, sagt Brigitte Ley. Außerdem gebe es so viel Verschiedenes zu sehen: Von Bildhauerei über Malerei bis hin zu Schmuck, Keramik und Stoffen. Eine Metall-Skulptur hat es ihr besonders angetan: „Sie heißt ,Frau Lee und Frau Luu im Gespräch’“ – zwei Frauenköpfe mit wehenden Haaren von der Künstlerin Isabel Lange aus Bredeneek bei Kiel. Dann ist Aufwärmen angesagt – und ein Besuch im Haus nebenan.

Dort lebt und arbeitet die Goldschmiedin Rea Hoegner. Mit ihren Schmuckkreationen hat sie sich weit über Barnitz hinaus einen Namen gemacht. Ute Weiß aus Bad Oldesloe und ihre Tochter Sandra Hamer zählen zu ihren Stammkunden. „Wir sind regelmäßig hier“, sagt Ute Weiß fröhlich. Und ihre Tochter ergänzt lachend: „Hier werden Leidenschaften ausgelebt“. Das Tolle an Rea Hoegners Schmuck sei, dass er nicht nur wunderschön, sondern auch bezahlbar sei.

Rea Hoegner (v.l.), Goldschmiedin aus Barnitz, Sandra Hamer aus Reinfeld und deren Mutter Ute Weiß aus Bad Oldesloe
Rea Hoegner (v.l.), Goldschmiedin aus Barnitz, Sandra Hamer aus Reinfeld und deren Mutter Ute Weiß aus Bad Oldesloe © Julia Sextl

Bezahlbar – auch dieses Wort fällt auffällig oft: Ob im Garten von Antiquitätenhändler Uwe Kollschegg, im Atelier von Rea Hoegner, in der Werkstatt von Thomas Helbing oder am Stand von Gastaussteller Christhard Richter aus Gunzen im Vogtland. Der Bildhauer verkauft hier seine Arbeiten aus Holz. Darunter sind Schalen, in denen man Holzkreisel drehen lassen kann und Schmückendes für den Garten. Die Besucher Janin und Volker Stolten aus Wahlstedt haben sich bei ihm ein Windlicht ausgesucht. Der Kunsthandwerker nennt es „Licht am Stil“, und es erinnert ein wenig an eine dunkle Fackel, auf der ein Glas mit Teelicht sitzt.

Helbings Skulpturen hinterlassen bleibende Eindrücke

„Hier gibt es wirklich wunderschöne Sachen“, sagt Janin Stolten. „Und sie sind preislich okay.“ Janin und ihr Mann Volker Stolten sind zum ersten Mal auf dem KunstHandFest. Sie sind begeistert: „Das Angebot ist hier sehr vielfältig, es ist für jeden etwas dabei“, sagt Janin Stolten. „Außer diesen abgeschlagenen Armen“, sagt ihr Mann Volker – und spielt damit auf Marat an, die Skulptur von Thomas Helbing. „Darüber kann man nicht diskutieren, entweder es gefällt oder nicht. Ich kriege schlechte Laune bei so etwas.“

Hätte Stolten bei Bildhauer Thomas Helbing nachgefragt, warum er diese Skulptur geschaffen hat – er hätte eine spannende Geschichte zu hören bekommen: über Jean Paul Marat, mordende Frauen und die Ähnlichkeit zur Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies. Aber das kann Volker Stolten ja dann im nächsten Jahr einfach nachholen.