Lübeck/Oststeinbek. Mordprozess um Nachtportier von Oststeinbek: Der Staatsanwaltschaft in Lübeck fehlen handfeste Beweise und auch ein Tatmotiv.
Wie glaubwürdig sind die Zeugen? Diese Frage entscheidet im Mordprozess gegen Amir M. über Freispruch oder Lebenslänglich. Denn handfeste Beweise gegen den 46-Jährigen gibt es nicht. Er wird beschuldigt, einen Hotelportier in der Nacht zum 5. März 2014 in Havighorst getötet zu haben.
„Es gibt keine Tatwaffe, keine DNA-Spuren oder Fingerabdrücke – noch nicht einmal ein Motiv“, sagt Stefan Tripmaker, der den gebürtigen Afghanen vor Gericht verteidigt. Zudem seien aus Sicht des Anwalts die Zeugenaussagen, die seinen Mandanten belasten, nicht glaubhaft. Einer dieser Zeugen ist der Cousin des Angeklagten. Dieser meldete sich wenige Tage nach der Tat bei der Polizei und sagte, dass Amir M. ihm gegenüber ein Geständnis abgelegt habe. Somit rekonstruiert die Polizei die Tat so: Das Opfer Massoud A. hat am Dienstag 4. März, Spätschicht als Portier in dem Hamburger Hotel Marienthal. Um Mitternacht macht der 29-Jährige Feierabend. Doch anstatt zu seiner Frau und den beiden Kinder nach Hause zu fahren, trifft sich der ebenfalls aus Afghanistan stammende Mann mit dem Mörder. Dieser habe Massoud A. auf einen abgelegenen Feldweg im Oststeinbeker Ortsteil Havighorst gelockt. Mit vier Schüssen aus unmittelbarer Nähe in Kopf und Brust wird der Hotelportier aus Hamburg getötet. Spaziergänger finden am nächsten Morgen die Leiche. Nur wenige Meter vom Tatort entfernt wird auch das Auto des Opfers gefunden. Jemand hatte darin Feuer gelegt und somit wohl wichtige Beweise zerstört.
Noch in der Tatnacht soll Amir M. zu seinem Cousin gefahren sein und die Tat gestanden haben. Für den Haftrichter war diese Aussage glaubhaft, so dass M. nur zehn Tage nach der Tat verhaftet wurde.
„Dieser Zeuge gehörte damals selbst zum Kreis der Verdächtigen und könnte mit der Aussage von sich selbst abgelenkt haben“, sagt nun Anwalt Tripmaker. Ferner sei der Cousin von M. ein bekannter Zuhälter mit einem langen Vorstrafenregister. Viele Jahre saß er selbst im Gefängnis, wegen schwerer Raubtaten. „Außerdem hat er vor Gericht zu seinen Vorstrafen gelogen. So jemand ist für mich nicht glaubwürdig“, sagt der Verteidiger.
Doch dieser Zeuge ist nicht der einzige, der von einem Geständnis berichtet. In der Justizvollzugsanstalt in Lübeck lernt Amir M. in der Untersuchungshaft einen Mithäftling kennen. Ihm gegenüber soll der Afghane ebenfalls die Tat gestanden haben.
Die Staatsanwaltschaft glaubt dem Mithäftling
Auch dieser Zeuge hat ein ellenlanges Vorstrafenregister und ist ein verurteilter Mörder. „Er hat mit dieser Aussage versucht, seine eigene Strafe zu mildern“, vermutet Tripmaker. Ferner ist bewiesen, dass der Zeuge gelogen hat. In seiner Aussage vor Gericht sagte der Mann, dass es um Drogengeschäfte ging. Dabei konnte der Mithäftling von M. sehr detailliert schildern, um wie viel Kilogramm Heroin es ging und das Massoud A. dafür verantwortlich war, die Droge zu strecken.
Als sich der Zeuge dann jedoch in Widersprüche verstrickt, gesteht er, dass die Drogengeschichte gelogen ist. Das Geständnis soll jedoch wahr sein. Ferner soll sogar eine dritte Person an der Tat beteiligt gewesen sein.
„Die Aussage von dem Zeugen zum Geständnis war stabil und stringent“, sagt Staatsanwalt Nils-Broder Greve, den die Lüge über das Drogengeschäft nicht am Wahrheitsgehalt der restlichen Aussage zweifeln lässt. Auch die Anwälte der neun Nebenkläger stimmen der Staatsanwaltschaft zu. „Nach meiner Überzeugung war ein Teil der Aussage nicht die Wahrheit, der andere schon“, sagt ein Vertreter der Nebenkläger. Für die Verteidigung ist jedoch fraglich, warum beide Zeugenaussagen sich widersprechen. „Der Cousin hat nichts von einer dritten Person erzählt“, so Stefan Tripmaker. Ferner könne keiner der Zeugen ein Motiv nennen.
Amir M. beteuert immer wieder vor Gericht seine Unschuld
„Ich bin unschuldig, wo bleibt in diesem Land die Gerechtigkeit“, sagt Amir M. am Freitag im Gerichtssaal. Der Mann mit der tiefen Zornesfalte zwischen seinen Augenbrauen schreit sogar: „Ich sitze schon seit einem Jahr und zwei Monaten im Gefängnis. Ich habe auch Kinder.“ Richter Christian Singelmann: „Ich weiß, es ist der 20. Verhandlungstag und es ist langwierig. Aber bitte bleiben Sie ruhig.“
Amir M. sagt, er sei ein aufrichtiger Geschäftsmann, der die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland wohne, Worte, die eine Dolmetscherin übersetzen muss. Doch nicht nur für den Angeklagten ist der Prozess, der am 7. November begann und schon drei mal verlängert wurde, nervenzehrend. „Auch die Familie des Opfers leidet sehr darunter“, sagt ihr Vertreter vor Gericht. Doch viel mehr leiden die Angehörigen daran, dass sie bis heute nicht wissen, warum Massoud A. sterben musste. Egal, wie das Gericht in diesem Fall, dessen Ende noch nicht absehbar ist, entscheiden wird: Eine Antwort auf diese Frage wird die Familie wohl nicht bekommen.