Ahrensburg. Als der Unterricht nach dem Krieg anfing, gab es nicht einmal das Gebäude. Jetzt ist die Mittelschule Vergangenheit – die Erinnerung bleibt.

Wenn die Klassenlehrerin reinkam, standen alle auf und schmetterten ihr ein „Guten Morgen Frau Schultz“ entgegen. „Wir sind damals auch aufgestanden, wenn wir eine Antwort geben sollten“, sagt Ursula Becker, 77. „Und wenn wir aus der Pause kamen, mussten wir uns erst aufstellen, um dann brav zu zweit in die Klasse zu gehen“, sagt Karla Priemel, 77. Gelitten hat sie darunter offenbar nicht.

Sie strahlt. Auch die Augen der anderen älteren Semester leuchten. 60 Jahre ist es her, dass sie in Ahrensburg die Mittlere Reife abgelegt haben. Die Erinnerung an die gemeinsame Schulzeit ist daher auch die Erinnerung an die Jugend. An die vielen Streiche. An den Mathelehrer, in den alle verschossen waren und der die Stunde immer mit Singen anfing. Und an die Freude, das ganze Leben vor sich zu haben – trotz der Schwierigkeiten.

16 Ehemalige sind zum Klassentreffen gekommen Ehemalige Mittelschüler sind nach Ahrensburg angereist, um das Jubiläum zu feiern Martina Tabel

Jeder hat etwas zu erzählen. Das Stimmengewirr beim Klassentreffen im Ahrensburger Restaurant Einstein ist laut. 16 Schüler aus der Abschlussklasse sind gekommen. „Seit dem 25-Jährigen treffen wir uns regelmäßig. Am Anfang alle fünf, dann alle drei Jahre. Wie werden schließlich älter. Sieben sind leider schon gestorben“, sagt Jörn Becker, 77. Becker? Den Namen gibt es doch zweimal. Ist da vielleicht aus einer Schulliebe eine Ehe entstanden?

„Nein, nein“, sagt Ursula Becker und wehrt mit einer großen Handbewegung ab. „Die Jungs haben uns nur geärgert. Deswegen haben wir ihnen einmal die Klamotten geklaut, als sie im Moorteich im Hagen badeten. Da mussten sie dann nackig nach Hause laufen. Aber danach hörte das Ärgern auf. Die Sache war erledigt.“

Vergnügliche Geschichten werden erzählt

Erledigt schon, vergessen nicht. „Nackig?“, schaltet sich Jürgen Schneider ein. „Wir waren schwarz vom Modder.“ Böse sieht der mittlerweile 76 Jahr alte freche Junge von damals allerdings nicht aus. Der Streit hat eine historische Patina bekommen. An allen Tischen werden solche vergnüglichen Geschichten erzählt, die zum Teil noch aus der Volksschulzeit stammen.

Spaß beim Klassentreffen: Ingo Friedemann (l.),, Gisela Lüthje und Jürgen Schneider Martina Tabel

Ursula Becker ist aus Darmstadt angereist. Jürgen Schneider aus Garching bei München – ebenfalls mit einer schönen Geschichte im Gepäck. „Bei einer Schulspeisung gab es Pflaumenkuchen. Ich hatte mir die Kerne in die Backentaschen gestopft“, erzählt der Senior und freut sich jetzt noch diebisch. Denn plötzlich musste er zum Rektor und bekam wegen irgendetwas eine Backpfeife. „Die Kerne flogen natürlich alle raus. Der Rektor war nicht begeistert. Aber so etwas brauchte man, um die mittlere Reife zu kriegen.“

Nur Spaß war die Sache allerdings nicht. Jörn Becker: „Wir waren der zweite Jahrgang, der in Ahrensburg die Mittlere Reife nach Kriegsende ablegte“. Und das nach sechs Jahren Volksschule – die es schon lange nicht mehr gibt. Und nach vier Jahren an einer Mittelschule, die ebenfalls längst von der Schullandschaft verschwunden ist – die aber damals in Ahrensburg noch nicht einmal zu sehen war.

Die Mittelschule musste erst gebaut werden

„Es gab noch kein Gebäude“, sagt Karla Priemel. Bis der Anbau an der Volksschule am Schloss 1953 fertig wurde – er steht bis heute – blieben die Mittelschüler in der Volksschule am Reesenbüttel. In diesen zweijährigen Aufbauzug kamen auch die Jungen und Mädchen aus der Volksschule am Schloss und auch aus der im Hagen. Einige gesellten sich aus Bargteheide und Ammersbek dazu oder wie Ingo Friedemann, 78, aus der Teichwiesen-Volksschule in Hamburg-Volksdorf.

Klassentreffen nach 60 Jahren der Mittelschule Ahrensburg v.l.: Ursula Becker und Alice Christians Martina Tabel


„Nur sehr wenige sind damals aufs Gymnasium gegangen“, sagt Karla Priemel. „Die meisten besuchten die Mittelschule. Wir mussten ja einen Beruf erlernen, um auf eigenen Füßen zu stehen“, sagt die Ahrensburgerin, die Bankkauffrau wurde. „Aber die Lehrstellen waren knapp, der Krieg gerade vorbei. Gute Noten waren wichtig.“

„Das Wichtigste für mich war durchzukommen“, sagt Jörn Becker, der technischer Kaufmann wurde. „Wenn es nach den Zensuren gegangen wäre, hätte ich keine Lehrstelle gekriegt.“ Ingo Friedemann sitzt ihm gegenüber und ist beeindruckt. „Es ist toll, dass Du so ehrlich bist. Es entscheidet sich ohnehin erst im Leben, was einer kann.“

Früher wurde auch am Sonnabend unterrichtet

Die Mitschüler von einst sind zusammengerückt. Ursula Becker legt aus langer Vertrautheit den Kopf an die Schulter von Alice Christians, die mit 76 Jahren das Küken in der Runde ist. Papa und Mama lauteten ihre Spitznamen in der Schule. Das ist vorbei. Genauso wie der Unterricht am Sonnabend. Das Fach Schönschreiben gibt es auch nicht mehr. Und im Hauswirtschaftsunterricht für 1,63 Mark etwas für vier Personen zu kochen, wäre heute unmöglich. Auch aufstehen, wenn der Lehrer reinkommt, ist out. Soll es wieder so sein wie früher? Karla Priemel: „Nein. Wir können das Rad nicht zurückdrehen.“