Bei der Verleihung des Preises an die Reinbekerin Erdmute Partecke zeichnete sich ab: Im Kreis entsteht eine Literaturszene. PEN-Generalsekretärin Regula Venske begeistert von der Kreativität.
Reinbek. Der Appell der Generalsekretärin des Schriftstellerverbandes PEN Deutschland, Regula Venske, lautete: „Genießen Sie es, und machen Sie weiter.“ Es lohnt sich, ließe sich hinzufügen. So beeindruckt zeigte sich die Schriftstellerin vom kreativen Potenzial im Kreis, das sie beim Sichten der Beiträge zum Stormarner Kulturpreis in der Sparte Literatur entdeckt hatte. Man müsse nur jedem Kulturpessimisten, der sich darüber beklagt, dass Fernsehen und Internet Kreativität und Kommunikation in der heutigen Gesellschaft vernichten, die Kiste der 70 eingereichten Manuskripte in die Hand geben. Regula Venske: „Nein, ich mache mir keine Sorgen um Stormarn.“
Die Aufforderung aus berufenem Munde, weiterzuschreiben, dranzubleiben, sich zu vernetzen und auch in Autorenteams zu arbeiten, galt allen Stormarnern, allen Wettbewerbsteilnehmern und natürlich den Gästen im Festsaal des Reinbeker Schlosses, die zur Verleihung des Preises gekommen waren. Strahlend in der ersten Reihe: die Gewinnerin Erdmute Partecke aus Reinbek. Sie hörte aufmerksam zu. Vor allem als Armin Diedrichsen, der Veranstaltungsmanager des Ahrensburger Kulturzentrums Marstall, ihre Geschichte „Der weiße Elefant“ vorlas.
Er schwieg zunächst, schaute ins Publikum und und ließ als Einleitung ohne Worte die Musik sprechen. Mit einem schwebenden Prélude des Russen Skrjabin hob der Pianist Thomas Goralczyk den Vorhang für die Erzählung der Preisträgerin, die in eine ebenso schwebende Gedankenwelt eines fünfjährigen Mädchens entführt: ein brillanter literarischer Gedankenfluss, der assoziativ zwischen der Wirklichkeit und der rettenden Fantasie changiert; der die Sehnsucht der Fünfjährigen nach Nähe und Liebe fühlen lässt. Ein Mädchen, das ihre Mutter Marie nennt, wie eine Fremde. „Ich fliege meinem Wunderland entgegen“, las Diedrichsen vor. Und eine Arietta des Norwegers Grieg erklang und tauchte sie Szene in Melancholie.
Die Preisträgerin erlebt das Verlesen ihrer Geschichte
Als die Geschichte zu Ende war, ging die Autorin nach vorn. „Nehmen Sie doch das Mikro“, kam die Aufforderung. Sie zögerte. „Ich mag das nicht so gern“, sagte die Reinbekerin, stellte sich dann aber doch hinter das Pult. Nur kurz. Diese Botschaft war ihr wichtig: „Es ist eigenartig, aber sobald ein anderer Mensch die Geschichte vorliest, ist sie bereits verändert.“ Die Reinbekerin war verwundert über die Wirkung. Darüber, dass ihre Geschichte ihr nun nicht mehr allein gehört. Eine Erfahrung, die auch andere im Saal schon gemacht haben.
„Mir geht es genauso“, sagte Karl-Heinz Föste aus Siek, der sich ebenfalls am Wettbewerb beteiligt hatte. „Der Text ist wie ein eigenes Kind.“ Dass er leer ausgegangen sei, habe ihn enttäuscht. „Aber die Geschichte der Gewinnerin hat mich sofort gefangen genommen“, sagte der Sieker, der wie andere Autoren gekommen war, um sich auszutauschen.
„Hier entsteht etwas Neues. Wer hat vorher von der Literaturszene in Stormarn gehört“, sagte Lucia Schoop, die den Gedanken der PEN-Generalsekretärin aufgriff. „Es sind bereits Lesungen geplant, die sich aus dem Wettbewerb entwickelt haben.“ Die Bargteheiderin hatte vor zwei Jahren den ersten Stormarner Kulturpreis zum Thema „Heimat“ in der Sparte Bildende Kunst gewonnen. Schoop: „Diesmal bin ich entspannt und kann alles genießen. Der Text der Gewinnerin ist wunderschön.“
Auch Erziehungswissenschaftler Jan-Uwe Rogge saß in der Jury
Zum Zeitpunkt der Ausschreibung hatte Erdmute Partecke bereits drei Geschichten zum Thema Begegnung fertig. Sie schrieb noch welche dazu und reichte einen sechsteiligen Zyklus ein. „Ein Reigen von Geschichten, die miteinander verwoben sind und die das Mutter-Tochter-Verhältnis aus psychologischer Sicht aus beiden Perspektiven schildert“, sagte Regula Venske.
So qualitativ hochwertig wie die eingesandten Texte, so hochkarätig war die Jury. Auch der namhafte Bargteheider Autor und Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge gehörte zur Expertenrunde, Leslie Leuzinger vom Stormarner Schriftstellerkreis und der Geschäftsführer des Landeskulturverbandes Schleswig-Holstein, Dirk Wenzel.
Den Vorsitz hatte der Leiter des Literaturhauses Hamburg, Rainer Moritz. „Die sechs Erzählungen, die große sprachliche Eigenständigkeit an den Tag legen, zeigen, wie schmerzhaft und bereichernd Begegnungen unseren Alltag bestimmen und unser Fühlen und Denken prägen“, heißt es in seiner Laudatio. Da Rainer Moritz verhindert war, las Stormarns Kreispräsident Hans-Werner Harmuth die Würdigung vor und überreichte den mit 3000 Euro dotierten Preis – der Anfang einer neuen Stormarner Geschichte.
Denn es geht weiter – mit Literatur oder Musik. Kreiskulturreferentin Tanja Lütje: „Vielleicht widmet sich der Kulturpreis in zwei Jahren aber auch den Kulturmachern.“ Die haben eines schon jetzt erreicht, wie Regula Venske bekannte: „Wenn ich in Zukunft das Wort Stormarn höre oder Namen wie Ahrensburg, Bargteheide oder Trittau auf Autobahnschildern lese, werde ich viel Neues assoziieren und die Erinnerung an schöne Texte heraufbeschwören.“