Die Vorsitzende des Ahrensburger Kirchengemeinderates wechselt nach Trittau. Sie spricht über die schwierige Zeit nach dem Missbrauchsskandal und den Konflikt um die St. Johanneskirche.
Ahrensburg/Trittau. Als „Küken“ kam sie 2006 nach Ahrensburg, sagt sie über sich selbst. Schnell sei aus der Pfarranwärterin eine „erwachsene“ Pastorin geworden, später die Vorsitzende des Kirchengemeinderates. In schwierigen Zeiten übernahm sie Verantwortung. Sie musste sich mit dem Missbrauchsskandal auseinandersetzen, unliebsame Entscheidungen treffen und diese vertreten für eine klamme Kirche. Fast neun Jahre später wechselt Anja Botta nun ihren Job und den Wohnort. Die Geistliche zieht mit ihrem Sohn Lasse von einem Pastorat ins nächste. Vom Kirchsaal Hagen nach Trittau, wo sie am 1. April 2015 auf eine freie Pfarrstelle wechselt. Im Interview mit der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn erläutert die 41-Jährige ihre Beweggründe, blickt auf ihre Tätigkeit in Ahrensburg zurück und auf ihre Zukunft in Trittau voraus.
Hamburger Abendblatt: Frau Botta, Silvester endet ihre berufliche Zeit in Ahrensburg. Ein Grund zum Feiern?
Anja Botta: Ich freue mich sehr darüber, dass ich vom Trittauer Kirchengemeinderat zur neuen Pastorin auf die zweite Pfarrstelle gewählt worden bin.
Gehen Sie aus freien Stücken?
Botta: Aus freien Stücken. In der Tat.
Ihr Entschluss steht also nicht in Zusammenhang damit, dass die Kirchenleitung ein Interesse daran hat, die gesamte Ahrensburger Pastorenriege, die bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals eine Rolle gespielt hat, auszutauschen?
Botta: Nein. Diese Thematik wurde jetzt erneut durch die Veröffentlichung des Abschlussberichtes der Kommission aufgeworfen. Doch meine Bewerbung auf die Stelle in Trittau erfolgte lange bevor der Bericht bekannt wurde.
Warum ausgerechnet Trittau?
Botta: Als ich den Text der Ausschreibung gelesen habe, hat mich das sehr angesprochen. Alles, was die Gemeinde von der neuen Pastorin erwartet, kann ich erfüllen.
Welche Anforderungen sind das?
Botta: In allen Bereichen der gemeindlichen Arbeit ist Eigeninitiative gefragt, lebendige Gemeindearbeit. Und sie haben jemanden gesucht, der auch Verwaltungstätigkeiten übernehmen kann. Das habe ich ja nun in Ahrensburg zur Genüge geübt. Ich glaube, das wird eine gute Mischung werden. Deutlich mehr gemeindliche Arbeit als bisher. Ich freue mich richtig darauf, mich künftig auf meine Kernaufgaben und Kernkompetenzen als Pastorin konzentrieren zu können. Bei der Arbeit mit Kindern, Konfirmanden und Senioren, bei Gottesdiensten jeder Art und bei Amtshandlungen. Aber ich scheue mich auch nicht vor Verwaltungs- und Leitungsaufgaben, wenn es gefragt ist. Das alles hat mich sehr angesprochen. Außerdem kenne ich meine neue Kollegin Anke Schäfer aus früheren Zeiten, das ist gut.
Was spricht noch für Trittau?
Botta: Die Gemeinde ist nicht weit entfernt von meinem jetzigen Bezugsfeld. Ich habe für meinen siebenjährigen Sohn ein ausgeklügeltes Betreuungsnetz aufgebaut, das ich weiter nutzen kann.
Sind Sie froh, Ahrensburg den Rücken zu kehren?
Botta: Sagen wir mal so: Ich freue mich auf die neue Aufgabe. Aber es gibt sicher auch Dinge, die ich hier in den vergangenen Jahren erlebt habe, die mich sehr gefordert haben. Da sage ich klar: Jetzt ist auch gut. Das muss ich nicht noch viele Jahre weiter machen. Aber es ist nicht so, dass ich mich deshalb auf jede x-beliebige Stelle beworben hätte. Es muss schon passen.
Was hat sie in Ihrer Ahrensburger Zeit am meisten bewegt?
Botta: Schwierig, das in Worte zu fassen. Es hat mich positiv überrascht, wie engagiert Menschen für ihre Kirche und für ihre Gemeinde eintreten. Andererseits fand ich es schwierig, dass gerade beim Streit um St. Johannnes oft grundlegende Regeln der Kommunikation und des Miteinanders verletzt wurden, oft auch nicht differenziert genug hingeguckt wurde. Verantwortlichkeiten wurden Menschen zugeschoben, die gar nicht genuin verantwortlich sind für das, was geschieht.
Es hat also auch persönliche Verletzungen gegeben?
Botta: Ja. Die gibt es. Aber die Perspektive Trittau gibt mir das sichere Gefühl, dass ich daran nicht zerbreche.
Wird es auch positive Erinnerungen geben?
Botta: Die Zeit in Ahrensburg hat bei aller Anstrengung und bei allen Schwierigkeiten auch positive Aspekte. Wenn das alles nicht so gekommen wäre, hätte ich mich persönlich auch nicht so weiterentwickelt. Ich habe dabei mehr gelernt, als es bei jeder Fortbildung oder jedem Führungskräfte-Seminar möglich gewesen wäre. Und ich habe viele Kontakte geknüpft und Freundschaften geschlossen, die ich weiter pflegen möchte.
Was genau haben Sie gelernt?
Botta: Ich traue mir mehr zu als früher. Im Prinzip ist die Aufgabe der Kirchengemeinderatsvorsitzenden doch so etwas wie der Job eines Geschäftsführers. Ich habe festgestellt, dass ich Führungskompetenz habe, solch einen Betrieb leiten kann. Natürlich immer mit Unterstützung kompetenter Menschen. Aber dass ich das kann, hätte ich vorher nicht gedacht.
Haben Sie auch Fehler gemacht?
Botta (überlegt lange): Fehler? Fehler im engeren Sinne nicht. An manchen Stellen hätte es aber anders laufen können. Die Entscheidung zu St. Johannes zu Beispiel, die ich nach außen vertreten muss, war richtig, weil wir aufgrund unserer finanziellen Schieflage keine andere Chance hatten. Aber wir hätten vielleicht frühzeitiger und klarer agieren müssen.
Viele haben Sie persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass zwischen Gemeinde und Kirchengemeinderat tiefe Gräben entstanden sind.
Botta: Ja. An manchen Stellen hätte anders, besser kommuniziert werden können. Aber dieses Thema war lange vor 2013 ein großes Thema.
Hat die sperrige, teils unbeholfen anmutende Kommunikation der Nordkirche bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals mit in den Streit um St. Johannes hineingewirkt?
Botta: Was den Missbrauch und die Kommunikation in dieser Sache angeht, das war wirklich suboptimal. Aber was Wunder? Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass alle damit überfordert waren. Wir lernen ja auch alle nicht ‚auf Missbrauch‘. Aber noch einmal zu St.Johannes: Es ist immer schmerzlich, wenn eine solche Entscheidung getroffen werden muss. Wir haben uns unendlich schwer damit getan. Aber was hätte anders laufen können? Eine breite vorherige Beteiligung der Gemeindeversammlung beispielsweise, wie von manchen gefordert, wäre aus meiner Sicht keine Alternative gewesen. So etwas funktioniert bei derart emotional besetzten Themen nicht.
Ihr Wechsel nach Trittau bedeutet einen weiteren Baustein bei den Umwälzungen innerhalb der Ahrensburger Pastorenschaft. Wie bewerten Sie das? Wohin führt die Reise?
Botta: Das kann ich schwer bis gar nicht einschätzen. Es gibt in der Tat eine Empfehlung im Abschlussbericht, alle beteiligten Pastoren auszuwechseln. Dienstrechtlich gibt es dazu aber keine Handhabe, sofern kein disziplinarisches Vergehen nachgewiesen ist. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Meine Pfarrstelle im Kirchsaal Hagen wird sicher neu besetzt. Wie es im Vorsitz weitergeht, entscheidet der Kirchengemeinderat vermutlich auf seiner nächsten Sitzung am 25. November.
Und wann kehrt in in der Ahrensburger Kirchengemeinde endlich wieder Frieden ein?
Botta: Kürzlich sagte eine Kollegin zu mir etwas wirklich Erhellendes: ‚Lest die Bibel‘. Wählt man fromme Worte, muss man den Missbrauchsskandal in Ahrensburg wohl als eine Sünde bezeichnen. Dazu finden sich in der Bibel mehrere Stellen. Gott sagt: Ich werde diese Sünde heimsuchen, bis ins dritte und vierte Glied. Und die Kollegin sagte, ‚was also erwartet ihr nach drei, vier Jahren?‘ Klar ist doch, so etwas kann nicht so schnell heilen.
Ahrensburgs Kirchengemeinden erfährt demnach eine späte und gerechte Strafe?
Botta: Ob nun Strafe oder nicht – und schon gar gerecht oder nicht – das liegt nicht in unserer Hand. Aber ich wünsche der gesamten Kirchengemeinde, dass die Menschen in allen Schwierigkeiten es schaffen, respektvoller miteinander umzugehen.