Ab sofort haben die Stormarner die Wahl: Welches Buch wollen sie im kommenden Frühjahr gemeinsam lesen? Das Literaturprojekt „Stormarn liest ein Buch“ geht in die zweite Runde.
Reinbek. In unterschiedlichen Orten des Kreises soll es zwischen Ende April und Mitte Mai Lesungen, Ausstellungen, Konzerte und Diskussionsrunden geben, die sich alle mit dem Thema eines bestimmten Buches beschäftigen.
Welches Buch das sein wird, können die Stormarner noch bis 14. November entscheiden. Im Schloss Reinbek wurden die drei zur Auswahl stehenden Bücher noch einmal vorgestellt.
Die Aktion „Stormarn liest ein Buch“ ist eine Initiative von „Stormarn kulturell stärken“, einer Arbeitsgemeinschaft des Kreises, der Sparkassen-Kulturstiftung Stormarn, der Sparkassenstiftung Stormarn und der Bürgerstiftung Stormarn in Kooperation mit dem Rowohlt-Verlag. „Das Ganze ist nicht nur ein Literaturprojekt, auch wenn das Buch im Mittelpunkt steht“, sagt Tanja Lütje, Kulturreferentin der Kreisverwaltung. „Es ist vielmehr ein Kulturfestival, das zum Beispiel auch Veranstaltungen mit Film, Kunst, Musik und Theater einschließen kann.“
Wie schon bei der Premiere des Projekts vor drei Jahren will die Arbeitsgemeinschaft mit „Stormarn liest ein Buch“ zum Lesen anregen und Stormarner ermutigen, auch eigene Aktionen rund um das Buch zu organisieren. „Wir hatten schon Anfragen von Restaurants und Altenheimen, die angeboten haben, Veranstaltungen zu dem Thema auszurichten“, sagt Tanja Lütje. „Genau das wollen wir erreichen. Wir möchten, dass die Stormarner gemeinschaftlich aktiv werden. Das Literaturprojekt soll ein kreisweit verbindendes Element werden.“
Deshalb sollen sich auch möglichst viele Stormarner an der Wahl beteiligen. In den ersten zehn Tagen haben 250 Menschen im Internet für ihren Buchfavoriten gestimmt. In diesem Jahr können die Stormarner zwischen den Titeln „3000 Euro“ von Thomas Melle, „Ruhige Straße in guter Wohnlage – Die Geschichte meiner Nachbarn“ von Pascale Hugues und „Amon – Mein Großvater hätte mich erschossen“ von Jennifer Teege und Nikola Sellmair wählen. Der Gewinner der Abstimmung wird voraussichtlich am 18. November bekannt gegeben.
Der Autor des Gewinnertitels wird in der Projektwoche zu einer Lesung im Kreis Stormarn erwartet.
Zusätzlich sind Lesungen mit dem Autor Nils Mohl geplant, der seine Jugendbücher „Mogel“ und „Überall ist Indianerland“ vorstellt. Die Jugendbücher stehen bei „Stormarn liest ein Buch“ außer Konkurrenz. Auch hierzu soll es während der Projektwoche Aktionen geben.
„Ruhige Straße in guter Wohnlage - Die Geschichte meiner Nachbarn“ von Pascale Hugues
Reinbeks Bürgermeister Björn Warmer und Rabea Stahl, Tourismusmanagerin des Kreises Stormarn, präsentierten das Buch „Ruhige Straße in guter Wohnlage – Die Geschichte meiner Nachbarn“ der französischen Journalistin Pascale Hugues.
Darin geht die Autorin der Geschichte ihrer Straße und deren Bewohnern nach. Diese Straße befindet sich in Berlin, könnte aber auch ebenso gut in einer anderen Stadt sein. Hier stehen prachtvolle Jugendstilfassaden neben eilig aus den Kriegsruinen errichteten Wohnblöcken.
Hugues fragt sich: Was ist aus den Anwälten und Professoren des jüdischen Bildungsbürgertums geworden? Und aus den Frauen, deren Häuser von den Bomben der Alliierten zerstört wurden? Wie hat diese Straße in den 1950er-Jahren zur Normalität zurückgefunden? Die Autorin begibt sich auf die Spuren ihrer Nachbarn, ihrer ehemaligen und heutigen. Dabei stößt sie auf tragische und schöne Geschichten, die unterhaltsame Einblicke in die Zeitgeschichte um die Jahrhundertwende bis heute bieten.
„Ich fand es faszinierend, wie die Straße eine Klammer bildet, die all diese unterschiedlichen Geschichten verbindet“, sagt Rabea Stahl. „Beim Lesen reist man in unterschiedliche Epochen und lernt verschiedene Schicksale kennen. Trotzdem ist es ein zusammenhängendes Werk.“
Die Autorin Pascale Hugues war Korrespondentin der Tageszeitung „Libération“ in Großbritannien und Deutschland. Seit 1995 schreibt sie unter anderem für „die tageszeitung“ und den „Tagesspiegel“. Außerdem drehte sie Filme für den Fernsehsender Arte, zum Beispiel „L’est c’est fini“ über ostdeutsche Jugendliche.
„300 Euro“ von Thomas Melle
„3000 Euro“ heißt der Roman von Thomas Melle, den Sigrid Kuhlwein, die Vorsitzende des Kreis-Kulturausschusses, und Rainer Wiegard, Landtagsabgeordneter und ehemaliger Finanzminister von Schleswig-Holstein, vorstellten. Melle wurde mit dem sozial-kritischen Werk für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominiert.
Der Roman erzählt die Geschichte einer Liebe am unteren Rand der Gesellschaft. Die Hauptfigur Denise arbeitet in einem Discounter und fühlt sich von ihrer kleinen Tochter Linda überfordert. Um sich eine lang ersehnte New-York-Reise leisten zu können, nimmt sie eine Rolle in einem Porno an. Auf das Geld muss sie allerdings warten.
Im Discounter lernt Denise den abgestürzten, verschuldeten Ex-Jurastudent Anton kennen. Die beiden kommen sich näher, während Denise um ihr Recht kämpft und Anton der Privatinsolvenz entgegensieht. Es entwickelt sich eine zarte, fast unmögliche Liebe, die auf die Probe gestellt wird, als Denise doch noch ihr Geld bekommt und Antons Gerichtstermin naht. „3000 Euro“ ist ein Roman über die menschliche Existenz in ihrer Schönheit und Zerbrechlichkeit und die Frage, was 3000 Euro wert sein können.
„Mich hat vor allem die Darstellung der beiden Hauptfiguren und ihren Versuch, mit ihrem Leben zurechtzukommen, sehr berührt“, sagt Sigrid Kuhlwein. „Der Roman beschreibt Personen, die vielleicht nicht gerade typisch sind für Stormarn, aber die trotzdem erstaunlich nah wirken.“
Der gebürtige Bonner Thomas Melle gehört zu den wichtigsten deutschen Theaterautoren und arbeitet außerdem als Übersetzer. Sein Debüt-Roman „Sickster“ war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde mit dem Franz-Hessel-Preis ausgezeichnet.
„Amon - Mein Großvater hätte mich erschossen“ von Jennifer Teege und Nikola Sellmair
Annika Leske, Mitglied der Aktion Menschlichkeit und Toleranz (M.u.T) in Glinde,und Ursula Pepper, die ehemalige Bürgermeisterin von Ahrensburg und Mitglied der Bürgerstiftung, lasen aus dem Buch „Amon – Mein Großvater hätte mich erschossen“ von Jennifer Teege und ihrer Mitautorin Nikola Sellmair vor.
Der Roman erzählt von der Entdeckung der eigenen Familiengeschichte von Jennifer Teege. Im Alter von 38 Jahren erfährt die Tochter einer Deutschen und eines Nigerianers durch Zufall, dass ihr Großvater der brutale KZ-Kommandant Amon Göth war. In Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ ist Göth der Gegenspieler des Judenretters Oskar Schindler. Göth war für den Tod tausender Menschen verwantwortlich und wurde 1946 gehängt. Jennifer Teege, die in Israel studierte, wird mit diesem Familiengeheimnis konfrontiert und stürzt in eine tiefe Identitätskrise. Gemeinsam mit der Journalistin Nikola Sellmair recherchiert sie die Vergangenheit ihrer Familie und reist nach Polen und Israel. Schritt für Schritt wird aus dem Schock über die Abgründe der eigenen Familie die Geschichte einer Befreiung.
„Mich hat das Buch sehr gefesselt und neugierig gemacht auf die erwähnten Personen“, sagt Ursula Pepper. „Nach dem Lesen habe ich im Internet weitere Informationen über sie gesucht.“ Auch Annika Leske ist tief beeindruckt: „Das Buch wirft grundsätzliche Fragen über die Verarbeitung der NS-Vergangenheit auf, zum Beispiel: Wie viel möchte ich als Mitglied der Enkelgeneration überhaupt über die Taten meiner Vorfahren wissen?“
Jennifer Teege wurde mit vier Jahren zur Adoption freigegeben. Sie arbeitet in der Werbebranche.