Heinrich Westphal, der Vater des heutigen Bürgermeisters, wurde vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs geboren – als die Feuerwehr noch mit dem Pferdewagen anrückte, wenn es brannte
Stapelfeld. 29 Tage nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Heinrich Westphal geboren, in einem Haus mit Reetdach in der Gemeinde Stapelfeld. Das Haus steht immer noch, im Vorgarten wachsen lilafarbene Hortensien, als Eingang dient die Hintertür, vom Hof aus erreichbar. Am Küchentisch sitzt Heinrich Westphal, seit heute 100 Jahre alt. Er wäre allerdings lieber 90. „Das hört sich doch besser an“, sagt Westphal und lässt es wie eine Frage klingen.
Weil seine Familie offensichtlich findet, dass sich 100 ziemlich gut anhört, hat sie für den dreifachen Vater und fünffachen Großvater eine Geburtstagsfeier organisiert. Das Jubiläum am Dienstag soll im Landgasthof Braaker Krug gefeiert werden. „Verwandtschaft und Freunde werden kommen“, sagt Sohn Heino Westphal, der wie sein Bruder Jürgen, der Bürgermeister der Gemeinde ist, in Stapelfeld lebt. Der dritte Sohn, Martin, wohnt im Nachbarort Braak. Die Geschwister kümmern sich um den Vater, gemeinsam mit einer Pflegekraft, die im Haus lebt. Wenn Heinrich Westphal mit seinem Elektromobil im Dorf unterwegs ist, läuft Elisabeth, genannt Ella, nebenher. Die Polin teilt sich die Stelle mit einer weiteren Pflegerin, die Frauen wechseln sich alle zwei Monate bei der Betreuung Westphals ab. „Er ist sehr intelligent und weiß immer alles. Er spricht gern“, sagt Ella mit einem Augenzwinkern.
Das liegt wohl auch daran, dass Westphal jeden Morgen – nach dem Aufstehen um 7.30 Uhr – mit Zeitunglesen beginnt. Vor allem Themen aus dem Ort und der Region interessieren ihn. Der 100-Jährige war Landwirt, den Hof hat er 1949 von seinen Eltern übernommen. „Das war klar, eine andere Möglichkeit kam gar nicht infrage“, sagt Westphal, der zuvor vier Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft verbracht hatte.
An den Ersten Weltkrieg hat Westphal, der damals ein Kleinkind war, im Vergleich wenig Erinnerungen. Was er noch weiß: „Mein Großvater hatte fünf Söhne, die alle eingezogen werden sollten. Er hat aber durchgesetzt, dass einer, mein Vater, nicht an die Front musste, sondern in einer Kaserne in Altona bleiben konnte, um die Arbeit in der Landwirtschaft zu unterstützen. Er konnte am Wochenende meist nach Hause kommen.“
Heinrich Westphal selbst musste dann im Zweiten Weltkrieg an die Front. Am Tag seines 25. Geburtstags, dem 26. August 1939, wurde er eingezogen. Er wurde in Frankreich eingesetzt.
Kurz zuvor, im April desselben Jahres, war Westphal in die örtliche Feuerwehr eingetreten. „Und da bin ich bis zum heutigen Tag“, sagt das Ehrenmitglied, das 24 Jahre lang Wehrführer war. Seinen ersten Einsatz in der Feuerwehr erinnert Westphal bis heute: „Das war im Juni 1939. Wir pflanzten gerade Rüben, als die Sirenen losgingen.“ Im Nachbarort Stemwarde brannte es. Erstmal wurden die Pferde angespannt, vier für den Mannschaftswagen, in dem 20 Feuerwehrleute Platz fanden, und zwei für den Karren, der die Handdruckspritze transportierte. Die musste von acht Männern betrieben werden. In Stemwarde angekommen, wurde es aber tatsächlich erst kompliziert: „Es gibt dort keinen See, und der kleine Bach, der durch den Ort fließt, war ausgetrocknet. Wir mussten die Jauchegruben der Bauern leer pumpen, um das Feuer zu löschen“, sagt Westphal. Eine zentrale Wasserversorgung gab es nicht.
1950 heiratete Heinrich Westphal Elsbeth, die 2011 verstarb. Auch viele seiner Freunde und Bekannte sind inzwischen tot. „Von einer Gruppe von zehn guten Freunden, die wir immer waren, bin ich der einzige, der noch lebt“, sagt Heinrich Westphal, der bis ins hohe Alter in der Landwirtschaft gearbeitet hat. Zwar verpachtet die Familie ihr Land seit 1975, weil keiner der Söhne den Betrieb übernehmen wollte. Der damals 61-Jährige Heinrich Westphal arbeitete aber noch weitere sechs Jahre in einer Raffinerie in Harburg. Bis er 85 Jahre alt war, unterstützte er andere Landwirte aus der Umgebung bei der Ernte.
Inzwischen ist damit Schluss. Heinrich Westphal sitzt am Küchentisch des Hauses, in dem er vor 100 Jahren geboren wurde. Es gibt eine zentrale Wasserversorgung, um brennende Häuser und die Ernte kümmern sich jetzt andere. Westphal liest die Zeitung, geht spazieren, raucht Zigaretten – und feiert ein Jubiläum, das nicht viele Menschen erleben.