Als Hüter der Landesfinanzen arbeitete der Bargteheider Rainer Wiegard sieben Jahre lang fast rund um die Uhr. Jetzt ist er wieder ganz gewöhnlicher Landtagsabgeordneter. Ein entspannter Rückblick.
Bargteheide. Rainer Wiegard ist ein neuer Mensch – schon auf den ersten Blick am offenen Kragen zu erkennen: Der Schlips ist weg. Der Wagen mit Chauffeur auch. Und so richtig wichtig ist der Bargteheider jetzt auch nicht mehr. Seitdem er nicht mehr Finanzminister in Schleswig-Holstein ist, ist noch mehr aus seinem Leben verschwunden. Weniger Fluch als Segen. Wiegard hat Ballast abgeworfen.
„Ich bin jetzt wieder Herr über meinen Terminkalender“, sagt der Bargteheider, der gerade seinen 65. Geburtstag gefeiert hat – im engen Familienkreis, zu Hause, ohne Politik-Entourage. Mitten in der Woche sitzt er auf seiner Terrasse. Eine Tasse Kaffee und iPad vor sich, den Gartenteich hinter sich, eine Amsel über sich. „Moin“, sagt er zu dem Zaungast, der leicht verwundert den Kopf schräg hält und dann mit einem „Tschilp“ angemessen norddeutsch knapp antwortet.
Als Wiegard noch Herr über die Finanzen des Landes war, gab es Termine im 45-Minuten-Takt. Ohne Pause. Gegessen wurde, was bei den Besprechungen auf den Tisch kam, oder schnell irgendwo im Imbiss. „Mein Kalender war mit dem des Ministeriums synchronisiert“, sagt Wiegard. „Das war nicht normal. Ich konnte mich oft gar nicht richtig auf Termine vorbereiten.“
Jetzt habe sich sein Arbeitspensum auf die Hälfte reduziert. „Manche denken, ich bin im Ruhestand. Aber ich bin ja immerhin noch Landtagsabgeordneter. Und die Hälfte Arbeit ist immer noch reichlich genug“, sagt der Mann, der früher beim Bundesvorstand der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft war – bis er 2005 Ministerweihen erhielt. Das ist vorbei.
„Der entscheidende Vorteil ist, dass ich endlich wieder weiß, was kommt, weil ich die Termine selbst plane.“ So hat er nicht nur den Kalender im Blick, sondern auch seinen Garten. Er kann sich am Eisvogel erfreuen und sich über den Fischreiher ärgern. „Der hat schon mehrere Tausend Euro aus unserem Koi-Teich geholt.“
Wenn er könnte, würde er gern mal mit der Zwille einen Warnschuss abgeben. „Darf ich aber nicht. Ist verboten“, sagt Wiegard, der sich früher über ganz andere Dinge aufgeregt hat. Zum Beispiel über den „Bargteheider Buckel“, jene 1,40 Meter hohe Erhebung in der neuen Westumgehung direkt vor der Haustür. „Der kommt weg“, hatte Wiegard versprochen. Jetzt ist er nicht mehr Minister und der Buckel noch da.
Fünf Jahre dauert die Legislaturperiode in Schleswig-Holstein. Vor gut zwei Jahren, als Schwarz-Gelb die Regierungsverantwortung verlor, gewann der Christdemokrat ein Stück Freiheit. „Der Schlips hat mich allerdings nie gestört. Wer sich beengt fühlt, sollte sich einfach ein größere Kragenweite zulegen“, sagt er. Als Promi habe er sich ohnehin nie gefühlt. Nur in der Schule habe er vorn gesessen und dauernd dazwischengeredet. Ansonsten bevorzuge er die hinteren Reihen. Wiegard: „Ständig von allen erkannt und begrüßt zu werden war eher eine Belastung.“
Wichtig sei ihm der Respekt der anderen Finanzminister gewesen. Und die Aufmerksamkeit im Landtag. „Wenn ich ans Rednerpult gegangen bin, war es oft totenstill im Raum.“ Auch jetzt könne er sich nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen. „Allerdings gehe ich nur in die Bütt, wenn es für mich wirklich wichtig ist.“
Wenn die Finanzen auf der Tagesordnung stehen. „Ich hatte 6,5 Milliarden Euro als Einnahmen zur Verfügung. Jetzt sind es 8,5 Milliarden“, sagt Wiegard und zählt weiter auf: „Ich musste als Minister mit einer Zinslast von 1,1 Milliarden fertig werden. Die aktuelle Regierung nur mit 800 Millionen.“ Das höre sich toll an, aber die Regierung ziehe die falschen Schlüsse daraus. „Die sparen an den falschen Stellen.“
So schnell er auf Touren kommt, so schnell lehnt er sich auch wieder in seinen Gartensessel zurück. „Nö“, sagt er und kommt auf das Anfangsthema zurück. Auf den Promi-Effekt könne er verzichten. Aber den Fahrer, der jeden Morgen pünktlich um 7.45 Uhr in die Straße An den Teichen bog, um den Minister abzuholen, den vermisst er. „Es war so etwas wie eine mobile Büro-Ehe. Wir waren manchmal fast 20 Stunden zusammen“, sagt Wiegard. „Ich konnte während der Fahrt arbeiten. Das war eine enorme Zeitersparnis.“ Jetzt muss er selbst fahren und sich mühsam einen Parkplatz suchen. „Und dann auch noch die passenden Münzen für den Automaten. Das ist richtig doof.“
Finanzminister ist für ihn der schönste Beruf der Welt. „Aber ich habe meinen Teil beigetragen. Jetzt sollten die jungen Talente ran.“ Die Habenseite hat doch mehr zu bieten: um 7 Uhr und damit eine Stunde später aufstehen. Nicht fünf Tage die Woche nach Kiel fahren, sondern nur drei. Nicht mehr mal schnell zu nächtlichen Besprechungen nach Berlin heizen. Am Wochenende auch mal frei haben. Drei kostbare Wochen Urlaub am Stück und der Luxus, sich zwei Tage Kiel zu gönnen, um das Elton-John-Konzert so richtig genießen zu können. Und vielleicht das Allerschönste: rechtzeitig zum gemeinsamen Essen mit seiner Frau Jutta Werner wieder zu Hause einzutrudeln.
Rainer Wiegard hat sich schnell an sein neues Leben gewöhnt. Und seine Frau auch. „Wir haben gar keine Gelegenheit, uns zu streiten“, sagt Wiegard. Jutta Werner ist Steuerberaterin mit eigener Kanzlei. „Ihr Tag ist auch voll ausgefüllt. Und trotzdem hat sie sieben Jahre die Hauptlast getragen. Jetzt kann ich ihr ein bisschen zurückgeben.“
Von Mitte 2005 bis Mitte 2012 – so lange war Wiegard Finanzminister. „Als ich ging, war ich der dienstälteste Finanzminister Deutschlands nach Hartmut Möllring aus Niedersachsen. Der Verschleiß in dem Job ist schon gewaltig.“ Ihm kann das mittlerweile egal sein. Er plant jetzt Aktionen mit den CDU-Ortsverbänden in seinem Wahlkreis Stormarn-Nord. Was er genau vorhat, wird nicht verraten. „Das hat was mit dem Ausbau der Infrastruktur zu tun“, sagt Wiegard geheimnisvoll.
Über seine privaten Pläne lässt er einen nicht im Unklaren. Seit Mai ist er ehrenamtlicher Vorsitzender des Stiftungsrates der Bürgerstiftung Stormarn. Und zu Hause gibt es auch einiges zu tun. Der „Fiesling“ von Marder soll endlich aufhören, die Dämmwolle aus dem Dach zu zupfen.
Und einen Reiherschreck hat sich der CDU-Politiker, der seit März 2000 Landtagsabgeordneter ist, auch gekauft. Als er die Errungenschaft vorführt, sprüht das Ding plötzlich mit Wasser um sich. Der Täter wird zum Opfer. Wiegard lacht.
Als Minister hätte er für solche Scherze keine Zeit gehabt. Aber Minister will er ja nicht mehr sein. Pech für den Fischreiher. Die Amsel hingegen kann sich freuen. Auf einen morgendlichen Plausch ohne Anmeldung.