Das Hamburger Abendblatt stellt die Nominierten für den Jugendprojektpreis der Bürgerstiftung Region Ahrensburg vor. Heute: Die Handicap-Mannschaft des SV Eichede, die 42 Spieler zählt.
Ahrensburg. Mit einem „Wusch“ landet der Fußball im Tornetz. Der Schütze im pinken Leibchen über dem HSV-Trikot reißt im Laufen die Arme in die Luft; der Torwart, unterdessen, verleiht seinem Frust Ausdruck – mit einem Tritt in Richtung Torpfosten. Und muss sich dann noch den Spott seines Teamkameraden gefallen lassen: „Du solltest lieber bei der Playstation bleiben, das kannst du besser,“ sagt der und trabt zur Mittellinie des Spielfeldes in der Sporthalle.
„Hier können die Jungen und Mädchen mal richtig Dampf ablassen“, sagt Ralf Bargmann, der die Szene beobachtet. Der Sportkoordinator der Lebenshilfe Stormarn steht mit verschränkten Armen und einem Grinsen im Gesicht am Spielfeldrand. Mit Trainer Lars Konietzko vom SV Eichede hat er die Handicap-Mannschaft für geistig und körperlich behinderte Fußballer gegründet. In diesem Jahr sind die Männer mit ihrem einzigartigen Sportkonzept in Stormarn für den Jugendprojektpreis der Bürgerstiftung Region Ahrensburg nominiert.
42 geistig und körperlich behinderte Fußballer spielen in der Mannschaft
Seit 2008 gibt es die Kooperation zwischen dem Sportverein und der Lebenshilfe. Los ging es mit 13 männlichen und drei weiblichen Spielern im Alter zwischen zwölf und 22 Jahren. Heute spielen 42 Sportler in der Handicap-Fußballmannschaft, neun Mädchen und Frauen sind darunter. Die Spieler kommen aus allen Ecken des Kreises. „Ziel war es, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Möglichkeit zu geben, Mannschaftssport zu betreiben“, sagt Bargmann. Für nichtbehinderte Sportler im Kreis eine Selbstverständlichkeit, ist es für die körperlich und geistig behinderten Spieler zuvor oft unmöglich gewesen. Bargmann: „Selbst wenn die behinderten Fußballer sportlich gut sind, ecken sie oft bei den Mannschaftskameraden an und können langfristig nicht mithalten.“ Grund sei laut Bargmann nicht nur mangelnde Toleranz, sondern vielmehr der Leistungsgedanke der übrigen Sportler.
Jeden Freitag trainiert Lars Konietzko die Mannschaft – ohne Leistungsdruck und derzeit in einer privaten Soccer-Halle in Hamburg-Öjendorf. Die Halle sei eines der Probleme des Projektes, sagt Ralf Bargmann. „Wir haben in diesem Winter trotz aller Bemühungen keinen Hallenplatz beim SV bekommen, stattdessen müssen wir nun die kostenpflichtige Halle nutzen.“
Rund eine Stunde dauert das Training. Nach dem Aufwärmen verteilt Lars Konietzko auf den zwei angemieteten Spielfeldern Leibchen. Bargmann: „Wir teilen die Spieler auf zwei Felder auf, weil ihre Leistungen doch stark variieren.“
Trainer Konietzko stellt sich bei den fortgeschrittenen Spielern ins Tor. Mit Spielzügen und Taktik langweilt er seine Mannschaft nie. Stattdessen wird munter gekickt. Wer zu viel gerannt ist, trifft sich am Spielfeldrand zum Verschnaufen – und zum Fachsimpeln. Die Geschicke des HSV sind an diesem Trainingstag eines der Lieblingsthemen der Fußballfreunde. Dass alles wieder gut wird, wo nun mit Mirko Slomka der neue Trainer der Rothosen in Hamburg angekommen ist, davon ist ein junger Spieler überzeugt. Sein Mannschaftskamerad im braun-weißen St.-Pauli-Trikot hat über die Angelegenheit eine völlig andere Ansicht. Am Ende sorgt ein Blick aufs Spielfeld für traute Einigkeit. „Am Besten ist der SV Eichede“, befindet der Fan der Kiezkicker. Sein Mannschaftskollege mit der Raute auf der Brust seines T-Shirts nickt.
„Die Spieler haben immer einen riesigen Spaß beim Training, sagt Bargmann. Das sei auch das Ziel des Projektes. Und dafür nehmen Konietzko, Bargmann und ihre Helfer eine Menge Arbeit in Kauf. Bargmann: „Die Sportler, die aus dem gesamten Kreis Stormarn kommen, müssen allesamt zum Training abgeholt und wieder nach Hause gefahren werden.“ Drei Busse stehen der Mannschaft zur Verfügung. Darüber hinaus springen Eltern der Spieler ein. Drei Bundesfreiwillige, die bei der Lebenshilfe Stormarn arbeiten, helfen zudem bei der Organisation der Trainings.
Das Preisgeld würde den Fortbestand des Projektes sichern
Rund 8000 Euro kostet das Projekt jährlich – etwa für die Nutzung der Halle und den Kraftstoff für die Busse. Die Spieler zahlen unterdessen einen Betrag von 100 Euro im Jahr. Ralf Bargmann: „Der Preis orientiert sich an dem Mitgliedsbeitrag für den Verein.“ Laut Kalkulation der Projektleiter Konietzko und Bargmann bleibt ein Defizit von rund 4500 Euro im Jahr, das bisher mit Spenden gedeckt wurde. „Mit dem Preisgeld könnten wir das Projekt aufrechterhalten“, sagt Bargmann.
Nach einer Stunde pfeift Trainer Lars Konietzky das Training ab. Und außergewöhnlich diszipliniert für eine Horde Jugendliche marschieren die Spieler, teils mit puterroten Köpfen, in die Umkleidekabine, verabschieden sich mit einem müden „Tschüs Trainer, bis zum nächsten Mal.“