Der Chefchoreograf Hamburg Ballett trifft Bischöfin Kirsten Fehrs. Mehr als 400 Besucher kamen zum Gesprächsabend in die Schmalenbecker Auferstehungskirche und spenden für die neue Orgel

Großhansdorf. Das Stimmengewirr verstummte. Mehr als 400 Zuhörer in der Schmalenbecker Auferstehungskirche drehten ihre Köpfe. Von der voll besetzten Empore beugten sich die Menschen über die Brüstung. Und da war er. Gemessenen Schrittes ging er durch den Mittelgang: John Neumeier. Ganz in Schwarz. Neben ihm Bischöfin Kirsten Fehrs in leuchtend roter Jacke.

Beide hatten ihre Mäntel über den Arm gelegt. So wie alle anderen Besucher, die durch den Sprühregen zu dem Gesprächsabend gekommen waren. Kein Pomp. Kein Grüßen in die Menge. Mit leicht gesenktem Kopf ging der Weltstar, der als Schirmherr der Spendenaktion für die neue Orgel nach Großhansdorf gekommen war, nach vorn in den Altarraum – begleitet von Applaus und fast liebevollen Blicken. Die andachtsvolle Stille, die mit den beiden prominenten Gästen ins Kirchenschiff eingezogen war, hielt an. Jeder wollte jedes Wort des Ballettintendanten mitbekommen. Und er sprach leise. Für die Besucher in den hinteren Reihen kaum zu verstehen. Die Botschaft des Abends kam dennoch rüber. Dafür hob der Ballettintendant der Staatsoper Hamburg die Stimme, setzte sich ganz aufrecht an den Rand des Stuhls und richtete mit ernstem Blick einen Appell an seine Fan- und an die Kirchengemeinde.

„Qualität ist wichtig“, sagte Neumeier. „Die neue Orgel wird 500 Jahre überdauern. Wenn Sie jetzt etwas spenden, können Sie sagen, Sie haben dazu beigetragen. Bitte seien Sie großzügig.“ Die „500 Jahre" wurde mit Lachen quittiert, wie sich die Stimmung insgesamt ins Heitere wendete. Nach dem Gespräch über Religion und Ballett, nach Filmausschnitten von Neumeiers neu in Szene gesetztem „Weihnachtsoratorium“ und nach live in der Kirche unter Leitung von Clemens Rasch musizierten Arien aus dem Bachschen Werk ging es jetzt ums Geld, eine höchst weltliche Angelegenheit.

Der Appell des Weltstars gab den letzten Kick. Die Besucher hatten die kleinen Umschläge unter den Gesangbüchern schon entdeckt und steckten nun jede Menge Scheine hinein, auch große müssen dabei gewesen sein. „13.000 Euro sind zusammengekommen“, sagte Pastor Christoph Schroeder. „Das ist toll. Wir sind sehr dankbar. Ein großer Teil war schon am Vorabend der Veranstaltung eingegangen.“ Beträge, die wohl zu hoch waren, um sie im Umschlag unterbringen zu können. Schroeder: „Der Hinweis auf die Qualität war bemerkenswert und authentisch. Neumeier ist ja auch ein Perfektionist. Man hatte auch das Gefühl, dass ihm die Orgel wirklich ein Anliegen ist.“

Bischöfin Kirsten Fehrs saß vorn neben Neumeier auf dem Podest und lächelte ihm mehr als einmal zu. Er lächelte zurück, sorgte dafür, dass sie ein Glas Wasser bekam und berührte immer wieder in einer vertrauten Geste ihre Schulter. „Die beiden haben sich von Anfang an kongenial verstanden“, sagte Kai Greve, Vorsitzender des Orgelvereins beim Ausklang im Seitenschiff, wo man sich zuprostete und den Erfolg des Abend feierte. Greve hatte den Kontakt zu Neumeier hergestellt und auch den zu Fehrs. „Neumeier wollte sie kennenlernen. Und es funktioniert. Sie verstehen sich bestens.“

So standen Bischöfin und Ballettintendant zum Schluss des offiziellen Teils in trauter Eintracht nebeneinander, schauten gemeinsam ins Gesangbuch und sangen „Tochter Zion“. Wie sehr sie der Glaube und nun auch der Tanz verbinden, hatte die Geistliche im Gespräch deutlich gemacht. Sie war am Vorabend in der Staatsoper in Hamburg gewesen, als Neumeier mit seiner Version des kompletten „Weihnachtsoratoriums“ Premiere feierte.

Der Tanz habe der Weihnachtsgeschichte eine zusätzliche Transzendenz verliehen, eine neue Sprache gegeben. „Eine Sprache auf zwei Beinen. Oder in diesem Fall besser auf einem Bein“, sagte die Bischöfin, spielte dabei auf die Hochleistung der Tänzer an und schaute zu Neumeier, der lachen musste. Es sei eine Sprache der Freude, aber auch des Schmerzes. Die Tänzer hätten sich in die Tiefe des Geschehens hineingearbeitet. Fehrs: „Mir sind die Tränen gekommen. Das ist mir noch nie passiert.“ Die ganze Nacht habe sie nicht schlafen können. So sehr seien ihr Musik und Bilder gefolgt. „Und Du bist schuld“, kam es aus der Bischöfin heraus. Und wieder musste Neumeier lachen.

Der Humor blitzte auch an anderer Stelle auf. Er sei im Glauben, aber so etwas könne niemanden aufgezwungen werden. Schließlich habe er keine Kloster-Compagnie, sagte der Choreograf. Und auch die Bischöfin konnte vom Geistlichen aufs Weltliche umschalten. Was im Tanz gelinge, könne auch im Gottesdienst gelingen. Fehrs: „Und weil dabei auch die Musik so wichtig ist, brauchen wir Orgeln.“ Eine deutliche Ansage für das Hier und Jetzt.

„Es war ein toller Abend. Wir sind hier wie in einer großen Familie“, sagt Sigrid Funk aus Großhansdorf. Das „Familienoberhaupt“ war schon gegangen. So leise, wie er gekommen war, schwang Neumeier den obligaten Schal um – und war weg. Und doch war er noch da. „Ich bin total fasziniert“, sagte Tomma Schroeder-Harms, die die Kinder- und Jugendchöre an der Auferstehungskirche leitet. Auch Anne Deppe war höchst angetan. „Ich habe Neumeier schon in Stuttgart Cranko gesehen. Und ich werde mir garantiert auch das Weihnachtsoratorium anschauen.“

„Das ist eine sehr positive Aktion. Neumeier gibt dem Ganzen noch den richtigen Pfiff“, sagte Brigitte Redeker. Nur schade, dass sie den Weißwein nicht kaufen könne. Der stammte aus der „Neumeier-Edition“ mit dem Konterfrei des Meisters auf dem Etikett des Grauburgunders. Er schmeckte den Gästen genauso wie der rote Orgelwein, den man sehr wohl in Großhansdorf kaufen kann, um die Anschaffung der Orgel zu befördern. Neumeier trank Tee während des Podiumsgesprächs. Aber gegen ein Gläschen zugunsten der Orgel hätte er sicher nichts einzuwenden.