Menschen, die an Schlafapnoe leiden haben bis zu 400 Atemstillstände in der Nacht. Das bedeutet weniger Tiefschlaf, weniger Sauerstoffsättigung im Körper, keine Erholung für Organe und Gehirn.
Großhansdorf. Wie haben sie gestern Nacht geschlafen? Der Durchschnittsbürger beantwortet diese Frage mit einem kurzen „Danke ,gut.“ Ein netter Gesprächseinstieg – Smalltalk ohne tiefere Bedeutung. Ute Arnhold schießen bei der Beantwortung dieser Frage Tränen in die Augen. Denn das auch sie gut geschlafen hat, ist alles andere als selbstverständlich. Die 57-jährige Pflegekraft ist an Schlafapnoe erkrankt, seit mindestens acht Jahren. Sie ist eine von etwa 800.000 Bundesbürgern, die unter dieser Störung und ihren teilweise dramatischen Folgen leiden. Seit einer Nacht ist sie Patientin im Schlaflabor der Großhansdorfer LungenClinic.
„Bevor ein Schlafapnoepatient erkennt, dass etwas mit ihm nicht stimmt können bis zu zehn Jahre vergehen“, sagt Maike Oldigs, Oberärztin für Pneumologie und im Schlaflabor der Klinik. Weitere Krankheiten, auch lebensbedrohliche, können das Ergebnis einer unbehandelten Apnoe sein. „Schlaganfälle sind bis zu 60 Prozent die Folge einer Schlafapnoe“, berichtet Oldigs. 30 Prozent der Bluthochdruckleiden könne man auf Apnoe zurückführen. Bei Fällen von Herzschwäche und Infarkten seien es 50 Prozent. Sogar 30 Prozent aller Depressionskrankheiten haben dort ihren Ursprung.
„In der Nacht hören die Patienten mehrfach auf zu atmen“, sagt Oberärztin Oldigs. Beim Einatmen entstehe ein Unterdruck im hinteren Bereich des Mundrachens. Die Muskulatur in diesem Bereich sei aber zu schwach ausgebildet, um diesem Unterdruck genug Widerstand entgegen zu setzen. Ein Rachenkollaps sei die Folge. Diese Atemstillstände können bis zu einer Minute dauern. Der Sauerstoffgehalt des Blutes sinkt, es kommt zu einer Mangelversorgung, die zu einer heftigen Weckreaktion führe.
„Das Gehirn bekommt eine Warnmeldung. Der Patient schreckt hoch, die Atmung setzt wieder ein“, so die Oberärztin. Dem Patienten fehle jede Erinnerung daran. Dennoch bedeute dieses Hochschrecken hochgradigen Stress für den Organismus. „Das ist Adrenalin pur. So, als ob einer mit einem Maschinengewehr ins Schlafzimmer stürmt“, sagt Oldigs. In besonders schweren Fällen habe ein Betroffener in einer Nacht bis zu 400 dieser Aussetzer.
Auch Ute Arnold war ahnungslos. „Ich war mit meiner Tochter und meinen Enkeln ein paar Tage im Urlaub im Heidepark.“ Die Familie schlief zusammen in einem Zimmer. „Meiner Tochter fiel auf, dass ich laut und heftig schnarchte und dann plötzlich nicht mehr atmete. Sie hatte Angst um mich.“ Gleich nach dem Urlaub ging Ute Arnold zu ihrem Hausarzt. Der überwies sie mit Verdacht auf Schlafapnoe ins Schlaflabor.
„Gesunder Nachtschlaf hat im Wesentlichen drei Phasen“, sagt Schlafmedizinerin Oldigs. Zuerst fällt der Mensch in Leichtschlaf. Leichtschlaf bezeichne das erste Eindösen und gehe dann in den Tiefschlaf über. Im Tiefschlaf erhole sich der gesamte Körper. Die Atmung beruhige sich, der Blutdruck sinke und die Muskeln entspannen sich. In dieser Zeit streben die Organe ihre Regenerierung an, das Immunsystem wird gestärkt. „Für die Erholung des Körpers ist der Tiefschlaf am wichtigsten“, so die Ärztin. Dieser wechsele dann nach zirka 70 bis 90 Minuten in den Traumschlaf über, der auch unter dem Namen Rapid Eye Movement (REM-Schlaf) bekannt sei. In der Traum-Phase erwache das Gehirn langsam wieder, beschleunige Atmung und Herzschlag, Augenbewegungen nehmen zu. „Diesen Kreislauf durchläuft ein gesunder Mensch vier bis fünf Mal pro Nacht“, so Oldigs.
Bei einem Patienten, der unter Apnoe leide, sei die Tiefschlafphase extrem gestört. Ein erholsamer Schlaf sei so nicht mehr möglich. Die Folge sei im Allgemeinen eine lähmende Tagesmüdigkeit. „Ich war morgens nach dem Duschen körperlich schon so ausgepowert, dass ich am liebsten gleich wieder ins Bett gegangen wäre“, erzählt Arnold. Und weiter: „Mein Alltag hat mich brutal überfordert.“
Erste Diagnose des Arztes: Burn-out
Ihr Berufsalltag wurde zum täglichen Horrortrip. Ihre Arbeit als Pflegekraft sei ein körperlich und emotional anstrengender Beruf. Früher habe sie immer ein gutes Wort für ihre Probanden übrig gehabt, habe sie gestreichelt und getröstet, wenn sie traurig waren. „Doch am Ende konnte ich diese alten Menschen kaum noch ertragen. Ich hatte nichts mehr zu geben.“ Ihr Hausarzt diagnostizierte ein Burn-out-Syndrom. Dass dieser Erschöpfungszustand lediglich ein Symptom der Grunderkrankung Apnoe war, übersah er. „Das ist leider häufiger der Fall“, erzählt Maike Oldiges. Die Folgeerkrankungen werden behandelt, weil sie offensichtlicher seien, ohne, dass die Ursache erkannt und beseitigt werde.
Dabei ist es gar nicht schwierig, Schlafapnoe zu behandeln. Einer, der das schon hinter sich hat, ist Steffen Schuhmacher aus Reinbek. „Seit 1993 bin ich therapiert, das Leben ist wieder lebenswert“, sagt er. Auch Steffen Schumacher hatte Atemaussetzer in der Nacht und wurde tagsüber von seiner Müdigkeit überwältigt. „In manchen Besprechungen bin ich sogar eingeschlafen.“ Ein Kunde, auch apnoekrank, beobachtete das und empfahl ihm, sich in ein Schlaflabor einweisen zu lassen. Schumacher folgte seinem Rat. „Jetzt schnarche ich auch nicht mehr so laut, dass meine Frau ständig aufwacht“, erzählt er. „Schnarchen kann ein Symptom für Schlafapnoe sein“, erklärt Oberärztin Oldigs. Allerdings sei nicht jeder Schnarcher krank. Etwa 25 Prozent der Menschen schnarchen, davon leiden etwa vier Prozent, die sogenannten Heavy Snorer, unter Schlafapnoe.
„Jeder unserer Patienten schläft in einem Einzelzimmer“, erzählt die Ärztin. Dort werde der Kranke an Elektroden angeschlossen und drei Nächte lang beobachtet. Gemessen werden die Muskelaktivität, der Blutdruck, die Sauerstoffsättigung im Körper, Hirnströme und die Bewegungen des Brustkorbs.
Der Schlafraum, etwa acht Quadratmeter groß. Ein schmuckloser, einfacher Raum der gerade genug Platz bietet für ein Bett, einen Schrank und die medizinischen Vorrichtungen der Atemmaske. Dennoch fühlt Ute Arnold sich hier wohl: „Hier, in diesem Zimmer habe ich das erste mal seit Jahren wieder Hoffnung. Darauf, dass ich wieder Kraft schöpfe, meine Tochter und meine Enkel zu unterstützen und vielleicht auch wieder in meinen Beruf zurückgehen kann.“
In der ersten Nacht schläft der Patient ohne Schlafmaske. Im Messraum, den Gang herunter, sitzt eine Arzt oder Therapeut und überwacht den Schlaf des Kranken über Monitor. Ein Computer zeichnet auf, wie oft der Atem aussetzt. „In der zweiten Nacht schläft der Kranke zum ersten Mal mit Schlafmaske“, sagt Atemtherapeutin Kuziek. Dem Patienten wird Druckluft zugeführt, die den Rachenverschluss verhindert. Es werden die gleichen Messwerte erhoben. Die Unterschiede geben Aufschluss darüber, wie die Therapie aussehen muss. In der dritten Nacht wird die Schlafmaske auf die individuellen Bedürfnisse des Apnoikers justiert.
„Anfangs ist es ungewohnt, die Maske nachts zu tragen“, so Schumacher. Doch man gewöhne sich daran. Und der Leidensdruck lasse stark nach. Das gelte auch für die Angehörigen der Apnoekranken, die oft von Ängsten geplagt sind. „Es ist nicht witzig, wenn der eigene Mann wie tot da liegt und erst mit einem gurgelnden Röcheln wieder Luft bekommt.“, sagt der Reinbeker. Heute sei die Schlafmaske sein ständiger Begleiter. „Sie kommt auf jede Reise mit, das ist schon Routine“, so der 70jährige. Als Apnoe-Patient müsse man Disziplin halten, dann könne man ein ganz normales Leben führen. Übergewicht steigere das Risiko zu erkranken, ebenso wie Alkoholkonsum. Für den Rentner aus Reinbek ist seine Krankheit zur Passion geworden. „Aufklärung ist wichtig und das Gefühl nicht allein mit dem Problem zu sein“, sagt er. Deshalb engagiert er sich seit Jahren in der Selbsthilfegruppe Schlafapnoe Großhansdorf/Reinbek, kurz SSG genannt. „Wir arbeiten eng mit der LungenClinic zusammen“, sagt er.
Und Ute Arnold? Die macht sich fertig für die zweite Nacht im Schlaflabor. Eine Nacht mit Tiefschlaf, ohne Atemaussetzer. „Ich kann mich wieder auf meine Zukunft freuen“, sagt sie, „und auf ein normales Leben ohne Überforderung und Tränen.“