Die Anne-Frank-Schule in Bargteheide bekommt den Deutschen Schulpreis, weil sie Schwächere motiviert und zugleich Hochbegabten die Möglichkeit gibt, ihre Fähigkeiten zu verfeinern.
Wir bauen auf den Stärken der Schüler auf. Dann arbeiten sie auch automatisch an ihren Schwächen." So fasst Angelika Knies den Grundgedanken der besten Schule Deutschlands zusammen. Eine Schule, die sie nicht ganz zufälligerweise leitet. Zudem eine Schule, die - ebenfalls nicht ganz zufällig - kein Gymnasium ist, sondern eine Gemeinschaftsschule. Und überdies eine gebundene Ganztagsschule.
Außerdem steht sie noch in Norddeutschland, genauer in Bargteheide - wo doch der Süden Deutschlands diversen Studien zufolge die besten Schüler hat. "Bayern ist ein bildungspolitisches Entwicklungsland", sagt Angelika Knies selbstbewusst. Dort separiere man meist die Schüler wie noch in den 1960er-Jahren. Insofern habe sie auch bayerische Konkurrenz bei der Vergabe des Schulpreises nicht gefürchtet. "Dabei geht es ja um das Umgehen mit Vielfalt."
Und dabei ist die Anne-Frank-Schule vorbildlich. Sie sucht sich nicht die besten Schüler, sondern sie will das Beste der Schüler zur Entfaltung bringen. So kommt ein Drittel der Jungen und Mädchen in die fünfte Klasse mit einer Empfehlung für die Hauptschule. Ein weiteres Drittel hat eine Empfehlung für die Realschule und ein letztes Drittel eine für das Gymnasium. Bei den Abschlüssen sehen die Anteile völlig anders aus. Rund 65 Prozent verlassen nach Angaben von Knies die Anne-Frank-Schule mit der Hochschul- oder der Fachhochschulreife, ein knappes Viertel mit dem Realschul- und gut zehn Prozent mit dem Hauptschulabschluss.
Dass alle Schüler bis zur zehnten Klasse gemeinsam lernen, bedeutet nicht, dass auch an alle die gleichen Anforderungen gestellt werden. Nachdem in den Klassen fünf und sechs die Stärken der Schüler herausgearbeitet worden sind, bekommen Hochbegabte anspruchsvollere Aufgaben als etwa mittelmäßige Schüler. "Wir versuchen dabei immer, sie im jeweiligen Fach auf das höchste Niveau zu bringen, das sie leisten können", sagt die Deutsch- und Englischlehrerin Kirsten Tietgen, 46. Für einige bedeute dies, dass sie einen halbseitigen Text auf Englisch schreiben können, für andere, dass sie bereits in der Lage seien, eine kleine Präsentation in der Fremdsprache zu erarbeiten.
Besonders begabte Schüler können im Spürnasenraum über den eigentlichen Unterricht hinaus noch an eigenen Projekten arbeiten.
Alle neunten Klassen erarbeiten zudem über mehrere Monate die Aufführung eines Theaterstücks. "Da lernen die Schüler auch, Durststrecken zu überstehen", sagt Guido Surma, 42, der neben diesem Projekt noch Deutsch und Philosophie unterrichtet. "Und am Schluss steht die öffentliche Anerkennung, die ihr Selbstbewusstsein stärkt und zeigt, dass sich Lob nicht nur in Schulnoten ausdrückt."
Stärken werden zudem auch von Außenstehenden, die etwa in der Wirtschaft tätig sind, bei den Schülern ermittelt. Dafür gibt es auch ein Zertifikat. "Das ist hochmotivierend, zumal den Schülern ja sonst eher gesagt wird, wo ihre Defizite liegen", sagt Surma.
Schulleiterin Angelika Knies selbst hat noch ein dreigliedriges System durchlaufen müssen. Allerdings nicht in Bayern, sondern im saarländischen Duttweiler. Während des Studiums in Saarbrücken befasste sich die angehende Chemie- und Biologielehrerin dann intensiv mit dem Gesamtschulmodell. "Die Skandinavier hatten um die Zeit gerade ihre separierenden Schulsysteme abgeschafft. Und das empfahl damals auch der Deutsche Bildungsrat der Bundesrepublik." Doch leider habe sich das integrierte Modell zunächst nicht durchsetzen können, weil Bildung in Deutschland Ländersache sei, bedauert die 60-Jährige. "Da hat man die Schwachen aussortiert, und um die Hochbegabten hat man sich nicht gekümmert", sagt sie. Beide Fehler will Knies vermeiden. Dank der Pisa-Studien sei nun aber die Debatte um gute Schulen und guten Unterricht wieder in Gang gekommen.
1979 kam sie nach Norddeutschland. Am Heimgarten-Gymnasium in Ahrensburg bekam sie eine feste Position, während sie in ihrer saarländischen Heimat nur eine befristete Stelle hatte. Als 1990 aufgrund einer Elterninitiative die politische Mehrheit für die Gründung einer Gesamtschule in Bargteheide zustande gekommen war, sah Knies die Chance, ihre pädagogischen Vorstellungen aus der Studienzeit umzusetzen.
"Damals waren wir noch Exoten", erinnert sich Knies. Es gab vorher nur vier weitere integrierte Gesamtschulen in Schleswig-Holstein. Und die in Bargteheide war mit drei Klassen und einem Lehrerzimmer die kleinste. Drei Jahre musste in diesen beengten Verhältnissen unterrichtet werden, dann begann sukzessive der Ausbau. Erst im vergangenen Jahr kam ein Neubau für die Oberstufenklassen hinzu. Mittlerweile gebe es mehr Abiturienten als am benachbarten Kopernikus-Gymnasium.
Wofür das Preisgeld von 100.000 Euro verwendet wird, stehe noch nicht fest, sagt Knies. "Darüber werden wir nach den Sommerferien mit Eltern, Lehrern und Schülern sprechen."
Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) konnte Knies bei der Verleihung in Berlin übrigens nicht wirklich reden. "Da ist nur Zeit für einen kurzen Glückwunsch." Am liebsten hätte sie ihr gesagt, dass Deutschland ein flächendeckendes integriertes Schulsystem brauche und dass noch viel zu tun sei. "Ich würde darüber auch gerne mit Schulpolitikern sprechen. Vielleicht ergibt sich das ja jetzt", hofft Knies. Immerhin hat auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Thorsten Albig (SPD) sie zu der Auszeichnung beglückwünscht.