Disziplinarkammer tritt zurück nach Befangenheitsvorwürfen im Fall Friedrich H. Der komplette Rücktritt der Disziplinarkammer des Kirchengerichts ist ein bislang einmaliger Vorgang.
Ahrensburg/Reinbek. Der Reinbeker Amtsgerichtsdirektor Bernd Wrobel hat den Vorsitz der Disziplinarkammer der Nordkirche niedergelegt. Auch drei andere haben hingeschmissen. Und das fünfte Mitglied hat diesen Schritt angekündigt. Der komplette Rücktritt der Disziplinarkammer des Kirchengerichts ist ein bislang einmaliger Vorgang. Und die Vorwürfe gegen die Kirche sind schwerwiegend.
In seinem Rücktrittsschreiben äußert Wrobel den Verdacht, das Landeskirchenamt habe ihn und seine demokratisch legitimierten Kollegen gegen willfährige Richter austauschen wollen, um den Fall des Ahrensburger Ruhestandsgeistlichen Friedrich H. in gewünschter Weise zu lösen - mit der Entfernung von H. aus dem Dienst.
Wrobel hatte das Verfahren eingestellt und die Akte Friedrich H. am 20. November 2012 geschlossen. Da keine Zeugen gehört und kein Urteil gesprochen wurde, hagelte es Kritik. Nicht nur von den Betroffenen, sondern auch vom Kläger, dem Landeskirchenamt. Das legte Rechtsmittel ein, lehnte Wrobel und sämtliche Richter aus "Besorgnis der Befangenheit" ab. Nun der Rücktritt der Disziplinarkammer.
"Ich habe dieses Ehrenamt in der Erwartung übernommen, dass mein Engagement von der Kirche anerkannt wird. Und nicht, dass ich dafür mit Schimpf und Schande überhäuft werde", schreibt Wrobel in seiner Begründung. Dies gelte nicht nur für seine Person. "Alle Mitglieder der Kammer schließen sich meiner Begründung an", betont der Amtsgerichtsdirektor gegenüber der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn.
In seiner Begründung heißt es weiter: "Unsere Kirche nimmt für sich in Anspruch, die Abarbeitung von kirchlichen Disziplinar-Angelegenheiten, insbesondere auch der jetzt in der Öffentlichkeit lebhaft diskutierten Missbrauchsfälle, demokratisch legitimierten, unabhängigen Richtern in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren zu überlassen. Im Vertrauen hierauf hätte ich es niemals für möglich gehalten, dass gerade dieses Kirchenamt auf eine richterliche Entscheidung, die ihm missliebig erscheint, mit einem Befangenheitsantrag gegen alle Richter der Kammer reagiert."
Für das Landeskirchenamt sind das unhaltbare Vorwürfe. Hier sei keineswegs willkürlich gehandelt worden. "Alle Entscheidungen basieren auf dem Kirchenrecht und sind demokratisch legitimiert", sagt Mathias Benckert, der stellvertretende Sprecher der Nordkirche. Über weitreichende Disziplinarmaßnahmen und die Wirksamkeit von Rechtsmitteln entscheide allein das unabhängige Kirchengericht. "Und das ist unserer Argumentation gefolgt. Weder die Kirchenleitung noch das Landeskirchenamt haben über die eingelegten Rechtsmittel entschieden", sagt Kirchensprecher Benckert. Und was den kritisierten Antrag der Befangenheit angehe, so sei das ein legitimes Rechtsmittel, das jeder Partei in einem solchen Verfahren frei stehe.
Genau dieses Recht nimmt jetzt der Ahrensburger Anwalt Heinz Wagner für seinen Mandanten H. in Anspruch und lehnt nun seinerseits sämtliche Mitglieder der Ersatz-Kammer als befangen ab. Eben jene Richter, die gerade Ende April die Wrobel-Kammer abgelehnt hatten und das Verfahren neu aufrollen wollen. Das war rechtswidrig, sagt H.s Anwalt. Die Ersatzkammer hätte nicht darüber befinden dürfen, denn der Vorsitzende Richter Kai Schröder und sein Stellvertreter Jörg Kriwietz seien von der vorläufigen Kirchenleitung berufen worden. "Stattdessen hätten sie vom Richterwahlausschuss gewählt werden müssen", sagt Wagner.
Schröder sei nicht von der vorläufigen Kirchenleitung berufen, sondern schon früher vom Richterwahlausschuss ordnungsgemäß gewählt worden, kontert Mathias Benckert, der stellvertretende Sprecher der Nordkirche. "Schröder war bereits Mitglied der Ersatz-Disziplinarkammer, nur nicht als Vorsitzender. Das ist der einzige Unterschied." Im Übrigen seien Nachberufungen wie im Fall von Richter Kriwietz sehr wohl rechtlich möglich und üblich. Das sehe das Einführungsgesetz der Nordkirche vor, um in einem solchen Fall die Zeit zu überbrücken, bis der Richterwahlausschuss der neuen Landeskirche eingesetzt sei. Benckert: "Und dieses Einführungsgesetz ist von der Verfassungsgebenden Synode der neuen Nordkirche beschlossen worden und daher ebenfalls demokratisch legitimiert." Darin übertrage die Synode für einen Übergangszeitraum der Kirchenleitung, also nicht dem Landeskirchenamt, die Aufgaben eines Richterwahlausschusses.
Das Einführungsgesetz gelte in diesem Fall nicht, entgegnet Anwalt Wagner. Die Nordkirche hätte warten müssen, damit ein Richterwahlausschuss die Kammer hätte neu besetzen können. Denn die vorläufige Kirchenleitung sei hier quasi als Vertreterin des Landeskirchenamtes aufgetreten - also in der Funktion der Klägerin. Die Vermischung sei unzulässig. Wagner fährt harte Geschütze auf: "Es kam der Kirchenleitung darauf an, Personen zu finden, auf deren Loyalität zur Kirche sie vertrauen durfte - und auf deren Bereitschaft, die unliebsame Einstellung des Verfahrens durch den Vorsitzenden Wrobel zu beseitigen."
Diese Behauptung entbehre jeder Grundlage, erwidert Benckert. "Die vorläufige Kirchenleitung handelte bei der Nachberufung unabhängig vom Landeskirchenamt. Genauso, wie es das Einführungsgesetz vorsieht", sagt Benckert. Es herrschte Aufgaben- und Gewaltenteilung zwischen Kirchenleitung und Landeskirchenamt. Die Rechtsauffassungen gehen weit auseinander - mit ebenso unterschiedlichen Konsequenzen für den Beklagten.
"Misstrauen und fehlender Respekt der Landeskirche"
Wird er aus dem Amt entfernt und verliert große Teile seiner Altersbezüge? Wird ein Vergleich geschlossen? Wird das Verfahren ein zweites Mal eingestellt? Das alles ist offen. Und es bleibt noch eine Frage: Wer soll darüber nun eigentlich entscheiden? Eine zweite Ersatzkammer gibt es nicht.
"Es ist nicht mein Problem, wenn die Kirche so verschwenderisch mit ihren ehrenamtlichen Richtern umgeht", sagt Wagner mit Andeutung darauf, dass zwischenzeitlich auch der eigentliche Vorsitzende der Ersatzkammer mit deutlicher Kritik am Landeskirchenamt zurückgetreten war. Wagner: "Vielleicht muss man den Disziplinarhof in Hannover anrufen."
Am 28. Juni sollte die mündliche Verhandlung fortgesetzt werden. Daraus wird nun vermutlich nichts werden. Eine erneute Hängepartie kündigt sich an. Wagner: "Es bleibt mir keine Wahl. Angesichts der offenkundig willkürlichen Entscheidungen muss ich meinen Mandaten schützen."
Für den jetzt zurückgetretenen Amtsgerichtsdirektor Bernd Wrobel ist eins dabei ganz wichtig: "Wir sind nicht wegen der Entscheidung der Ersatz-Kammer gekränkt. Und wir haben das auch gar nicht zu bewerten. Und ich breche auch nicht mit der Kirche." Aber das Misstrauen und der fehlende Respekt der Landeskirche gegenüber den unabhängigen Richtern schmerze und mache es in Zukunft unmöglich, ein solches Ehrenamt auszuüben.