Zeitzeugen wandern durch die Geschichte des Ahrensburger Jugendzentrums, in dessen Anfangszeit Pädagogik noch keine Rolle spielte
Ahrensburg. Der Junge, der ganz am Rande der Menge an der Wand lehnt, wirkt etwas gelangweilt. Vorn am Rednerpult steht Ahrensburgs Bürgermeister Kurt Fischer und hält eine Ansprache. Worüber er an jenem 21. April 1953, es ist ein Sonntag, spricht? Der Junge, der an der Wand lehnt, weiß es 60 Jahre später nicht mehr. Vielleicht hat er es auch niemals gewusst. "Ich hatte nur Augen für die Süßigkeiten, die in die Menge geworfen wurden", sagt Georg Tür, ein mittlerweile etwas ergrauter Herr von 76 Jahren. Er ist einer der ersten Besucher in Ahrensburgs damals neuem Jugendzentrum gewesen, das seit 1957 Bruno-Bröker-Haus heißt. Und das an diesem Wochenende runden Geburtstag feiert.
Georg Tür ist oft im Bruno-Bröker-Haus. Es habe stets ein umfangreiches Programm gegeben mit Musik und sogar Filmvorführungen. "Das war damals eine der modernsten Anlagen hier im Umland." Für ihn als "Fußballverrückten" gehöre das Bruno einfach zum Stormarnplatz dazu, sagt er. Erst recht, weil er früher im Verein gespielt hat. Auch an die damalige Heimleitung, das Ehepaar Franz, erinnert sich Georg Tür noch ganz genau. "Der Herr Franz war sehr dominant. Wenn man mit dem Fahrrad auch nur in die Nähe des Sportplatzes kam, da bekam man aber was zu hören."
"Ja genau, das war der sogenannte heilige Rasen", pflichtet ihm Gisela Euscher bei. Sie arbeitete Anfang der 80er-Jahre im Bruno-Bröker-Haus. "Das war die verrufene Zeit." Euscher war damals gerade 28 Jahre alt, als sie sich mit ihrer Kollegin gegen halbstarke Jugendliche durchsetzen musste. "Es war eine schwierige Zeit", erinnert sich die jetzige Leiterin der Volkshochschule Ahrensburg. 50 bis 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen seien damals türkischer Herkunft gewesen. Und vor allem männlich. "Wir haben deshalb versucht, eine Mädchengruppe zu gründen", sagt Euscher. "Die Arbeit ist nicht einfach gewesen." Es habe immer viele Probleme gegeben, auch unter den einzelnen Gruppen, die sich gebildet hatten. Der Probenraum sei da nur ein Beispiel. Immer wieder sei er von den Jugendlichen zerstört worden, weiß auch Dierk Herborg. Er besuchte in den 80er-Jahren das Bruno- und verbrachte dort seine Freizeit. "Offene Türen, sodass jeder überall hin kann, wie das heute der Fall ist, das hätten wir nicht machen können", ergänzt Euscher. Aus diesem Grund traute sich der eine oder andere vielleicht gar nicht erst, das Bruno zu besuchen. Damals habe es keine pädagogische Arbeit im heutigen Sinn gegeben. Erziehung und Bildung standen nicht im Vordergrund.
Doch in den 80er-Jahren gab es nicht nur negative Entwicklungen. Mike Nowottka und Dierk Herborg zählen zu denjenigen, die dem Haus stets treu geblieben sind. Als sie jung waren, gehörten sie zu den Besuchern, später zu den Helfern. "Wir belebten 1988 die Disco wieder", sagt Herborg stolz. Zu jeder Party mussten sie alles ins Haus hineintragen und aufbauen und danach wieder mitnehmen. "Ich habe sogar ein Schild mit LED-Beleuchtung und Boxen selbst gebaut", erinnert sich Nowottka. Noch heute unterstützen die beiden die Jugendarbeit im Bruno-Bröker-Haus. Mike Nowottka kümmert sich um die Nachtwanderungen. "Da wird es immer gruselig, aber die Kids haben ihren Spaß daran."
Die Nachtwanderungen gehören für Sarah Brandes, 14, neben den Fahrten in den Hansapark zu den Angeboten, die sie möglichst immer wahrnimmt. "Ich bin lieber hier im Bruno und treffe Freunde, als allein zu Hause zu sein." Dieser Meinung sind anscheinend auch viele andere Kinder und Jugendliche. "Gefühlt haben wir hier 50 bis 70 Besucher am Tag", sagt Bernd Meyering. "Und gut 150 kommen regelmäßig zu uns", ergänzt seine Kollegin Angelika Adlhoch-Gutzeit. Die beiden leiten das Bruno-Bröker-Haus jetzt schon seit 23 Jahren.
Neben den Freunden spielen die Betreuer eine große Rolle. "Mit Angelika kann ich über alles reden", sagt Claudia Knöfel, 18. Und damit spricht sie einen wesentlichen Punkt an. "Hier kann jeder herkommen und wird ohne Vorurteile aufgenommen", sagt Angelika Adlhoch-Gutzeit. Die Kinder seien teilweise in der Schule nicht sehr angesehen oder würden stigmatisiert werden. Das spiele für die Leiter keine Rolle. "Wir wollen auch keine einfachen Kinder hier", sagt Adlhoch-Gutzeit. Sie setze sich gern mit den Jugendlichen zusammen und versuche, bei Problemen zu helfen. Das mache die Arbeit im Haus aus, und dafür habe sie ja eine entsprechende Ausbildung gemacht.
Klar sei es nicht immer einfach, und es gebe Gruppenbildungen und auch Einzelgänger. Aber die Gemeinschaft zeichne sich dadurch aus, dass alle meist friedlich mit- und nebeneinander lebten. Im Vergleich zu den 80er-Jahren ein großer Fortschritt. Die Entwicklung zu dieser ruhigeren und harmonischeren Atmosphäre habe lang gedauert. "Wir verdanken vieles unseren Vorgängern, die gute Arbeit geleistet haben", lobt Meyering. Das Angebot trage zur Entwicklung der Jugendlichen bei. Adlhoch-Gutzeit: "Bei den erlebnispädagogischen Veranstaltungen wachsen wir enger zusammen." Bei den gemeinsamen Ferienfahrten werde viel unternommen, meist in der Natur. Auch der sportliche Aspekt komme nicht zu kurz. "Bei den Kanutouren müssen die Jugendlichen zusammen arbeiten und Rücksicht nehmen", sagt Aldhoch-Gutzeit.
Bernd Meyering ist sehr stolz auf die Fortschritte der Jugendlichen. Bei dem Projekt "Bruno goes Europa" beispielsweise arbeiten die Teilnehmer mit Jugendlichen aus anderen Ländern zusammen. "Viele sind vorher immer verunsichert, weil sie nicht gut Englisch sprechen. Durch den Austausch gewinnen sie an Selbstvertrauen, und auch ihr Englisch wird besser."
Ja, derart persönliche Betreuung hat es in den Kindertagen des "Bruno" nicht gegeben. Georg Tür staunt, was heute alles geboten wird. Und es gefällt ihm, der vor 60 Jahren was zu hören bekam, wenn er sich mit dem Fahrrad dem heiligen Rasen näherte.