Jeden Sonnabend stellt die Regionalausgabe einen Verein und dessen Mitglieder vor. Heute das Reinbeker Stadtorchester.
Dunkle Tubatöne, hohe Klarinettenklänge und herzhaftes Lachen dringen aus einem der Backsteingebäude unweit des Reinbeker Schlosses in den dunkelgrauen und verregneten Abend. Es ist 19.30 Uhr, das Reinbeker Stadtorchester probt. Im Gebäude haben die Musiker ihre Instrumente ausgepackt, die Stühle im Halbkreis um Andreas Goj gescharrt, der hektisch mit seinem Taktstock umherfuchtelt und hoch konzentriert auf die Töne jedes einzelnen Musikers achtet.
"Leute, die Einsätze! Nicht einfach nur runterspielen", ruft er und bricht das Stück kurz ab, um sogleich von Neuem beginnen zu lassen. Fast majestätisch führt er den weißen Stab durch die Luft des beengten Probenraums, nimmt auch seine linke freie Hand zur Hilfe, damit diesmal niemand seinen Einsatz im perfekten Moment verpasst. Die Füße der Musiker wippen im Takt. Das Messing der Tuben, Trompeten, Posaunen und Saxofone blitzt durch ihre Bewegungen auf. Markus Götz' "Montañas del Fuego" liegt auf den Notenständern der Hobbymusiker. Ein abwechslungsreiches Stück mit raschen, heiteren Bläserchören, aber auch emotionalen Soli, mit Elementen aus der spanischen Folklore und rhythmischen Eindrücken aus Afrika soll es die Landschaft Lanzarotes beschreiben.
Jahreskonzert im Sachsenwald-Forum ist der Höhepunkt alle zwei Jahre
Spätestens am 3. März im kommenden Jahr soll das Bläserstück sitzen - zum Jahreskonzert im Reinbeker Sachsenwald-Forum. "Alle zwei Jahre ist das der Höhepunkt für uns", sagt Jens-Eric Goj, Vorsitzender des Reinbeker Stadtorchesters. 1998 übernahm er zusammen mit seinem Bruder Andreas die Bläsertruppe, die sein Vater zusammen mit Theodor Pichinot ins Leben gerufen hatte.
Ein eingetragener Verein war es damals noch nicht. "Wir haben uns erst im Jahr 2000 dazu entschlossen. Als eingetragener Verein konnten wir auch Spenden empfangen. Und wir brauchten damals für unsere Auftritte dringend neue Uniformen", erinnert sich Jens-Eric Goj, der nicht so gerne von Verein spricht, sondern lieber von einer großen Familie. "Und das nicht, weil unsere halbe Familie selbst bei uns spielt, sondern, weil hier Jung und Alt zusammentreffen. Und jeder für den anderen da ist", sagt der Vorsitzende Goj und klopft seinem Vorgänger Karl-Hermann Tennert freundschaftlich auf die Schulter.
Der 90 Jahre alte Wentorfer Tennert ist, nachdem Berthold Patsch im Februar im Alter von 95 Jahren gestorben ist, der Senior im Verein. "Hier werden alle sehr alt. Die Musik und die Vereinsfamilie halten jung", sagt Tennert und verspricht, auch dann noch zu kommen, wenn er im Rollstuhl sitzt. Der Rentner spielt im Stadtorchester Trompete und "am liebsten aber" Flügelhorn - seit bereits 43 Jahren. "Dabei war das gar nicht leicht, damals 1969, als ich dazustieß. Ich war Laienmusiker, hatte jahrelang nicht gespielt. Und da saßen lauter Profis", erinnert er sich und berichtet von "übriggebliebenen Berufsmusikern" und dem "Großen Bigband-Sterben Ende der 40er-Jahre". "Das war ja eine ganz andere Qualität", sagt Tennert. Doch mit den Jahren habe er sich langsam herangespielt.
Wie eine Familie mit Mitgliedern im Alter von 14 bis 90 Jahren
Heute spielen fast ausschließlich Hobbymusiker im Verein, der derzeit rund 50 Mitglieder zählt. Den Nachwuchs zieht er sich selbst im Jugendorchester. 23 Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 20 Jahren spielen dort seit 2007 unter der Leitung von Andreas Goj, der wie sein Bruder Jan-Eric im Alter von sechs Jahren vom Vater ans Orchester herangeführt wurde und zunächst Trompete spielte. Wie sein Vater machte Andreas Goj seine Leidenschaft zur Musik später zum Beruf. Er studierte Schlagzeug am Hamburger Konservatorium, spielte später in den Ensembles von Musicals wie "Cats" und dem "Phantom der Oper", beim NDR und den Hamburger Symphonikern. "Uns wurde die Musik einfach durch unseren Vater in die Wiege gelegt. Wir spielen Musik, seitdem wir denken können", sagt Andreas Goj. Der Chef im Orchester sei aber sein Bruder. "Ich arbeite hier nur für ihn", scherzt er und kneift ihm in den Bauch. Andreas Goj beherrscht nahezu alle Instrumente, die das Stadtorchester zu bieten hat. Er hat vor 14 Jahren die musikalische Leitung übernommen. Das Spielen im Reinbeker Orchester überlässt er den anderen, wenn er ihnen auch sagt, wie sie zu spielen haben.
Wieder stoppt sein weißer Taktstab in der Luft und wird aufs Notenbuch gelegt. "Stoooopp. Das muss eleganter klingen. Gezielter bitte, sonst schlafen wir hier gleich ein", mahnt er seine Vereinskollegen, klopft mit dem Taktstock ein paar Mal auf den Tisch, zählt bis drei. Schon setzen Trompeten, Posaunen und Klarinetten ein. Eine davon spielt Nicolett Popp. Sie ist auch Jugendwartin und zweite Vorsitzende und wird von allen im Verein gerne "die Orchestermutti" genannt. "Weil ich mich mit um den Nachwuchs kümmere. Und zu allen immer lieb und nett bin", sagt Popp lachend, deren Sohn mit acht Jahren heute der Jüngste im Jugendorchester ist. Die 43-Jährige ist auch schon seit mehr als 20 Jahren dabei. "Eins meiner ersten Konzerte war besonders aufregend. Damals haben wir kurz nach der Wende auf einer Wahlveranstaltung in Rostock gespielt. Der damalige Kanzler Helmut Kohl hat eine Rede gehalten und wurde mit Eiern beworfen. Selbst ein Musiker von uns hat eins abbekommen", erinnert sie sich in der Bar hinter dem Probenraum, in der sich alle in der Pause versammelt haben.
Gespielt wird alles von traditioneller Blasmusik bis hin zu Pop und Filmsongs
Das Spektrum des Orchesters ist groß. Gespielt wird alles, von Klassik bis Pop, von der traditionellen Blasmusik bis hin zu modernen Rhythmen. Seit zehn Jahren ebenfalls im Repertoire ist die Symphonische Blasmusik. Lieder aus bekannten Filmen wie etwa die Titelmusik der US-amerikanischen Serie "A-Team" werden gespielt. "Das ist die höchste Stufe der Blasmusik, da beneiden uns einige", sagt Jan-Eric Goj nicht ohne Stolz. Es sei aber wichtig, andere Genres zu spielen, um die Jugend halten zu können "Polka und Märsche wollen die heute nicht mehr spielen. Und hören auch kaum noch." Das Publikum der Blasmusik sterbe leider aus.
"Die junge Generation hört eher Disco, Pop, Rock." Doch noch hat der Verein im Gegensatz zu vielen anderen in Stormarn alles andere als Nachwuchssorgen. Durch das Jugendorchester ist die Bläsergruppe altersmäßig sehr gemischt. Die Musiker sind zwischen 14 und 90 Jahre alt.
Eine der Jüngsten ist Julia Goj, die Tochter von Andreas Goj. Die 14-Jährige spielt das tiefste der Blechblasinstrumente im Stadtorchester - die Tuba. "Ich bin überredet worden", gibt Julia zu. Das Instrument war unbesetzt gewesen, und es musste schnell Ersatz her. Mit ihrem Vater Andreas Goj probte sie viel. "Heute klappt das nach einem Jahr richtig gut", sagt Julia.
Ensemble ist auch in der Sendung "Wunderschöner Norden" aufgetreten
Etwa 30 Auftritte im Jahr zählt das Stadtorchester. Es spielt auf Weihnachtsmärkten, Schützenfesten, Jubiläen, in Kurgärten. "Wir sind überall, wenn man uns bucht", sagt Jan-Eric Goj. Seit der Gründung des Orchesters sind zahlreiche Spielorte zusammengekommen. Selbst im Fernsehen war das Ensemble schon zu sehen, etwa in der Sendereihe "Wunderschöner Norden". Am häufigsten aber treten die Bläser im Möllner Kurpark auf. Seit 40 Jahren spielt das Stadtorchester dort jeden Sommer von Mai bis September.
Jetzt aber wird für das Jahreskonzert im März in Reinbek geprobt. "Los, weiter geht's. Pause ist vorbei", ruft Andreas Goj. Und schon schwingt er den Taktstock wieder durch die Luft.