Serie im Abendblatt: Jeden Sonnabend stellen wir einen Verein und dessen Mitglieder vor. Heute: Der Kleingärtnerverein Glinde.
Vorbei am Amselweg und Drosselstieg über den Goldammerweg - der Pflasterpfad zum Vereinshaus des Kleingärtnervereins Glinde wird von Vogelnamen begleitet. Auf dem Gelände weht die Kleingarten-Landesflagge hoch oben am Fahnenmast im Wind - denn die rund 200 Mitglieder sind stolz auf das von ihnen geschaffene Laubenparadies. Und das nicht ohne Grund: Jede Parzelle wurde von den Gartenfreunden - wie die Schrebergärtner sich nennen - individuell gestaltet.
Viele Laubenpieper stecken seit Jahren oder auch Jahrzehnten viel Arbeit und Herzblut in ihre Schrebergärten. So wie zum Beispiel Peter Witt, der seit 13 Jahren das Amt des ersten Vorsitzenden innehat. "Damals überredete mich meine Frau, eine Parzelle zu mieten. Inzwischen kann ich mir ein Leben ohne meinen Schrebergarten nicht mehr vorstellen", sagt er. So wie die meisten Vereinsmitglieder wohnt der 64-Jährige mit seiner Frau in einer Etagenwohnung. Daher verbringen die Witts vor allem in den Sommermonaten täglich mehrere Stunden in ihrem Schrebergarten und kommen mit anderen Hobbygärtnern zusammen.
Zusammenhalt: Nachbarschaftshilfe über den Gartenzaun hinweg
Das Gemeinschaftsgefühl im Glinder Kleingärtnerverein ist groß, wie auch Birgit Heinrich bestätigt. "Wenn jemand Hilfe braucht, ist jeder für den anderen da", sagt die 53-Jährige. "Vergangenes Jahr haben uns zum Beispiel viele Schrebergärtner beim Dachdecken unserer Laube geholfen." Und wenn mal ein Rasenmäher nicht anspringe, sei immer ein Gartenfreund zur Stelle. Dem stimmt auch Peter Witt zu. "Über die Jahre sind sehr viele Freundschaften entstanden", sagt er. Das Vereinshaus ist ebenfalls ein Anlaufpunkt: Dort spielen die Kleingärtner wöchentlich Skat, halten Vereinssitzungen oder richten Sprechstunden für Mitglieder und Interessenten aus.
+++ Der Verein in Zahlen +++
Zudem informieren im Verein ausgebildete Fachberater über die richtige Pflanzenwahl. Hans-Joachim Rohloff ist einer von insgesamt vier Beratern. "Wir zeigen, wie das Beste aus dem Garten herausgeholt werden kann", sagt der 76-Jährige.
Engagement: Partnerschaft mit der Glinder Sönke-Nissen-Schule
Doch die Vereinsmitglieder geben sich nicht nur untereinander Ratschläge. Seit Mitte dieses Jahres profitieren auch die Schüler der Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule Glinde vom Know-How der Gartenfreunde: Rund um den Schulgarten sind zahlreiche Projekte vorgesehen - Gemüse, Kräuter und Bäume sollen gepflanzt werden, der Bau eines Gewächshauses ist ebenfalls geplant. Die erste Aktion wurde Mitte August in die Tat umgesetzt: "Unter unserer Anleitung haben die Schüler der fünften Klassen Obstbäume gepflanzt. Das hat allen Beteiligten sehr großen Spaß gemacht", sagt Hans-Joachim Rohloff. Nun besteht ein Vertrag zwischen der Schule und dem Kleingärtnerverein. Dieser sieht ebenfalls vor, dass die Vereinsmitglieder beim Einkaufen der Pflanzen und Bäume helfen oder den Schulgarten während der Ferienzeit pflegen.
Ihre eigenen Parzellen präsentieren die Laubenpieper am bundesweiten Tag des Gartens: Einmal im Jahr stehen die Gartenpforten einen Tag lang für Besucher offen. "Natürlich versucht jeder, seinen Garten herauszuputzen", sagt Rohloff. Der Fachberater betont in diesem Zusammenhang, dass chemische Düngemittel nicht eingesetzt werden dürfen.
Erfolg: Naturnahes Gärtnern bringt Vögel zurück
Denn weil in den 80er-Jahren viele Hobbygärtner mit Pestiziden gearbeitet hätten, seien Vögel der Kolonie jahrelang fern geblieben. "Wir haben daran gearbeitet, dass die Vögel zurückkehren", sagt Rohloff. Er baute mit anderen Vereinsmitgliedern sogenannte Insektenhotels, in denen die Vögel Nahrung finden. Unter anderem wurde auch für Wildbienen und Florfliegen Lebensraum geschaffen. "Wir wirtschaften so naturnah wie möglich", sagt Peter Witt. Dazu zähle zum Beispiel die Verwendung von heimischen Pflanzen. Auch auf einen kurz geschorenen Rasen verzichte man. Witt: "Chemische Produkte wurden nur noch vor meiner Zeit benutzt."
Niederlage: Mitgliederschwund nach Wirtschaftsaufschwung
Von den Anfängen des Kleingärtnervereins während der Nachkriegszeit kann heutzutage niemand mehr aus eigener Erfahrung berichten. Dennoch sind die wichtigsten Daten von 1946 bis heute in einer Chronik gespeichert. Der Vorsitzende kennt die Vereinsgeschichte ganz genau. Witt: "Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Schrebergärten als zusätzliche Anbaufläche genutzt." Mit Kartoffeln, Obst und Gemüse besserte man damals die zugewiesenen Essensrationen auf. Denn die durch Lebensmittelkarten zugewiesene Nahrung reichte oft nicht aus. Im Sommer 1948 zählte der Verein 375 Mitglieder, auf acht verschiedenen Anlagen wurde angebaut. "Doch als das Essen nicht mehr knapp war, sank auch das Interesse an einem Schrebergarten", sagt Witt. Die Gartenfreunde erlitten einen Mitgliederschwund, Ende der 1960er-Jahre sank die Zahl auf 80 Mitglieder. Aus der Anfangszeit blieb nur die Kleingartenkolonie Togohof 1 nahe des Gerhart-Hauptmann-Wegs erhalten.
Mittlerweile konnte wieder aufgestockt werden: Mit den Anlagen Togohof 2, Mühlengrund und Waldfrieden verfügt der Glinder Verein heute über insgesamt vier Anlagen.
Aktuelles: Immer mehr Familien pachten einen Schrebergärten
Eine Zeitlang nutzten vor allem ältere Gartenfreunde die Parzellen, mittlerweile haben auch viele Familien das Laubenparadies für sich entdeckt. "Von Eltern hören wir immer wieder, dass ihre Kinder die Natur kennenlernen sollen", sagt Witt. "Die meisten leben in Etagenwohnungen, bei uns kann der Nachwuchs zwischen Obstbäumen spielen." Ein Stück im Grünen mietete auch der aus Afghanistan stammende Aziz Mohammad Hanif an. Für seine vier Kinder hat er in seinem Schrebergarten eine Schaukel und eine Rutsche aufgestellt. "Meine Kinder haben hier viel Bewegung. Es ist herrlich, wir sind fast jeden Tag hier", sagt der Familienvater.
Wenn ältere Vereinsmitglieder ihren Garten aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen, übernehmen oft Mittdreißiger oder- vierziger die Parzellen. Die Nachfrage ist allgemein groß. "Etwa zehn Bewerber stehen momentan auf der Warteliste", sagt Peter Witt. "Wir freuen uns, dass unsere Anlagen so gut angenommen werden."