Der Musiker spricht über die Lässigkeit seines Albums “Palais Salam“, den Wert des Reisens und aufmerksame Zuhörer in Stormarn.
Hoisdorf. Michy Reincke sitzt entspannt an seinem Küchentisch. "Manchmal", sagt er bei einem Becher grünem Tee in seinem Wohnstudio, "manchmal würde uns Deutschen ein bisschen mehr Gelassenheit guttun." Er persönlich hat das Lässige im Leben jetzt auch musikalisch umgesetzt.
Auf seinem neuen Album "Palais Salam" präsentiert der 51-Jährige, der einen Teil seiner Kindheit in Ahrensburg verbracht hat und in Hamburg-Uhlenhorst lebt, eigene Hits der vergangenen Jahrzehnte in völlig verändertem Gewand: mit ruhigen Arrangements zwischen Jazz, Folk, Blues, Chanson und Pop. Neben Piano, Schlagzeug und akustischen Gitarren erklingen Flügelhorn, Trompeten, Mandolinen, Banjos und Vibrafone. Zwei Fremdkompositionen - das Prince-Cover "Ich bin nicht dein Mann" und "Heimat" von Anna Depenbusch - komplettieren die Platte.
"Das neue ,Taxi nach Paris' habe ich zuerst selbst nicht wiedererkannt", sagt Reincke. Die Idee, "mal etwas im Norah-Jones-Stil" zu machen, habe er schon lange mit sich herumgetragen. Und bei vielen Solo-Auftritten und in kleinerer Bandbesetzung hätten sich die Zuhörer ebenfalls mal eine ruhigere Platte gewünscht. So brachte Michy Reincke, der vor einem knappen Jahr seine langjährige Freundin Yvonne Paulien geheiratet hat, momentanes Lebens- und Musikgefühl in Einklang.
"Ich muss mich in meinem Alter glücklicherweise ja nicht mehr danach richten, wie ein Lied klingen muss, damit es im Radio rauf und runter läuft", sagt er. Auch wenn er sich natürlich über jeden einzelnen Sender freue, der den Mut hat, mal vom Hitparaden-Format abzuweichen und seinen Zuhörern Überraschendes zu präsentieren.
Wie das klingen kann, zeigt Michy Reincke heute in Hoisdorf (siehe Kasten). Zum Kreis Stormarn hat er ohnehin eine besondere Beziehung: In der Jury des Wettbewerbs MusicStorm, den der Kreisjugendring, die Kulturstiftung der Sparkasse Holstein und die Regionalausgabe Stormarn des Hamburger Abendblattes initiiert haben, setzt er sich auch für talentierte Nachwuchskünstler ein. Mehr über seinen Weg zum "Palast aus Frieden" verrät der Musiker im Interview.
Hamburger Abendblatt:
Das Palais Salam gibt es ja wirklich.
Michy Reincke:
Richtig, das ist ein zum Hotel umgebauter ehemaliger Königspalast in Marokko. Dort war ich Anfang der Neunzigerjahre für eine gute Woche, während der ich Bob Geldof und seine damalige Frau Paula Yates kennengelernt habe. Das war eine ganz schöne und entspannte Zeit. Das Hotel hat mit dem Album aber überhaupt nichts zu tun. Das ist lediglich der Name, der mir wieder einfiel, als die neue Platte fertig war. Es ist ja der Versuch einer gelassenen und ruhigen Darstellung meiner Lieder aus den vergangenen Jahrzehnten. Da passte kein Song als Titel. Außerdem war es im Sommer im Hafenklang-Studio an der Elbe bei den Aufnahmen auch so brütend heiß wie damals in Marokko. Im Studio hatten wir zwar eine Klimaanlage, die musste aber immer ausgeschaltet werden, weil die so komische Flupp-Flupp-Flupp-Geräusche machte. Wenn man ruhige Nummern aufnimmt, ist das natürlich ganz schlecht.
Ist es nicht unheimlich schwierig, Lieder, die man schon Hunderte Male in derselben Form gespielt hat, plötzlich ganz anders aufzunehmen und zu singen?
Ich sehe das sportlich. Wir machen beim Soundcheck vor unseren Auftritten ja auch mal so Sachen, dass wir ein Lied anspielen und einen komplett anderen Text darüber singen. Oder ich fang' an mit dem richtigen Lied, und die Jungs spielen Schnee drumherum. Ein Lied, das man oft spielt, kommt mir so vor wie ein Buch. Ein Beispiel: Ich hab' zum Beispiel Siddhartha von Hermann Hesse mit 17 gelesen, noch mal mit Anfang 30 und erneut mit Mitte 40. Es gibt viele Sachen, die man immer wieder anders wahrnimmt. So geht mir das auch mit einem Lied und den Texten. Wenn es als Rockstück angelegt ist, dann konzentriert man sich auf die Form und die Melodie. Wenn man die Form auflöst, dann tritt der Inhalt wieder stärker in den Vordergrund.
Die CD wurde an der Elbe aufgenommen, der Titel kommt aus Marokko, die Fotos wurden in Kambodscha gemacht. Wie passt das zusammen?
Für mich ist Hamburg tatsächlich ein Tor zur Welt. Mein Vater ist zur See gefahren, und auch ich hab' immer viel Zeit im Hafen verbracht. Ich bin immer sehr gern gereist. Es ist für mich eine entscheidende Motivation, Geld zu verdienen, um es hinzukriegen, sich viel in der Welt angucken zu können. In den Zeiten, in denen ich reise, ist einfach unheimlich viel drin. Sich selbst kennenzulernen in der Begegnung mit anderen Kulturen, Menschen und Landschaften: Da lässt sich die eigene Existenz gut spiegeln. Die Fotos im CD-Cover sollen etwas Friedvolles, Gelassenes ausdrücken. In Kambodscha ist der buddhistische Einfluss in allen Gebäuden spürbar und in der Art, mit dem Leben umzugehen. Das was wir im Studio gemacht haben, der Titel und die Bilder: Das ist für mich eine Einheit.
Haben Sie denn einen Lieblingsplatz auf der Welt?
Südostasien ist schon meine bevorzugte Region. In Indien und Thailand war ich schon früher, jetzt zum ersten Mal auch in Kambodscha, Vietnam und Myanmar. Das hat wohl schon etwas mit der Religionskultur zu tun. Die Begegnungen mit den Menschen dort empfinde ich immer als sehr angenehm.
Können wir uns von der Einstellung eine Scheibe abschneiden?
Es gibt auch bei uns schon Menschen, die authentisch gelassen sind. Letztendlich ist unser Kulturkreis aber sehr vom Wettbewerb geprägt. Das find' ich okay, halte es aber als universelles Prinzip für ein gelingendes Leben nicht für ausschlaggebend. Wenn man die Klippe der Jugendlichkeit hinter sich lässt, dann stellt selbst der beste Wettkämpfer fest, dass da etwas anders sein muss. Sonst würde er unglaublich frustriert seine zweite Lebenshälfte erleben. Warum nicht mal eine Mode kreieren, dass es interessant ist, klugen Menschen zuzuhören. Es gibt einfach zu viel Moden, die auf die Dumpfheit und die Lächerlichkeit von Menschen abzielen. Wenn das so ist, dann wird alles plötzlich ganz egal. Nichts gegen das, was Leute wie Verona Feldbusch und Dieter Bohlen machen, denn sie fühlen sich sicher dabei auch wohl. Wenn das aber als das Nonplusultra eines gelingenden Lebens kultiviert wird, dann steh' ich fassungslos davor.
Gibt es denn auch Lichtblicke?
Es gibt ja diesen Autor David Richard Precht. Von dem finde ich auch nicht alles spannend, was er schreibt. Aber wenn ich im Hotelzimmer - zu Hause habe ich keinen Fernseher - mal eine Talkshow sehe, in der Precht auftaucht, merke ich: Wenn ich dem zuhören will, muss ich ein bisschen mitdenken. Es gibt leider nur sehr wenig solcher Momente im Fernsehen, wo man noch nachdenken muss. Die meiste Zeit wird man mit Dingen dichtgeschmiert, bei denen man nicht einmal kontrollieren muss: Stimmt das überhaupt? Ist das richtig? Das ist häufig unfreiwillig so doof, dass es überhaupt keine zwei Meinungen gibt. Generell würde ich mir wünschen, dass es wieder mehr um klügere Dinge geht.
Dazu soll das neue Album Zeit lassen?
Innehalten, zur Besinnung zu kommen: Wenn ich dazu inspirieren kann mit dem, was ich mache, dann ist das sehr schön. Bei mir selber funktioniert das. Ich hab' mein Album mehrfach im Stau auf der Autobahn gehört, und mit der Musik lässt sich sogar das sehr viel besser ertragen.
Wie ist denn der Kontakt zum Landhaus in Hoisdorf entstanden, wo Sie ja schon im Vorjahr waren und in diesem Monat in der Lausch-Lounge junge Künstler präsentiert haben?
Inhaber Stefan Leonhard war mal bei der Lausch-Lounge in der Katharinenkirche und hat mit uns Kontakt aufgenommen. Unsere bisherigen beiden Abende im Landhaus waren wunderschön. So etwas steht und fällt mit den Gästen und demjenigen, der das veranstaltet. Das ist ein toll geführter Laden mit einem ausnehmend interessierten Publikum. Das wünsch' ich mir natürlich auch jetzt für meinen Auftritt.