Bank-Geheimnisse: In unserer Serie treffen wir Stormarner an ihrem Lieblingsort. Heute: Der bekannte Pianist will in Ahrensburg alt werden
Ahrensburg. "Ohne Musik wäre die Welt ohne Hoffnung. Ob man sie hört oder selber spielt - die Musik hilft einem, nach vorn zu blicken. Weiterzumachen, auch wenn man mal unten ist." Der Mann, der das sagt, muss es wissen. Sein Name: Gottfried Böttger. Der bundesweit bekannte Blues- und Boogie-Pianist war in den vergangenen Jahren manchmal unten. Seine Ehe mit der Pianistin Jasmin Böttger ging auseinander. Mit dem Gesetz kam er in Konflikt, als er unter Alkoholeinfluss Auto fuhr. Und dann der absolute Tiefpunkt: Diagnose Blasenkrebs. Gottfried Böttger hat all das durchgestanden. Mit Musik. Und jetzt, im Alter von 60 Jahren, fängt der mehrfach ausgezeichnete Musiker in Ahrensburg ein neues Leben an. Mit seiner neuen Lebensgefährtin lebt er seit einigen Tagen in einer Wohnung an der Hagener Allee. Dort, wo früher seine Großmutter gewohnt hat. Böttger: "In Ahrensburg habe ich meine Wurzeln, viele Freunde. Hier will ich alt werden."
Wer ist der Mann, den Millionen Deutsche aus der NDR-Talkshow 3nach9 kennen und der mit Größen wie Udo Lindenberg, Ray Brown, Memphis Slim, Tom Jones und Evelyn Hamann auf einer Bühne stand? Und wie kam er zur Musik? Die Musik kam zu ihm, sagt Böttger. "Das Klavier und ich - das war Liebe auf den ersten Blick", sagt der Musiker. "Schon als kleiner Junge blieb ich stehen, wenn ich Klaviertöne hörte." Mit sechs Jahren fing Böttger an, Piano zu spielen. Den ersten Auftritt hatte er ein Jahr später in Kiel. Nur klassische Musik zu spielen, verlor für den jungen Pianisten irgendwann den Reiz. "Mit 13, als die Beatles-Welle zu uns rüberschwappte, wollte ich etwas Modernes spielen", sagt der gebürtige Hamburger. "Zu Hause durfte ich das nicht, weil mein Vater von dieser Musik nichts hören wollte." Eine Gelegenheit, seine moderne Musik zu spielen, fand er vor 45 Jahren im Harvestehuder Gemeindehaus. Dort stand ein Klavier, auf dem er sogar mal nachts in die Tasten griff.
"Nach dem Abitur zog ich sofort aus. Ich wollte meine neu gewonnene Freiheit leben", sagt Böttger und lacht verschmitzt. "Ich bin mit Udo Lindenberg zusammengezogen, den ich in der Kneipe "Onkel Pö", in der ich damals jeden Abend spielte, kennengelernt habe." Viel Geld für die Miete hätten die beiden nicht gehabt, deshalb musste eine Abbruch-Villa als Unterkunft herhalten. Neben der Musik galt sein großes Interesse der Naturwissenschaft. Und weil er die Musik, die er selber machte, nicht studieren konnte, entschloss er sich für ein naturwissenschaftliches Studium an der Universität Hamburg. Er absolviert sein Vordiplom in Physik. Böttger: "Irgendwann musste ich mich dann entscheiden, zwischen der Musik und dem Studium. Die Entscheidung fiel nicht schwer."
1973 gründeten Udo Lindenberg und Gottfried Böttger das "Panik-Orchester" und gingen auf Tournee. "Nach fünf Jahren bin ich ausgestiegen und ging mit Karl Dall drei Jahre auf Tour", sagt der Pianist. "Er hat seine Witze gemacht und ich habe dazu Klavier gespielt." Auftritte in den USA, China, Indien und in ganz Europa folgen. Der Uni ist er trotz Musikerkarriere treu geblieben. Als Professor für Medieninformatik lehrt er in Hamburg und Köthen.
Wichtig ist dem Künstler auch soziales Engagement. "Ich denke, dass ein bestimmter Bekanntheitsgrad auch eine soziale Verpflichtung mit sich bringt", sagt Gottfried Böttger. "Deshalb engagiere ich mich vor allem für kranke Kinder. Denn Kinder haben keine Lobby." Seit mehr als 20 Jahren spielt er auf Benefizveranstaltungen. Nur ein Beispiel: Das Hamburger"Benefiz for Kids Konzert", das er im vergangenen Jahr gemeinsam mit seinem Sohn Bendix eröffnet hat. "Der Kontakt zu meinem Sohn ist mir sehr wichtig", sagt der Pianist. "Uns verbindet natürlich die Musik. Und ich kann mir vorstellen, auch einmal in Ahrensburg zusammen mit ihm zu spielen." Einen großen Traum hat der erfolgreiche Musiker aber noch: "Ich würde gern mal mit Eric Clapton eine Session unplugged machen. Das wäre riesig."
Riesig viel Spaß hat er auch bei 3nach9. Als die Talkshow im November 1974 an den Start ging, habe selbst der Regisseur nicht an den Erfolg der Sendung geglaubt, sagt Böttger. Heute ist die Sendung aus dem deutschen Fernsehen nicht mehr wegzudenken. "Es ging bei uns schon heiß her. Ich erinnere mich noch gut an die verbalen Attacken von Alice Schwarzer. Und auch daran, dass das eine oder andere Glas Wein bei uns durch die Sendung flog", sagt der 60-jährige mit einem Augenzwinkern. Sein Favorit unter den Moderatoren sei Wolfgang Menge: "Seine Art zu fragen war einfach sensationell. Aber auch Giovanni di Lorenzo hat sich richtig gut eingearbeitet und fühlt den Gästen ganz schön auf den Zahn." Hinter den Kulissen geht es locker und freundschaftlich zu, sagt Böttger. Dann wird über die Sendung geredet, der eine oder andere Witz erzählt.
Bekannt wurde Böttger nicht nur als 3nach9-Pianist, sondern vor allem durch seine besondere Art des Klavierspiels. "An eine Boogie-Szene wie heute war vor 40 Jahren in Deutschland nicht zu denken", sagt der Musiker. "Sie hat sich erst durch Vince Weber, Axel Zwingenberger und mich entwickelt." Axel Zwingenberger - das war ein weiterer Grund für den Pianisten, nach Ahrensburg zu ziehen. "Ende der 70er Jahre habe ich mit Axel sehr viel und intensiv Klavier gespielt", sagt der 60-jährige. "Der hat damals auch an der Hagener Allee gewohnt." Familiäre Wurzeln hat der Neu-Ahrensburger mit seiner Tante Elisabeth Samusch, die frühere Chefin der Röntgenfirma Seifert, die mit dem langjährigen Bürgermeister Manfred Samusch verheiratet war. Und dann ist da noch der Inhaber des Pianohauses, Michael Zechlin, mit dem Böttger schon seit 35 Jahren befreundet ist. Auf den er sich verlässt: "Zechlin ist einer, der sein Wort im Bezug auf Klaviere absolut hält und voller Herzblut dabei ist."
Voller Herzblut ist auch Gottfried Böttger, wenn er am Klavier sitzt. Die Liebe zur Musik gibt ihm Halt. Den Halt, den er vor einigen Jahren fast verloren hat. "Es gibt immer Höhen und Tiefen im Leben", sagt der Musiker. "Die Tiefen können einen fertig machen, wenn man nicht an sich glaubt." Diese Motivation half ihm auch, als Ärzte im Herbst 2009 Blasenkrebs bei dem damals 59-jährigen feststellten. "Mit solch einer Tatsache konfrontiert zu sein, das ist hart", erinnert sich Böttger. "Aber man darf nicht den Fehler machen, alles einfach hinzunehmen. Man muss kämpfen. Das habe ich getan." Eine schwere Operation, drei Tage Intensivstation und drei Wochen Krankenhausaufenthalt hat der Musiker hinter sich gebracht. Allein hätte er das nicht geschafft, sagt er: "Meine Lebensgefährtin hat mir sehr viel Kraft gegeben." Aber nicht nur die liebevolle Unterstützung seiner Partnerin, sondern auch die Möglichkeit, im Krankenhaus Klavier zu spielen, habe ihn geheilt. "Schon nach ein paar Tagen wollten meine Hände wieder spielen. Also hab ich mich auf die Suche nach einem Klavier gemacht. Gefunden habe ich einen Flügel, auf dem ich täglich um 16 Uhr ein Konzert für Patienten gegeben habe."
Vom Krebs geheilt und wieder top fit startet der leidenschaftliche Segler in Ahrensburg nun wieder voll durch. "Für die kommenden Monate sind einige Sessions geplant. Und es soll wieder Doppelkonzerte mit Axel Zwingenberger geben", verspricht Gottfried Böttger. "Vielleicht könnten wir in der Schlossstadt auch eine Musikreihe aufbauen."
Und was macht Gottfried Böttger, wenn er mal nicht gerade Musik macht? Dann genießt der begeisterte Radfahrer das Grün rings um die Schlossstadt. Er sagt: "Wir haben hier noch viel zu erkunden - und mit dem Fahrrad geht das besonders gut." Ab und zu zieht es den Segel-Fan aber auch ans Meer. Auf der Insel Römö tankt er dann Energie und fasst neue Gedanken für seine Musik. "Die Musik ist und bleibt meine große Leidenschaft", sagt Böttger. "Es ist einfach wunderbar, sie den Menschen nahe zu bringen."